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Migranten als doppelte Modernisierer

Rückkehrer Shefki Idrizi: Erfolgsunternehmer und Wirtschaftsfaktor über Tetovo hinaus. Franca Pedrazzetti

Ein Haus kaufen, ein Unternehmen gründen oder eine bessere Ausbildung für die Kinder: Das ermöglichen die Gelder, die Migranten ihren Angehören nach Hause schicken. Eine Studie über die Region Tetovo in Mazedonien zeigt die Auswirkungen auf.

Migranten tragen wesentlich zu prosperierender Wirtschaft und Wohlstand in der Schweiz bei. Ohne ihre Arbeitsleistung wäre die Modernisierung der Schweiz seit den 1960er-Jahren kaum vorstellbar.

Weniger bekannt dürfte sein, dass Migranten auch in ihren Herkunftsländern wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen anschieben.

Diese Auswirkungen der Migration hat Gülcan Akkaya, Dozentin am Institut für Soziokulturelle Entwicklung an der Hochschule Luzern, in der Stadt Tetovo in Mazedonien untersucht.

In ihrer Studie gehen Akkaya und Mitautor Bernhard Soland konkret den Fragen nach, wie sich der Rückfluss von Geldern, aber auch derjenige von Ressourcen wie fachlichem Knowhow und Bildung auf die sozialen Beziehungen und die individuellen Lebensziele der daheim gebliebenen Angehörigen auswirken. Dazu haben sie 44 Migranten, Rückkehrer, Familienangehörige und Behördenitglieder befragt.

Auch Ungleichheiten

«Mit den 2000 bis 6000 Franken, die Migranten jährlich ihren Familienangehörigen überweisen, können sich diese ihre Existenz sichern, ein Haus bauen, eine Wohnung kaufen, ein Unternehmen gründen oder in Gesundheit oder Bildung investieren», sagt Gülcan Akkaya.

Für die Empfänger sind die Geldüberweisungen ein Segen. Sie haben aber auch eine Kehrseite. «Überweisungen führen zu Ungleichheiten in der dortigen Gesellschaft. Wer Angehörige im Ausland hat, ist besser dran, als wer keine hat», stellt die Dozentin fest.

Eine besondere Passivität junger Menschen vor Ort aufgrund des «Mannas» aus dem Ausland haben die Autoren nicht beobachtet. «Ich gewann nicht den Eindruck, dass Überweisungen lokale Initiativen bremsen», sagt Akkaya.

Wichtige Impulse

Gerade Rückkehrer konnten mit ihrem in der Schweiz erlangten professionellen Fachwissen in ihrer Heimat höchst willkommene wirtschaftliche Akzente setzen, indem sie eigene Firmen gründeten, vornehmlich in den Bereichen Bauwirtschaft, Malerei, Autoreparaturen, Möbelherstellung oder im Gastgewerbe.

Als Beispiel für einen besonders erfolgreichen Rückkehrer hebt die Sozialwissenschafterin Shefki Idrizi hervor. Der Mazedonier sei 1974 im Rahmen des Familiennachzuges in die Schweiz gekommen, nachdem sein Vater seit Ende der 1960er-Jahre in der Schweiz gearbeitet habe.

Nach seiner Arbeit in einem Schweizer Industriebetrieb kehrte Idrizi 1991 nach Tetovo zurück und gründete Renova, ein Unternehmen, das Baumaterialien wie Mörtel, Verputz oder Baukunststoffe herstellt.

«Heute beschäftigt Idrizi in Mazedonien 400 Personen, und er hat weitere Betriebe in Kosovo und Tirana eröffnet», erzählt Akkaya.

Die Partner, mit denen der Chef des kleines Bau-Imperiums zusammenarbeite, stammten aus Deutschland, Österreich, der Türkei, Albanien und Kosovo.

Schweizer Werte «ziehen»

Über das rein fachliche Knowhow hinaus würden aber auch «mitgebrachte» traditionelle Schweizer Werte zum Erfolg der Rückkehrer beitragen.

«Qualitätsbewusstsein und Zuverlässigkeit werden dort sehr geschätzt. Angehörige identifizieren sich mit den Werten, welche die Familienmitglieder in der Schweiz übernommen haben», sagt Gülcan Akkaya.

So hätte sie dort etwa den Ausspruch «Zeit ist kostbar» gehört. Oder sie habe beobachtet, dass Organisationsfragen nicht nur im Berufs-, sondern auch im Privatleben von Rückkehrer-Familien in den Vordergrund gerückt sind.

