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Osteuropäerinnen pflegen Schweizer Senioren

Viele ältere Menschen brauchen Hilfe im Alltag. RDB

Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter, und die Nachfrage nach Pflegepersonal nimmt zu. Viele ältere Menschen ziehen es vor, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben. Aber ohne fremde Hilfe geht das nicht. Und die ist nicht ganz billig.

Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung kostet im Monat zwischen 10’000 und 30’000 Franken, wenn sie von Schweizer Betreuerinnen übernommen wird. Pflegepersonal aus dem Ausland arbeitet allerdings für einen Bruchteil dieses Betrags, hinzu kommen Kost und Logis.

Zahlen zu den ausländischen Pflegerinnen liegen keine vor. Ihre Zahl dürfte nach dem 1. Mai 2011 allerdings steigen. Dann werden die  Arbeitsbedingungen für acht osteuropäische EU-Staaten gelockert.

«Die Schweizer sind nicht arm, aber nicht alle können sich eine private Pflegerin leisten», sagt Bernhard Mascha, der Schweizer Vertreter von Seniorhilfe, einer Agentur mit Sitz in der Slowakei, die slowakisches und ungarisches Pflegepersonal in die Schweiz sowie nach Deutschland und Österreich vermittelt.

Seniorhilfe beschäftigt Pflegerinnen, die ihren Kunden bei der Hygiene helfen, aber auch im Haushalt mit Kochen und Waschen. Die monatlichen Auslagen belaufen sich auf rund 3000 Franken. Der Lohn hängt von der Erfahrung sowie den Deutschkenntissen der Beschäftigten ab.

Eine Familie, die in der Nähe von Interlaken lebt und sich lediglich als «Familie G» bezeichnen will, ist äusserst zufrieden mit den Leistungen, die ihre 91-jährige an Demenz erkrankte Mutter in Anspruch nimmt. Ein Zweierteam betreut die betagte Frau. Die beiden wechseln sich im Monats-Rhytmus ab.

«Seit August ist unsere Mutter in besten Händen. Die Zusammenarbeit mit den Pflegerinnen und der Organisation funktioniert bestens. Unsere Mutter erhält viel Zuwendung und kompetente Pflege rund um die Uhr.»

Bedürfnis vorhanden

«Offenbar gibt es einen Markt für dieses Angebot, sonst würden die Betreuerinnen nicht kommen», sagt Spitex-Sprecher Andreas Keller gegenüber swissinfo.ch. Spitex ist eine Non-Profit-Organisation, die spitalexterne Leistungen anbietet, wie etwa das Wechseln der Verbände sowie die Verabreichung von Medikamenten.

Laut Keller treffen die Spitex-Angestellten bei ihrer Arbeit immer öfters auf Berufskolleginnen, die bei ihren Patienten wohnen. Spitex-Hausbesuche werden von der Krankenkasse übernommen, die Rund-um-die-Uhr-Betreuung jedoch nicht.

Im Kanton Tessin klären zwei lokale Spitex-Filialen zur Zeit ab, ob es für sie Sinn machen würde, mit den so genannten «Senio-Duos» zusammenzuarbeiten.

Sprache und Kultur

Bei der Einstellung von Pflegepersonal sei allerdings Vorsicht geboten, man müsse sowohl die Pflege- wie auch die Sprachkenntnisse im Auge behalten.

«Patienten etwa, die an Alzheimer leiden, müssen rund um die Uhr betreut werden. Für das Pflegepersonal sind sie ziemlich anspruchsvoll – auch für Schweizer, die genau verstehen, was sie sagen. Es hat viel mit Sprache und Kultur zu tun», sagt Keller.

HausPflegeService, eine Agentur mit Sitz in Zürich, stellt vor allem Personal aus Deutschland an. Wie für Keller ist auch für deren Geschäftsführer Hanspeter Stettler die Sprache äusserst wichtig.

«Das Kulturbewusstsein ist auch ein Faktor. Wir haben eine Einführungswoche und Weiterbildung, um unseren Angestellten Kleinigkeiten zu erklären, wie etwa, dass Salatsaucen hier in der Schweiz anders sind – Kleinigkeiten, die für ältere Leute wichtig sind», so Stettler gegenüber swissinfo.ch.

