Neue Workshops für Imame sind beliebt
Mehr als die Hälfte der 120 Imame in der Schweiz hat an einer neuen Weiterbildungsreihe des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft SZIG teilgenommen, um sich mit den schweizerischen Gegebenheiten vertraut zu machen. SZIG-Direktor Hansjörg Schmid zieht im Interview Bilanz.
Das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg bot in diesem Jahr spezielle Weiterbildungen für Imame an. Das einjährige Programm stiess auf grosses Interesse: Etwas mehr als die Hälfte der 120 Imame in der Schweiz nahm an den Workshops teil. Für die muslimischen Geistlichen bot sich die Gelegenheit, sich mit den Verhältnissen in der Schweiz vertraut zu machen und zu lernen, wie sie ihren vielfältigen Aufgaben gerecht werden können. SZIG-Direktor Hansjörg Schmid zieht im Interview eine erste Bilanz.
swissinfo.ch: Herr Schmid, woraus bestand das Weiterbildungsangebot am SZIG konkret?
Hansjörg Schmid: Es ist ein zweigleisiges Programm, denn in der Schweiz gibt es zwei grosse Gruppen von Imamen.
Es gibt jene, die in die Schweiz kommen und Orientierung suchen, damit sie den rechtlichen Kontext, den Platz der Religion in der öffentlichen Sphäre oder die Situation ihrer Gemeinschaften oder von Jugendlichen besser verstehen. Dafür boten wir eher einführende Workshops an.
Zum anderen gab es die Angebote für Prediger, die bereits seit mehreren Jahren in der Schweiz leben. Zum Beispiel gab es zwei verschiedene Kurse zum Thema Kommunikation: Einer, der den Schwerpunkt auf die Kommunikation innerhalb der Gemeinschaft legt. Hier lernten die Teilnehmenden vor allem, was es bedeutet, zielgruppenorientiert zu predigen.
Im zweiten Workshop ging es um die Kommunikation mit der breiten Gesellschaft, vor allem mit den verschiedenen Behörden. Es ist uns wichtig, dass die Imame das, was sie in den Workshops lernen, schnell in die Praxis umsetzen können.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf allgemeinen Begegnungen mit der Schweizer Gesellschaft. Beispielsweise organisierte ein Imam eine Blutspendeaktion mit dem Roten Kreuz, um sich stärker einzubringen.
Was ist das grösste Problem, dem die Imame bei ihrer Tätigkeit in der Schweiz begegnen?
Imame werden mit einer Vielzahl von Erwartungen und Anforderungen konfrontiert. Es ist ein bisschen so, als wäre der Imam eine Art Wunderheiler, der alle persönlichen Probleme innerhalb der Gemeinde lösen und auch als Ansprechpartner für die Behörden bei Problemen mit Jugendlichen, Integrationsschwierigkeiten oder Radikalisierungsprozessen dienen soll.
Imame werden als Experten für all diese Themen angesehen und es ist für sie schwierig, über alle Kompetenzen zu verfügen, um diese vielfältigen Aufgaben zu bewältigen.
Viele kannten das nicht. In der Türkei zum Beispiel ist ein Imam primär dafür zuständig, die Moschee zu betreuen, das Gebet zu leiten oder zu predigen. Hier in der Schweiz erweitert sich seine Rolle erheblich: Er muss die Mitglieder seiner Gemeinschaft ständig begleiten oder als Vermittler fungieren.
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«Integration ist nicht das Gegenmittel zur Radikalisierung»
Imame entstammen verschiedenen Gemeinschaften. Gibt es Unterschiede in Bezug auf ihre Probleme und Erwartungen?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber Ausbildung und Rekrutierung der Imame sind unterschiedlich.
Ein Grossteil der türkischen Imame wird im Rahmen eines offiziellen Verfahrens rekrutiert. Sie werden mit dem Status eines Beamten für einen Zeitraum von rund fünf Jahren in die Schweiz geschickt. Mit dieser Situation ist eine besondere Herausforderung verbunden, da sie oftmals noch nicht sehr gut mit der Sprache und Kultur in der Schweiz vertraut sind.
In den albanisch- und bosnischsprachigen Gemeinschaften bleiben die Imame wesentlich länger im Amt, sodass eine Verwurzelung mit der Schweiz vonstattengeht.
Bei den Arabischsprachigen ist es so, dass viele Imame keine klassische Ausbildung absolvierten, sondern als Studenten oder Arbeiter in die Schweiz kamen. Da sie über gute religiöse Kenntnisse verfügten, wurden sie von Gemeinden rekrutiert.
Vor einigen Jahren, als zahlreiche islamistischen Attentate verübt wurden, gerieten auch die Imame in der Schweiz in den Fokus. Es wurde kritisiert, dass viele in Fremdsprachen predigen und deshalb auch radikale Reden halten können, ohne dass sie den Behörden auffallen. Hat sich die Situation der Sprache inzwischen verändert?