Diese Erkenntnis stünde im Widerspruch zur oftmals gehörten Unterstellung, Migranten würden sich nicht um die Werte der Gesellschaft in der Schweiz kümmern. Oder zum Vorurteil, Migranten hätten wenig Ahnung vom politischen System des Gastlandes.

«Viele finden, in der Schweiz funktioniere es nicht nur anders, sondern auch besser. In Mazedonien dominieren Klientelwirtschaft, träge Administration und umständliche Bürokratie.»

Bildungslücken als Marktlücke

Dies war aber nicht die einzige Erkenntnis. In den Gesprächen zeigte sich, dass mazedonische Jugendliche, die sich in der Schweiz mit schulischen Problemen plagen, ihre Bildungslücken daheim in Mazedonien zu schliessen versuchen.

«Private mazedonische Universitäten haben dies als Marktlücke entdeckt und bieten Kurse für Deutsch und für deutsche Literatur an.» Deshalb pendeln die Studenten gemäss Akkaya zwischen der Schweiz und der ursprünglichen Heimat hin und her.

Schattenseite der Migration bekommen Frauen zu spüren

Familien und Angehörige gelten zwar als «Gewinner» der zurückfliessenden Ressourcen. Dies trifft aber für die Frauen nicht unbedingt zu. Zwar arbeiten viele im Betrieb ihres zurückgekehrten Ehemannes mit. Aufgrund ihrer ökonomischen Unabhängigkeit haben sie sich auch eine bessere Position in der Gesellschaft erarbeitet.

Doch insbesondere Ehefrauen früherer Generationen von Migranten – die als so genannte Saisonniers unter einem prekären rechtlichen Status litten -, hätten einen hohen Preis zahlen müssen.

Sie mussten zurückbleiben, waren für lange Monate getrennt vom Gatten, und hatten sich um Kinder, Eltern und Schwiegereltern zu kümmern. Und das bis zu 20 Jahre lang, während derer der Mann neun von zwölf Monaten in der fernen Schweiz arbeitete.

«Ich habe mein Leben nicht so leben können, wie ich es mir gewünscht habe, es war ein lebendiger Tod», zitiert Akkaya eine Gesprächspartnerin.

Solche Schicksale sind heute seltener geworden, dank erhöhter Mobilität und modernen Kommunikationsmitteln wie Mobil- und Internettelefonie, Chats und Mails.

«Dies ermöglicht Eltern, von denen sich ein Teil in der Schweiz und ein Teil in Mazendonien aufhält, eine gemeinsame Lebensplanung, etwa betreffend Kindererziehung», so Akkaya.

Wie kleinräumig das gobale Kommunikationsdorf Europa und die Welt geworden sind, illustriert die abschliessende Aussage eines jungen Mazedoniers im Gespräch mit Gülcan Akkaya: Die Kommunikation zu seinem Kollegen in Tetovo verlaufe genau gleich wie diejenige zu meinem Kollegen im Wallis – «beide sind immer auf dem Laufenden.»

Renat Künzi, swissinfo.ch

Vor allem die in Mazedonien vorherrschende Klientelwirtschaft macht Investitionen aus dem Ausland unattraktiv.

Kommunikationspools im Internet sollen die Zusammenarbeit mit den Gastländern fördern, gerade im Hinblick auf ein verbessertes Investitionsklima.

Da laut den Autoren der Studie fast nur praktisches Knowhow, aber nur sehr wenig hochqualifiziertes Wissen aus den Gastländern zurück fliesst, plädieren sie für die Einrichtung von Plattformen für Wissenstransfers. An denen sollen sich gerade Bildungsbehörden und -institutionen in den Gastländern beteiligen.

Damit sollen die Chancen junger Menschen, auch solcher mit einem Uni-Abschluss, auf dem mazedonischen Arbeitsmarkt erhöht werden.

«Die Jugend ist die Zukunft, hat aber in Mazedonien keine Perspektive», bilanziert Autorin Gülcan Akkaya.

In der Schweiz leben heute rund 55’000 albanische Mazedonier.

Die ersten Migranten aus Tetovo, das damals noch in Jugoslawien lag, kamen Anfang der 1960er-Jahren in die Schweiz.

Allein in Winterthur arbeiteten damals rund 600 so genannte Saisonniers aus Tetovo.

Aufgrund ihres rechtlichen Status durften sie hier neun Monate arbeiten, mussten die Schweiz danach aber für drei Monate verlassen.

Ein Nachzug von Frau und Kindern war nicht erlaubt.

Das Saisonnier-Statut wurde für Personen aus der EU 2002 durch die Einführung des Personenfreizügigkeitsabkommen aufgehoben.

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