Ein Schweizer Kochschiff für die Zukunft Ecuadors
Indigene Gruppen im Amazonasbecken Ecuadors werden von Ölfirmen, illegalen Jägern und Holzfällern zunehmend an den Rand gedrängt. Der Schweizer Koch und Weltenbummler David Höner sieht im kommunalen Ökotourismus einen Ausweg. Deshalb lernen Kichwa auf seinem Kochschiff, wie man Touristen mit lokalen Produkten begeistert.
Dieser Artikel wurde finanziell durch den Medienfonds «real21 – die Welt verstehen»Externer Link unterstützt.
Als unsere Flussfähre um sieben Uhr ablegt, liegt der Rio Napo noch in dichtem, graugrünem Nebel. Vom mächtigen Fluss ist lediglich ein dünner Streifen dreckigen Brauns zu sehen. Das undurchdringbare Grün des endlosen Regenwaldes am anderen Ufer lässt sich erst erahnen. Wir sind im Amazonasbecken Ecuadors, genannt «Oriente», 100 Kilometer südlich des Äquators, wo die Sonne nicht scheint, sondern brennt und die Luft fast so feucht ist wie der Schweiss, der einem tagsüber aus allen Poren rinnt.
Nach Ankunft auf der anderen Flussseite balanciert David Höner über eine dünne Holzlatte zum Ufer. Er kauft sich zum Frühstück einen Sack gekochte Wachteleier und macht eine erste Runde über den Markt von PompeyaExterner Link, zu dem Kichwa aus den benachbarten Dörfern jeden Samstag mit Kanus anfahren. Er vergleicht Preise, prüft die Qualität des Gemüses und schäkert mit den Verkäuferinnen. Man merkt sofort: Er ist vertraut mit den Menschen und Produkten des Landes.
Seit über 20 Jahren lebt der Schweizer Koch und Weltenbummler in Ecuador. Nach Stationen als Koch in der Schweiz, als Tangotänzer in Buenos Aires, Theaterautor in Berlin und Journalist in Kolumbien, liess er sich zusammen mit Frau und Sohn in Quito nieder. Dort, wo die Grundstücke günstig und die Freiheiten gross waren.
Mit Säcken voller Zwiebeln, Tomaten und Bohnen bahnt sich der 62-Jährige einen Weg zurück auf die Flussfähre. Dort erwarten ihn 18 Kichwa. Die meisten sind im Teenageralter, aber auch Frauen um die 40 sind dabei. Seit einer Woche sind sie Höners Schüler; lernen auf seinem Schiff, wie man Europäer mit Lebensmitteln aus dem Amazonas und etwas Kreativität begeistert, wie man Menüpreise kalkuliert und Amerikaner in ihrer Sprache begrüsst.
Die Lernenden sollen einst die Speerspitze des Tourismus im Oriente werden. Heute gilt es erstmals ernst; sie werden für Gäste kochen – keine alltäglichen Gäste, sondern solche, die sich für gewöhnlich ignorieren oder bekriegen.
Mit dem Kochlöffel für den Frieden
«Mit Kochen und Essen kann man Glück produzieren», erzählt Höner mit einer rauen, vom Leben und viel Zigaretten gezeichneten, Stimme. «Davon ausgehend lassen sich Brücken bauen, um verfeindete Gruppen wieder in einen Dialog zu bringen.» Mit seinem Schweizer Hilfswerk «Cuisine sans frontières»Externer Link (Csf) kocht Höner in Konfliktgebieten auf der ganzen Welt, zum Beispiel in Kenia, in Kolumbien und Georgien. Die Kochfähre in Ecuador ist das neuste und wahrscheinlich komplexeste Csf-Projekt.
Für Aussenstehende sind die Spannungen im Oriente nicht auf Anhieb erkennbar. Sie offenbaren sich im Pumpgeräusch von rostigen Pipelines, in Flammen von abgefackeltem Methan oder in militarisierten, mit Stacheldraht umzäunten Industrieanlagen inmitten des Dschungels.
Seit den 1970er-Jahren werden im Oriente neue Ölplattformen, Pipelines und Strassen zur Erschliessung der fossilen Brennstoffe gebaut. Illegale Jäger, Holzfäller und Viehzüchter zogen nach. Regenwald wurde zerstört und verschmutzt. Die Hauptleidtragenden waren stets die Indigenen; die Waorani, Shuar, Siona, Secoya, Cofán und die im 19. Jahrhundert von Kautschukbaronen als Arbeiter verschleppten Kichwa aus der Sierra. Für sie ist der Regenwald Lebensraum, Ernährungsgrundlage, Quelle für Medizin und das Zentrum ihrer Kultur.
Mit dem Einfall der Erdölunternehmen verloren sie Land, Jagdgründe und Traditionen. Zum Überleben und getrieben vom Versprechen eines komfortableren Lebens heuerten viele selbst als «Petroleros» an, als einfache Bauarbeiter, Transporteure oder Guides bei Ölunternehmen. Seit der Erdölpreis vor drei Jahren auf ein Rekordtief gefallen ist, verloren Tausende ihre Jobs.
