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«Die Gefahr besteht, dass zu spät nach Hilfe gefragt wird»

Eine Pfanne mit zwei Spiegeleiern darin und eine SCheibe Brot.
Manche Menschen schnallen den Gürtel lieber enger, als Sozialhilfe zu beanspruchen. Christof Schuerpf

Eingebürgert wird nur, wer zehn Jahre keine Sozialhilfe bezogen hat. Zwei von drei Stimmenden sagten im Kanton Aargau Ja dazu. Der Aargau schafft damit höhere Hürden für Einbürgerungswillige als die meisten anderen Kantone. Der Volksentscheid zeige, dass das Bild der Sozialhilfe sehr negativ geprägt sei, sagt Ingrid Hess, die im Berufsalltag mit Menschen zu tun, die darauf angewiesen sind.

Ingrid Hess
Ingrid Hess, Kommunikationsleiterin bei der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). © Béatrice Devènes

Es gibt Menschen in der Schweiz, die aus Scham auf SozialhilfeExterner Link verzichten. Lieber schnallen sie den Gürtel noch enger, als sich der Stigmatisierung auszusetzen. Die Stimmenden im Aargau haben – wie 2012 bereits jene in Bern – die Vorurteile gegenüber Sozialhilfe-Empfängern zementiert. 

Was dies für die Arbeit der Schweizerischen Konferenz für SozialhilfeExterner Link (SKOS) bedeutet, sagt SKOS-Kommunikationsleiterin Ingrid Hess.

swissinfo.ch: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie erfuhren, dass im Aargau zwei von drei Stimmenden Ja zu dieser Vorlage sagten?

Ingrid Hess: Natürlich habe ich den Entscheid bedauert. Er zeigt erneut, dass das Bild von der Sozialhilfe und den Menschen, die auf sie angewiesen sind, sehr negativ geprägt ist.

swissinfo.ch: Ist das Plebiszit so zu verstehen, dass wer Sozialhilfe bezieht, nicht würdig ist, Schweizerin oder Schweizer zu werden?

I.H.: Ja. Grundsätzlich ist es sicher so, dass in der Schweiz die Anforderungen an die Staatsbürgerschaft generell sehr hoch sind.

swissinfo.ch: Verstehen Sie den Entscheid der Mehrheit der Stimmenden im Aargau? Was könnten die Gründe gewesen sein? 

I.H.: Wenn es um Sozialhilfe geht, denken viele an die Missbrauchsfälle, die in den Zeitungen stehen. Es ist verständlich, dass die Mehrheit in diesen Fällen den Zugang zum Bürgerrecht erschweren will.

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Die Realität in den Sozialdiensten ist aber eine andere. Es gibt viele Personen, die einmal im Leben in eine Krise geraten und Unterstützung benötigen. Fast die Hälfte schafft innerhalb eines Jahres wieder den Schritt aus der Sozialhilfe. Andere verdienen vielleicht zu wenig, um eine Familie zu ernähren, und sind während einer bestimmten Zeit auf ergänzende Beträge vom Sozialdienst angewiesen.

swissinfo.ch: Ich kenne Menschen, die auf Sozialhilfe verzichten, um sich nicht der Stigmatisierung auszusetzen. Sie auch?

I.H.: Von solchen Fällen hören wir auch je länger je öfter. Die Gefahr besteht, dass zu spät nach Hilfe gefragt wird, und dann wird es meistens schwieriger, wieder Boden unter die Füsse zu bekommen.

Aus unserer Sicht besteht auch die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche aus den betroffenen Familien es nicht schaffen, sich aus der Armut zu lösen. Zu restriktive Massnahmen behindern die erfolgreiche Integration auch der nächsten Generation.

swissinfo.ch: Welche Auswirkungen hat der Entscheid auf Ihre Arbeit?

I.H.: Wir müssen noch stärker auf die wichtige Funktion der Sozialhilfe hinweisen und uns weiter sehr dafür einsetzen, dass das Bild von der Sozialhilfe nicht von Einzelfällen geprägt ist. Jeder Mensch kann aufgrund von Umständen in eine Notlage kommen, und soll dann Hilfe erhalten. Die Sozialhilfe ist ein Erfolgsfaktor für die Schweiz, der unseren Wohlstand und den sozialen Frieden sicherstellt.

Deutlich höhere Hürden für Einbürgerung

Wer sich im Kanton Aargau einbürgern lassen will, darf neu während zehn Jahren keine Sozialhilfe bezogen haben. Fast 65 Prozent der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und alle Gemeinden stimmten dieser Verschärfung zu.

Der Aargau setzt mit dem «Gesetz über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht» die neuen Bestimmungen auf Bundesebene um. Gemäss diesen Minimalvorschriften des Bundes darf ein Bewerber während dreier Jahre keine Sozialhilfe bezogen haben.

Der Aargau schafft nun deutlich höhere Hürden für Einbürgerungswillige als die meisten anderen Kantone. Für eine Karenzfirst von zehn Jahren entschied sich 2012 auch das Stimmvolk des Kantons Bern.

Das neue Einbürgerungsgesetz im Aargau sieht noch eine weitere Verschärfung der Mindestvorgaben des Bundes vor. So müssen Personen bereits vor dem Einreichen des Gesuchs einen staatsbürgerlichen Test bestehen.

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