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Ohne Ausländer würden viele Alpen verganden

Die Deutsche Saskia Ambrass beim Käsen im Hasliberg. Sie betreut alleine 27 Kühe. diekaesemacher.ch

Wenn der Sommer naht, ziehen tausende Sennen mit ihren Kühen, Rindern, Schafen oder Ziegen auf die Alp. Den harten Sommerjob verrichten aber längst nicht mehr nur Einheimische. Zu einem guten Drittel stammt das Alpen-Personal aus dem benachbarten Ausland.

 «Der Tag beginnt um fünf Uhr in der Früh: Man holt die Kühe von der Weide, melkt sie, lässt sie raus, beginnt mit dem Käsen, das bis gegen Mittag dauert, mistet den Stall, kehrt und pflegt die 8-13 kg-schweren Käselaibe im Käsekeller, kontrolliert die Rinder weit oben auf dem Berg, holt um 16 Uhr die Kühe, melkt sie, lässt sie wieder raus, macht den Stall, dann hat man noch Schweine, die man füttern muss. Arbeitsschluss ist um 20 Uhr oder später.»

Sarah Fasolin weiss, wovon sie spricht. Zwischen 2003 und 2008 verbrachte sie drei Sommer als Sennin auf Alpen im Berner Oberland. Dabei fiel ihr auf, dass ein beträchtlicher Teil des Personals auf den Nachbaralpen aus dem Ausland stammte.

Unterstützung aus dem Ausland

«Ich war erstaunt, denn ich hatte die naive Vorstellung, diese traditionsreiche Arbeit werde vor allem von Schweizern gemacht.» Sie realisierte, dass die Bergbauern Probleme bei der Personalsuche haben und immer mehr Ausländer in die Lücke springen. Schweizer Alpkäse wird also nicht zwingend von einem bärtigen «Alpöhi», sondern vielleicht von einer Lehrerin aus Deutschland fabriziert. Die Milch allerdings stammt zu hundert Prozent von Schweizer Vieh.

Fasolin wollte dem Phänomen, dass ein urschweizerisches Metier immer mehr in die Hände ausländischer Arbeitskräfte gelangte, auf den Grund gehen und filmte einen Sommer lang auf der Oltscherenalp und der Balisalp im Berner Haslital.

Sie untersuchte das Arbeitsverhältnis und Zusammenspiel zwischen ausländischen Sennen und deren einheimischen Bauern. Es entstand der Film «Die Käsemacher», ihre Masterarbeit im Studium der Sozialanthropologie.

Die Zeiten ändern sich

Früher waren die Familien noch grösser. Die Jüngeren gingen auf die Alp, versorgten die Kühe und machten den Käse. Andere blieben im Tal, mähten die Wiesen und brachten das Heu für den Winter ein.

Mit der Zeit wurden die Familien kleiner, die Jungen wanderten aus den Bergtälern ab und zogen andere, oft besser bezahlte Arbeiten vor. Seit den 1970er-Jahren werden für die Alpwirtschaft Leute aus dem Ausland angeheuert, Tendenz steigend.

So kommen seit einigen Jahren zunehmend Sennen und Senninnen aus dem Ausland, aus Deutschland, Österreich, Italien, auch aus Polen. Es sind Einzelpersonen, junge Familien oder Paare, die sich für zwei bis drei Monate auf einer Schweizer Alp niederlassen und für einen meist bescheidenen Lohn diesen kräftezehrenden Job auf sich nehmen.

Härter als erwartet

«Da prallen Lebenswelten aufeinander», sagt Sarah Fasolin. Ein Bergbauer und ein Älpler aus dem Unterland hätten oftmals einen völlig unterschiedlichen Hintergrund und andere Kommunikationsarten.

Eine zusätzliche Hürde für ausländische Sennen und Senninnen sei – neben dem bürokratischen Aufwand – die Sprache. Es könne zu Missverständnissen und Konflikten kommen.

Das grösste Problem ist laut der 33-jährigen Sozialanthropologin aber, dass sich viele Leute falsche Vorstellungen machten. «Sie wissen zwar, dass es streng wird, eine dermassen hohe Belastung erwarteten sie aber dennoch nicht.»

Grosse Bandbreite

Der typische Älpler existiert für Sarah Fasolin nicht. «Es gibt solche, die der Zivilisation entfliehen und eine Auszeit brauchen, andere suchen die Nähe zur Natur, es gibt Leute, die Tiere mehr lieben als Menschen. Manche wiederum suchen ganz einfach einen Job.»