Unerwünschter Wettbewerb

Auf die Frage, ob ihn die Konkurrenz aus Osteuropa beunruhige, sagt Stettler: «Nicht wirklich. Wir haben ein Betreuungskonzept mit qualifiziertem Personal. Zudem sind wir ziemlich bekannt.»

Anders als Stettler sieht es die selbständig arbeitende Krankenschwester Dagmar Michalina aus Basel: Aus zwei Gründen ist sie gegen den Zustrom von Pflegepersonal, das seine Leistungen zu günstigen Tarifen anbietet.

«Erstens arbeiten diese Pflegerinnen für einen Hungerlohn, das ist nicht korrekt. Zweitens sollte diese Arbeit von Leuten verrichtet werden, die in der Schweiz leben und Steuern bezahlen.»

Michalina weist darauf hin, dass es für sie als Selbständigerwerbende besonders schwierig sei, genügend Arbeit zu haben.

«Die Pflegerinnen aus Osteuropa arbeiten für ein paar Monate oder ein Jahr – mit einem regelmässigen Einkommen und einer Arbeitsgarantie für diese Zeit. Ich hingegen werde pro Stunde bezahlt, wenn meine Klienten mich brauchen.»

Wenn die Patientin heute sterbe, habe sie morgen kein Einkommen mehr. «Und ich habe eine Familie, die ich ernähren muss, hier in der Schweiz, wo die Lebenshaltungskosten hoch sind.»

Den Lebensunterhalt bestreiten

 

Renata kommt aus Polen und hat in den letzten zwei Jahren immer wieder als Pflegerin in Basel gearbeitet. Eigentlich ist sie Schneiderin, davon konnte sie in ihrer Heimat nicht leben. Als ihr eine Kollegin von dieser Arbeitsmöglichkeit in der Schweiz erzählte, beschloss sie, es zu versuchen.

Gemäss dem heutigen Gesetz kann Renata 90 Tage ohne Arbeitsbewilligung am Stück arbeiten. Sie würde es allerdings begrüssen, wenn sie länger am Stück bleiben könnte. Sie arbeitet jeden Tag für 1500 Franken im Monat. Sie würde zwar gerne mehr verdienen, findet aber dennoch, dass sie Glück habe.

«Ich arbeite für eine besondere Familie. Die Frau ist sehr gesund, so dass ich abends ausgehen kann. Und ich muss nie kochen. Ich kenne andere, die keine Freizeit haben und weniger Geld machen.»

Die Schweizer Bevölkerung wird von Jahr zu Jahr älter.

Einerseits stieg der Anteil der über 65-Jährigen 2009 auf 16,8%, auf der anderen Seite ging die Zahl der unter 20-Jährigen zurück (von 21,2% auf 21%.)

Im Jahr 1900 kamen auf 100 Personen im arbeitsfähigen Alter (20-64) 76 junge Menschen unter 20.

Dieses Verhältnis hat sich signifikant verändert: 2009 kamen nur noch 34 junge Leute und 27 über 65-Jährige auf 100 Personen im arbeitsfährigen Alter.

Die zunehmende Überalterung der Gesellschaft hat einerseits mit den rückläufigen Geburtenraten zu tun, andererseits mit der steigenden Lebenserwartung.  

Die höhere Lebenserwartung hat zur Folge, dass die Zahl älterer Menschen zunimmt.

2009 lebten in der Schweiz 371’604 Personen im Alter von 80 und mehr. 1960 waren es noch 82’857 gewesen.

Die Zahl der unter 20-Jährigen ist jedoch rückläufig: 1’636’125 waren es 2009 im Vergleich zu 1’703’750 im Jahr 1960.

Quelle: Bundesamt für Statistik

Über 75% der betagten Menschen in Schweizer Pflegeheimen haben gesundheitliche Probleme.

Gemäss einem Bericht des Bundesamts für Statistik leiden fast 2 von 5 an Demenz, über ein Viertel an Depressionen. Verbreitet sind auch Herz- und Kreislaufprobleme sowie Diabetes.

67% haben grössere Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Tätigkeiten wie Essen oder sich Anziehen. 

Das Durchschnittsalter der  untersuchten Senioren und Seniorinnen betrug 83.

(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

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