Moderne Kurse, um alte Berufe wieder zu schätzen
Berufe verschwinden oder sind bedroht: Das Handwerk in der Schweiz kämpft um einen Generationswechsel. Doch das Interesse an Kursen für traditionelles Handwerk nimmt zu, wie ein Augenschein im Kurszentrum Ballenberg zeigt. Dieses ist der Erhaltung und Weitergabe des Wissens unserer Vorahnen verpflichtet.
Schon bevor wir im Hof des Zentrums ankommen, hören wir die Hammerschläge. Holzgeruch liegt in der Luft. Tatsächlich machen sich die «Schüler» an getrockneten Schwemmholzstücken, am Morgen in einem Wald in der Nähe eingesammelt, zu schaffen.
Daraus werden schliesslich Skulpturen, die wir aber nicht sehen werden, weil wir nur einen Tag im Kurszentrum BallenbergExterner Link verbringen. Es liegt in der Gemeinde Hofstetten bei Brienz, im Westen des Berner Oberlands, eingebettet in eine Postkartenlandschaft aus Wiesen, Wäldern und kleinen Seen.
Die Hammerschläge werden stärker, als wir die Werkstatt betreten, in der ein Kurs zur Reparatur von Möbeln, Fenstern und Türen stattfindet. Aber auch andere Geräusche sind zu hören: Es wird gesägt, gefeilt und poliert. Vielfältige Gerüche steigen uns in die Nase: Sägemehl, Klebstoffe, Farben, Lösungsmittel.
Jeder Teilnehmer arbeitet an einem eigenen Projekt; ein Stuhl wird repariert, ein Tisch gedeichselt, ein Parkett poliert…
Eine grosse Bandbreite von Formen, Farben und Materialien findet sich im Atelier der Hutmacherin nebenan, und intensive Düfte von Kräutern locken uns weiter in die «Duftwerkstatt».
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Handwerk hat goldenen Boden
Dies sind nur vier der fast 150 Handwerkskurse, die am Ballenberg im Lauf eines Jahres durchgeführt werden. «Wir bieten eine sehr breite Auswahl an traditionellen Berufen, auf allen Niveaus, vom Anfänger bis zum Spezialisten», sagt Direktor Adrian Knüsel.
Seit 18 Jahren bemüht sich das Kurszentrum Ballenberg darum, das Wissen und die Techniken von gefährdeten traditionellen Berufen der Schweiz weiterzugeben und zu verbessern. Diese sind – wie auch in anderen Ländern – immer mehr bedroht durch die Prozess-Automation in der Produktion und die Globalisierung.
Die Idee kam vom angrenzenden Freilichtmuseum Ballenberg für ländlich-bäuerliche Kultur, von dem das Zentrum jedoch unabhängig ist. Das Zentrum «fing mit etwa 30 Kursen pro Jahr an und ist während der Jahre stetig gewachsen», so Knüsel, der dieses seit 17 Jahren leitet.
Sinne wichtig – Sprache egal
So ziehen die Kurse am Ballenberg heute jährlich zwischen 1100 und 1200 Personen an, aus der gesamten Schweiz, aber auch aus dem Ausland. Die Mehrheit der Teilnehmenden aber stammt aus dem deutschsprachigen Raum. Für französisch- und italienischsprachige «gibt es eine Art Barriere», bedauert Knüsel.
Kulturerbe und Nischenmärkte
Das Fachwissen des traditionellen Handwerks ist Teil des immateriellen Kulturerbes, das die Unesco schützen will.
Eine Studie kam 2011 zum Schluss, dass von den 307 in der Schweiz erfassten traditionellen Handwerksberufen bereits 23 verschwunden und 79 weitere stark bedroht sind.
Zudem wurde festgehalten, dass jene Berufe, für die es keine duale Ausbildung gibt (das typische Schweizer System mit Berufspraxis und Theorie in der Berufsschule), gefährdeter sind, zu verschwinden.
Viele Handwerke werden nur als so genannte Kleinstberufe praktiziert. Dies sind Berufe, in denen in der Schweiz jährlich weniger als 80 Lehrlinge ausgebildet werden.
Der Grossteil der Lehrlinge wird in kleinen und mittelgrossen Unternehmen (KMU) ausgebildet. Oft ist es aber schwierig, junge Interessenten zu finden, weil sie sich eher in Richtung anderer Sektoren orientieren.
Demgegenüber können sich viele Berufe, in denen individuell gearbeitet wird, die Ausbildung von Lernenden nicht leisten, weil diese Kosten zu einschneidend für den Betrieb wären.
Trotzdem hat die Nachfrage nach hochwertigen Produkten in den letzten Jahren zugenommen, und Handwerker konnten sich viele Türen in Nischensegmenten öffnen. Zum Beispiel bei Luxusuhren, Innenarchitektur, Musikinstrumenten oder Schutz und Restaurierung des historischen und kulturellen Erbes.