Ökotourismus statt Erdöl
«Die Kichwa am Rio Napo brauchen eine Alternative zum Erdöl», sagt Höner. «Und der kommunale Ökotourismus ist die beste.» Davon sind mittlerweile auch eine Reihe von lokalen Umwelt-NGO, Indigenen-Verbände und Entwicklungsagenturen wie die deutsche GIZ überzeugt.
Zudem unterstützt die Provinzregierung seit einigen Jahren von den Gemeinden selbstverwaltete Tourismusprojekte. Bisher jedoch mit mässigem Erfolg: «Entlang der 300 Kilometer Fluss zwischen Coca und Nuevo Rocafuerte an der Grenze zu Peru leben um die 70’000 Menschen in 75 Gemeinden», erzählt Höner. «Die Hälfte der Gemeinden betreibt bereits eine Lodge, aber nur ein Fünftel davon funktioniert tatsächlich.»
Meist sind es einfache Bungalows, gezimmert aus lokalem Holz und mit geflochtenen Palmblättern als Dach; gebaut mit viel Hingabe und grossen Ambitionen. Doch viele verrotten in der tropischen Feuchte, weil niemand weiss, wie man solche Dschungelresidenzen in den USA und Europa an den Mann bringt. Und was die Touristen erwarten, die von weit hierhin reisen, um mit etwas Glück Brüll-, Kapuziner- oder Sakeaffen, Anakondas, Kaimane und Tapire aus nächster Nähe zu erleben. Überall fehlt es an Wissen im Umgang mit Touristen, weiss Höner.
«Ganz besonders wenn es ums Essen geht; der Schlüssel für ein erfülltes Urlaubserlebnis.» Denn Kichwa sind genügsam und kochen spartanisch – Bohnen, Reis und gekochten Maniok, oft nur mit etwas Salz gewürzt. Das langweilt den variationsverwöhnten Europäer schon am zweiten Tag. Die Jungen informieren sich deshalb über Internet und Facebook, was man im Westen isst und versuchen, dies zu kopieren. «Meist mit wenig Erfolg», wie Höner weiss.
Am ersten Kurstag versammelte er deshalb seine 18 Schülerinnen und Schüler aus Pompeya und Indillama auf dem überdachten Heck und setzte zu folgender Begrüssungsrede an: «Der Oriente hat grosses touristisches Potenzial. Aber die Touristen kommen nicht, um verkochte Spaghetti mit Ketchup zu essen und lauwarme Cola zu trinken. Sie wollen auch nicht jeden Abend Bohnen mit Reis. Touristen kommen in den Oriente, um Eure Kultur und die Vielfalt der hiesigen Produkte kennenzulernen.»
Danach schickte er seine Schüler in die Küche. Dort lernen sie, wie man aus Kochbananen Suppen, aus Baumtomaten scharfe Saucen (Aji) und aus Palmherzen Salate zubereitet. Oder dass sich aus Sapote, Chonta, Guanábana, Guave und Limón mandarina süsse, aromatische Säfte pressen lassen.
Versöhnung bei Bohnen und Bananen
Höners Fähre ist zugleich Ausbildungsstätte und eine neutrale Plattform für Begegnungen. Er will damit auch Brücken zwischen den Menschen im Oriente bauen. Deshalb arbeitet er stets mit zwei Gemeinden gleichzeitig. Und deshalb hat er am Samstag nach der ersten Kurswoche vor dem Markt in Pompeya nicht nur eine Gruppe Kichwa, sondern auch eine Gruppe Waorani zum Mittagessen aufs Schiff eingeladen.
Letztere sind gefürchtete Krieger und ausgezeichnete Jäger. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu Scharmützeln zwischen den beiden Gruppen. Meist geht es um Land und Jagdreviere; manchmal auch nur um hartnäckige Vorurteile. Höner will, dass die Gruppen lernen, zusammenzuarbeiten – zu ihrem eigenen Wohl.
Denn sein langfristiger Traum ist eine ökonomisch und ökologisch nachhaltige Tourismusregion, die von den indigenen Gruppen selbst verwaltet wird. Aktuell knüpft er ein Netzwerk aus Hotels, Öko-Lodges und Unternehmen, um seinen besten Schülern einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Und in El Coca will er eine Buchungszentrale aufbauen, über welche die Indigenen ihre kommunalen Ökotourismusprojekte am Napo selbständig verkaufen können. Gekoppelt mit einem Markt für lokale Produkte und angeschlossen an ein Restaurant mit gehobener Amazonasküche. Das werde zwar ein Stück weit zur «Disneylandisierung» des Amazonas beitragen, gesteht Höner. Aber er sieht keine bessere Alternative: «Entweder werden die Indigenen über den Tourismus Teil der Globalisierung, oder sie werden von ihr ausgelöscht.»
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