Ja, sehr sogar. Man könnte von einem Paradigmenwechsel sprechen. Immer häufiger predigen Imame sowohl in ihrer Herkunftssprache als auch in einer Landessprache.
Die Gemeinschaften werden auf natürliche Weise mehrsprachig, da die in der Schweiz geborene Generation die Landessprachen oft besser beherrscht als ihre Herkunftssprachen. Schätzungen zufolge werden in mindestens der Hälfte der Moscheen die Predigten zweisprachig gehalten.
Dies ist ein starkes Zeichen dafür, dass der Islam und die Imame eher eine schweizerische als eine ausländische Realität geworden sind. In zehn oder zwanzig Jahren wird es normal sein, in den Landessprachen zu predigen.
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Zur eigenen Religion finden
Ein weiteres Problem, das oft angesprochen wird, ist die Finanzierung und Ausbildung von europäischen Imamen durch die Türkei oder Golfstaaten. Gibt es auch hier eine Entwicklung oder wird das Problem überbewertet?
Es wird oft überbewertet, denn selbst wenn Imame anderswo ausgebildet werden, haben sie ihren eigenen Charakter, ihren eigenen Werdegang und ihre eigenen Motivationen. Man muss sie als Individuen behandeln und darf ihnen nicht sofort das Etikett einer «türkischen» oder «arabischen» Institution aufkleben.
Die Frage könnte sich vor allem für türkische Imame stellen. Wir haben in den Workshops aber festgestellt, dass es keinen politischen Diskurs gibt, was auch den Richtlinien für diese Imame entspricht. Darüber hinaus beinhaltet die theologische Universitätsausbildung in der Türkei eine interdisziplinäre Öffnung, etwa in Richtung Psychologie, was bei der Bewältigung der vielfältigen Probleme der muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz hilfreich sein kann.
Die Golfstaaten und vor allem Saudi-Arabien vergeben Stipendien, um Studenten anzuziehen, in der Hoffnung, dass diese dann ihre oft extreme Auffassung des Islams verbreiten. Wir haben jedoch festgestellt, dass zum Beispiel eine Person, die aus dem Balkan stammt und in Saudi-Arabien studiert hat, ihren freien Willen behält und die weniger strengen Aspekte des Islams, die sie in ihrer Jugend gelernt hat, integriert.
Ausserdem ist der Ort der Ausbildung nicht alles. Man kann sich auch radikalisieren, wenn man seine gesamte akademische Laufbahn in der Schweiz absolviert hat.
Apropos Ausbildung in der Schweiz: Wäre es denkbar, dass die Grundausbildung der Imame eines Tages in der Schweiz stattfindet?
Ich glaube nicht, dass dies zurzeit realistisch ist. Es würde viele Ressourcen erfordern, um einen vollständigen Studiengang in islamischer Theologie anzubieten.
Es besteht auch die Gefahr, dass die Einmischung des Staates in die Imam-Ausbildung von den Gemeinden nicht akzeptiert würde. Andererseits verleiht ein Studium im Ausland eine gewisse Legitimität.
Ich denke daher, dass die derzeitige Lösung, das heisst eine Grundausbildung im Ausland und eine Zusatzausbildung in der Schweiz, immer noch die pragmatischste ist.
Ist die Tatsache, dass – abgesehen vom türkischen Fall – die Gemeinden ihren Imam selbst wählen, ein Wegbereiter für die Entstehung eines spezifisch schweizerischen Islams?
Ja, das kann dazu beitragen. Aber ich finde es wichtig zu betonen, dass es nicht nur die Imame sind, die einen Schweizer Islam aufbauen. Für die jüngere Generation ist der Schweizer Islam bereits heute Realität.
Imame spielen zwar eine Rolle, aber sie sind nicht allmächtig. Wie bei Priestern oder Pfarrern setzen die Gläubigen nicht unbedingt alles um, was gepredigt wird. Wir stellen auch fest, dass es einen kritischen Diskurs gibt, zum Beispiel von Frauen, die mit den Imamen nicht einverstanden sind, weil sie ihrer Meinung nach ihre Situation vernachlässigen.
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Wo ist denn der Platz der Frauen? Könnte man sich vorstellen, dass es in der Schweiz eines Tages weibliche Imame geben wird?
Gemäss der Mehrheitstradition im Islam sind Männer für diese Funktion zuständig. Es gibt aber immer mehr Frauen in den Gemeinden, die eine aktive Rolle spielen, zum Beispiel in der spirituellen Begleitung in Spitälern, in der Jugendarbeit oder in der Erziehung.
In unseren künftigen Ausbildungsgängen wollen wir diese Frauen, die bestimmte Funktionen eines Imams übernehmen, besser integrieren.
Leider haben die Gemeinden oft nur wenige finanzielle Mittel. Viele Frauen arbeiten daher ehrenamtlich – wie auch einige Imame. Die Tatsache, dass sich Frauen in den Gemeinden engagieren, markiert aber eine Dynamik, die sich in Zukunft vielleicht auch auf andere Funktionen erstrecken kann.
Adaptiert aus dem Französischen von Christoph Kummer.
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