Gemeinsam ist allen ein Sommer lang harte Arbeit. Fasolin bezeichnet das Alpleben gar als Extremsituation, als eine körperliche und psychische Herausforderung. «Man macht jeden Tag das Gleiche, jede Minute ist verplant, das gewohnte Umfeld ist weg, man ist viel allein. Es gibt Sennen, die aufgeben, weil sie an ihre Grenzen kommen.»

Zudem könne es zu zwischenmenschlichen Problemen kommen, zwischen Bauern und Sennen oder auf grösseren Gemeinschaftsalpen, wie auf der Oltscherenalp, innerhalb eines Sennenteams.

Gelungenes Arrangement

Alles in allem arrangierten sich die Bauern jedoch gut mit ihren ausländischen Sennen, sagt Fasolin. «Den Bauern ist bewusst, dass es ohne Personal aus dem Ausland nicht geht, sie sind aufgeschlossen und haben im Allgemeinen wenig Vorbehalte. Sie haben einen gewissen Modus Vivendi gefunden.»

Allerdings beklagten Wanderer ab und zu, dass jetzt auch schon in den Schweizer Käsekellern Deutsche arbeiteten, was wiederum die Deutschen nerve. Die Schweizer sollten froh sein, dass jemand diese Arbeit mache.

Für die Alpbegeisterte ist klar, dass die Alpwirtschaft ohne Unterstützung aus dem Ausland nicht mehr funktionieren kann. Immer mehr Alpen würden verganden, wie das teils jetzt schon passiere. Sie glaubt denn auch, dass schwer erreichbare Alpen aufgeben müssen, gut erschlossene jedoch eine Zukunft haben.

Unheimlich schön

«Der Trend zur Rationalisierung nimmt zu. Es wird immer mehr Gemeinschaftsalpen mit einer gemeinsamen Käserei geben. Ein weiterer Schritt wäre, alle Kühe zusammenzunehmen und weniger Melker anzustellen.»

Die Alpwirtschaft ist im Wandel, die Globalisierung hat auch hier Einzug gehalten. Was bleibt ist «die Faszination, die unglaublich schöne Seite des Lebens in der Natur», sagt Sarah Fasolin, die auch diesen Sommer als Aushilfe für einen Monat auf die Alp geht.

«Draussen in den Bergen sieht man morgens um vier oder fünf Uhr Bilder, die man sonst nie sieht. Oder wenn man bei Schneegestöber oder Gewitter die Kühe holen muss, wenn es hagelt…das ist sehr intensiv und macht die Alp attraktiv.»

Der Dokumentarfilm «Die Käsemacher – Ausländische Alpsennen im Berner Oberland» wurde im Sommer 2009 gedreht und 2010 produziert.

Der 99-minütige Alpfilm ist die Master-Arbeit von Sarah Fasolins Studium in Sozialanthropologie. Einen Sommer lang begleitete sie Berner Bauern auf zwei Haslitaler Alpen und deren Senninnen und Sennen aus dem Ausland.

Im Oktober 2010 holte der Dokfilm am Science et Cité-Filmfestival in Bern den ersten Preis. Seit 2011 ist der Film in den Kinos zu sehen.

In der Schweiz gibt es 7300 Alpbetriebe, Tendenz sinkend, vor allem wegen Zusammenlegungen und wegen Aufgabe.

Im Jahr 2010 wurden 384’988 Tiere der Rindergattung gealpt, gleich viele wie im Vorjahr. Insgesamt sömmern auf den Alpen 93’000 Milchkühe und 31’000 Mutterkühe, zirka 260’000 Rinder und Kälber, 4400 Pferde, 29’000 Ziegen, 180’000 Schafe, 600 Exoten wie Büffel, Yaks, Lamas und 300 Gänse.

Es wird nirgends festgehalten, wie viele Leute den Sommer auf den Alpen verbringen. Es dürften um die 14’000 sein, davon schätzungsweise ein Drittel aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland, Österreich und Italien.

Dort, wo es traditionell viele Privatalpen hat, etwa in der Innerschweiz oder im St. Galler Oberland, ist der Ausländeranteil geringer als auf den Genossenschafts-Alpen.

Die Entlöhnung der Sennen und Hirten ist sehr unterschiedlich. Die Richtlöhne (Senn, Sennin: 155 – 200 Fr. pro Tag, Hirt, Hirtin: 135 – 175 Fr. pro Tag) werden nicht immer eingehalten. Private und kleine Alpen können oder wollen sich nicht daran halten.

Quelle:Tierverkehr-Datenbank TVD und zalp.ch, Internetseite der Älplerinnen und Älpler.

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