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Das moderne Gesicht der Schweiz

Das Nagelhaus in Zürich (links) muss einer Zufahrtsstrasse weichen. Keystone

Ein "Nagelhaus" in Zürich erregt in der Schweiz grosse Aufmerksamkeit: Die Eigentümer wehrten sich jahrelang gegen den Abriss wegen einer Zufahrtsstrasse – vergeblich. Enteignungen für Infrastrukturen sind in der Schweiz an der Tagesordnung.

Ein Arbeiterhaus aus dem 19. Jahrhundert steht einsam in der Industriezone neben einem modernen Luxushotel: Das Bild des Zürcher Nagelhauses ging durch die Medien und die sozialen Netzwerke. Die Eigentümer wehrten sich gerichtlich gegen die Enteignung, doch das höchste Schweizer Gericht befand die Strasse für wichtiger als die Rechte der Eigentümer. Nun wird das Haus abgerissen – unter lautem Protest von Bürgerinnen und Bürgern.

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Eigentlich ist der Abriss des Hauses gegen den Willen der Eigentümer in der Schweiz nichts Ungewöhnliches. «Enteignungen haben in der Schweiz eine lange Tradition – seit im 19. Jahrhundert die ersten Eisenbahnen gebaut wurden», sagt Professor Beat Stalder, Lehrbeauftragter für Enteignungsrecht an der Universität Bern. Als die Schweiz im 20. Jahrhundert Stauseen und Dämme für die Stromproduktion baute, wurden ganze Täler und Dörfer überflutet. Nicht immer überliessen die Bewohner ihre Häuser, Bauernhöfe und Kirchen dem Staat freiwillig.

Enteignung für Golfplatz oder Skilift

Auch heute sind Enteignungen von privatem Grund für Eisenbahnlinien, Strassen, Stauseen und Hochspannungsleitungen an der Tagesordnung. Das Bundesgericht – die höchste gerichtliche Instanz in der Schweiz – hat sogar schon Enteignungen für einen Golfplatz und einen Skilernlift gutgeheissen. «Grosse Infrastrukturprojekte wie Strassen- und Eisenbahnvorhaben kann man als privater Eigentümer kaum abwenden», bestätigt Stalder. «Der Gesetzgeber stattet die Ersteller solcher Werke mit dem Enteignungsrecht aus, um zu verhindern, dass ein einziger Eigentümer das ganze Projekt verhindern kann.»

Wie viele Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz jährlich enteignet werden, darüber führt der Bund keine Statistiken. In Zürich sind es nach Auskunft der Stadt zehn pro Jahr, meist könne man sich aber gütlich einigen. «Es kommt relativ selten zu gerichtlichen Enteignungsverfahren», sagt auch Stalder. Der blosse Umstand, dass enteignet werden könne, führe häufig zu einer aussergerichtlichen Einigung.

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SRF, Schweiz aktuell vom 25.04.2013. Teile in Dialekt; für Untertitelung «UT» anklicken

Im internationalen Vergleich steht die Schweiz bezüglich Respektierung von Eigentumsrechten denn auch nicht schlecht da: Gemäss dem International Property Rights Index 2015Externer Link der «Americans for Tax Reform’s Property Rights Alliance» liegt die Schweiz auf Platz 6 von 129 erfassten Ländern. Der Index berücksichtigt nebst der politischen Stabilität auch den Schutz der Eigentums- und Urheberrechte.

Zersiedelung und Gentrifizierung

Warum also der Wirbel um das Nagelhaus in Zürich? Die Politaktivisten protestieren nach eigenen Angaben gegen die Modernisierung des Quartiers, gegen Gentrifizierung und das Vernichten von bezahlbarem Wohnraum. «Die Stadtentwicklung machte in diesem Fall einen Sprung», bestätigt auch der Sprecher der Stadt Zürich. «Normalerweise entwickelt sich die Stadt langsamer weiter.»

Der Protest gegen die Enteignung des Nagelhauses erzählt uns viel über die moderne Schweiz: Längst ist sie kein Land der grünen Hügel und weidenden Kühe mehr. Besonders das Mittelland ist stark verstädtert. Die Bevölkerung wächst, das Land wird zersiedelt. In den Städten werden einst günstige Quartiere aufgewertet, so dass sich die ursprünglichen Bewohner die Mieten nicht mehr leisten können.

Das Freilichtmuseum BallenbergExterner Link im Berner Oberland widmet die aktuelle JahresausstellungExterner Link dem Thema «Siedlungsraum im Wandel». In den letzten 50 Jahren sei es zu einem Umbau der ländlichen Schweiz gekommen, heisst es auf der Website. Die Aussteller zeigen in Kurzfilmen, warum die in Ballenberg aufgestellten historischen Häuser an ihrem alten Standort weichen mussten und wie es dort heute aussieht. Wo einst ein Riegelhaus war, steht heute ein Wohnblock; wo Knechte schliefen, braust eine Eisenbahn vorbei – die Besucher erhalten anhand konkreter Beispiele ein Bild vom alten und neuen Gesicht der Schweiz.

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Wo führt diese Entwicklung hin? «In der Schweiz herrschen zunehmend enge Raumverhältnisse», sagt Stalder. «Gleichzeitig steigt der Bedarf an Infrastrukturen.» Seine Prognose ist daher, dass es in Zukunft vermehrt zu Enteignungen kommen wird.

Unter welchen Bedingungen darf Ihrer Meinung nach ein Eigentümer enteignet werden? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren!

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Nagelhäuser in China

Der Begriff «Nagelhaus» ist in China entstanden, wo seit dem wirtschaftlichen Aufschwung viele Grossbauprojekte verwirklicht werden. Häufig müssen Wohnhäuser neuen Hochhäusern, Supermärkten oder Strassen weichen. Einige Eigentümer wollen ihr Heim nicht aufgeben oder sind mit der angebotenen Entschädigung nicht zufrieden. Weil das Gesetz in China keine Zwangsräumungen vorsieht, können die Eigentümer die Sache aussitzen und einfach in ihrem Haus wohnen bleiben.

Die Bauherren müssen in solchen Fällen ihr Bauprojekt um das Haus herum verwirklichen. Es gibt viele bekannte Bilder aus China von so genannten «Nagelhäusern», die einsam aus einer Grossbaustelle oder einer Autobahn herausragen. Von da kommt der Begriff «Nagelhaus»: Das Haus wird mit einem widerspenstigen Nagel verglichen, der nicht ins Holz eingeschlagen werden kann.

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