Das Bewusstsein für dieses noch nicht ausreichend genützte Potenzial zu schärfen, ist eines der Ziele von KMU-Organisationen. Unter anderen mit Unterstützung des Kurszentrums Ballenberg stellen diese gegenwärtig eine entsprechende Informationskampagne auf die Beine.
Anfänglich wurden auch Kurse auf Französisch angeboten. Doch wegen geringer Teilnehmerzahlen verzichtete man bald darauf. Sowieso sprechen praktisch alle Dozenten mindestens eine weitere Landessprache oder Englisch.
Zudem «ist die Sprache beim Handwerk nicht wichtig: Man spricht mit Händen und Augen», betont der Direktor. Ausser dem Tastsinn und einem guten Auge seien auch der Geruchs- und der Gehörsinn wichtig, ergänzt er.
Bei vielen Teilnehmern, die wir treffen, stellen wir das Bedürfnis fest, Material zu gestalten, Düfte zu riechen, Töne zu hören, etwas zu erlernen. Es sind Menschen, die in ihrem Alltag in sehr unterschiedlichen Berufen tätig sind: von der Medizinstudentin und dem Wirtschaftsinformatiker über den Anwalt und den Landwirt bis zur Psychoanalytikerin, dem Sozialarbeiter, der Physiotherapeutin oder Pensionierten.
Einige erzählen, sie hätten bereits andere Kurse am Zentrum Ballenberg besucht, und sie seien absolut begeistert, ihre Kenntnisse zu vertiefen oder neue Techniken aus anderen traditionellen Berufen zu erlernen.
Die häufigste Altersklasse sind jene zwischen 50 und 60 Jahren. Hauptsächlich interessierten sie sich für das Handwerk als Hobby, nicht als Beruf, sagt Adrian Knüsel. Doch es kämen auch Jugendliche, die ausprobieren möchten, ob ihnen ein gewisser Beruf gefallen könnte. Oder Personen, die einen Berufswechsel anstrebten. Die zwei- bis dreitägigen Kurse sind ideal, um die Fühler auszustrecken.
Doch das Kurszentrum bietet auch verschiedene Ausbildungen an, die bis zu drei Jahre dauern. Zudem werden Spezialkurse angeboten, wie etwas jener, in dem man lernen kann, wie der Wert der eigenen Arbeit berechnet werden kann und man die eigenen Werke besser vermarktet. Auch solche Aspekte seien sehr interessant für das Überleben des Handwerks, gibt Knüsel zu bedenken.
Neu im Angebot sind ein- bis zweitägige, generationenübergreifende Kurse, in denen Wissen und Handwerkskunst weitergegeben werden. Neben jedem erwachsenen Teilnehmer nimmt ein Kind oder Jugendlicher bis maximal 18 Jahre teil. Eine Initiative, die erfolgreich ist, auch wegen des sehr moderaten Preises, der dank der Unterstützung des Bundesamts für Kultur angeboten werden kann. Für die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist der Kurs sogar kostenlos.
Kompetenzzentrum
Die Kurse sind aber nicht das einzige Angebot des Zentrums, das als nationales Kompetenzzentrum für traditionelles Handwerk gilt. Diese Funktion nehme es durch Dokumentation und Publikationen wahr, sagt Knüsel. «Wir haben diese Anerkennung über die Jahre durch fortlaufende Qualitätsarbeit erhalten. Kontinuität ist bei der Wissensvermittlung zentral.»
Die jüngste Anstrengung des Kurszentrums Ballenberg in diese Richtung ist eine Sonderausgabe des Informationsheftes auf Deutsch und FranzösischExterner Link, das den handwerklichen Kleinstberufen gewidmet ist. Aus Anlass der ersten Schweizer Berufsmeisterschaften «Swiss Skills», die kürzlich in Bern durchgeführt wurden, präsentiert das Heft über Lehrlinge 21 Berufe.
Die jungen Menschen – und einige schon etwas ältere – in Ausbildung erklären nicht nur, was genau sie in ihrem Beruf machen, sondern reden auch über ihre Motivation, Zufriedenheit, Schwierigkeiten und Erwartungen.
Das Ziel ist, mehr Junge in die immer seltener gewordenen Berufe zu locken, sowie über diese Berufe und deren Zukunftsfähigkeit zu informieren. Ein wichtiger erster Schritt ist getan: Die Broschüre stiess auf reges Interesse. «Alle Bildungs- und Berufsberatungen haben danach gefragt», so Knüsel.
Auch die Begeisterung und die Leidenschaft unter den Teilnehmenden am Zentrum Ballenberg scheint zu beweisen, dass gegenwärtig in der Schweiz eine gewisse Wiederentdeckung traditioneller Handwerksberufe stattfindet. Doch sicher ist auch, dass es nicht an Herausforderungen mangeln wird und die Anstrengungen des Teams im Oberländer Kurszentrum noch lange nicht ausgereizt sind.
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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