Palästinenser-Notfalldienste – noch nicht problemlos
Obschon auf politischer Ebene die Gräben nicht kleiner werden, versuchen israelische und palästinensische Hilfsorganisationen, mit dem Ausbau ihrer Zusammenarbeit viele der bestehenden Hürden zu überwinden.
Vor vier Jahren unterzeichneten der Palästinensische Rote Halbmond (PRCS) und Israels Roter Davidstern (Magen David Adom, MDA) eine Erklärung zur gegenseitigen Anerkennung ihrer medizinischen Notfalldienste.
Das Abkommen war unter Schweizer Vermittlung zu Stande gekommen. Es ebnete den Weg für die Aufnahme der beiden Organisationen in die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften im Juni 2006.
Vor kurzem zog der Delegiertenrat der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung in Kenia Bilanz: Trotz Fortschritten gilt es, weitere Herausforderungen zu überwinden. Der ehemalige finnische Aussenminister Pär Stenbäck, der als unabhängiger Beobachter die Umsetzung des Abkommens verfolgt, präsentierte bei dem Treffen in Nairobi seinen jüngsten Bericht.
Spezialspitäler in Westjerusalem schwierig zur erreichen
Stenbäck unterstrich Fortschritte bei der Zusammenarbeit, erklärte aber auch, beim Zugang von Bewohnern des Westjordanlands zu Spezialspitälern im arabischen Ost-Jerusalem gebe es noch immer Herausforderungen.
«Die Erklärungen, die wir erhielten, zeigten, dass der Bericht angesichts des Kriegs in Gaza und angesichts der Lage im Nahen Osten viel positiver ausfiel als erwartet», sagte Mohammed al-Hadid, Vorsitzender des Ständigen Ausschusses, am Telefon gegenüber swissinfo.ch aus Nairobi. «Natürlich werden wir erst zufrieden sein, wenn das Abkommen voll umgesetzt wird.»
Schon Jahre bevor das Abkommen 2005 unterzeichnet wurde, hatte es zwischen MDA und PRC in gewissen Bereichen eine begrenzte Zusammenarbeit gegeben. Und zwar auch während den immer wiederkehrenden Gewaltausbrüchen in der Region.
Probleme mit Zugang
Für eine Reihe praktischer Aspekte braucht es auch heute noch viel Koordination. So etwa bei Fahrten von Rothalbmond-Ambulanzen durch die palästinensischen Gebiete und Checkpoints, beim Zugang der Ambulanzen nach Jerusalem sowie beim Transfer von Patienten aus dem Gazastreifen nach Ost-Jerusalem.
Im Kern zielt das von der Schweiz vermittelte Abkommen darauf, dass die Zuständigkeit der beiden Organisationen durch den Verlauf der Grünen Linie [die im Waffenstillstand von 1949 zwischen Israel und seinen Nachbarn gezogenen Demarkationslinie] geregelt wird.
Ausser in Hebron können sich die Ambulanzen der Palästinenser-Organisation im Westjordanland heute frei bewegen. Ost-Jerusalem hingegen scheint die Grauzone des Abkommens zu sein.
Isrealische Ambulanzen erhalten Polizeischutz
«MDA wurde ein Problem für uns, sie wollen nun, dass wir die Drecksarbeit erledigen», sagt Amin Abu Ghazaleh, Leiter des Notfall-Departements des Palästinensischen Roten Halbmonds. Es geht dabei um Einsätze in Teilen Ost-Jerusalems, in denen die Regeln von israelischen Ambulanzen militärischen Begleitschutz verlangen, eine Praxis, die oft ernsthafte Verzögerungen verursache.
In solchen Momenten könne es auch sein, dass stattdessen eine Rothalbmond-Ambulanz geschickt werde. Die damit verbundenen möglichen Verzögerungen könnten jedoch ein Risiko für das Leben eines Patienten bedeuten, wofür dann dem Roten Halbmond die Schuld gegeben werde.
Noam Yifrach, Vorsitzender des MDA-Exekutivkomitees, sieht das anders. «Wer auch immer für eine Ambulanz anruft, dem schicken wir eine. Wir transferieren keine Anrufe an den Palästinensischen Roten Halbmond.»
«Sie möchten in Ost-Jerusalem freier operieren können, aber es gibt einfach gewisse Einschränkungen», sagt Yifrach. «Nach israelischem Gesetz ist MDA verantwortlich dafür, diese Leistungen zu erbringen.»
Ambulanz-Station
Eine Haupterrungenschaft des Abkommens war die Einrichtung einer Ambulanzen-Station in Ost-Jerusalem. Dies wurde möglich, weil sich der MDA bei den israelischen Behörden dafür stark gemacht hatte. Die fünf Ambulanzen des Roten Halbmonds, die neben vier Ambulanzen einer nahegelegenen Rothalbmond-Geburtsklinik parkiert sind, haben israelische Nummernschilder und eine Zulassung der israelischen Behörden.
Sie transportieren Bewohner aus dem arabischen Ost-Jerusalem in Spitäler in diesem Teil der Stadt. Nach eigenen Aussagen kann die palästinensische Organisation seit Juli dieses Jahres Patienten mit einer israelischen Identitätskarte auch in Spitäler im Westen der Stadt transportieren, die als besser gelten, sowie in Spitäler ausserhalb von Jerusalem.
Sobald es sich aber um Patienten aus dem Westjordanland handle, brauche es eine Reihe mühsamer Telefonanrufe. Es könne bis zu zwei Stunden dauern, bevor eine Ambulanz losfahren könne.
Die Lösung, unter dem Spitznahmen «Rücken-an-Rücken», besteht aus zwei Ambulanzen, die von beiden Seiten auf einen Checkpoint zufahren und dann den Patienten – oft ein Notfall – von der einen in die andere Ambulanz verladen. Diese Praxis war übrigens schon vor Abschluss des Zusammenarbeits-Abkommens genutzt worden.
«Es gibt keine Probleme mit der Passage von Rot-Halbmond-Ambulanzen zwischen den Palästinenser-Gebieten und Jerusalem»; argumentiert Yifrach. «Aber manchmal kann es zu Pannen kommen», sagt er. «In 99% der Fälle, die wir überprüften, hatte es sich einfach um Patienten gehandelt, die keinen Notfalltransport brauchten.»
Langsame Fortschritte
Beide Organisationen beteuern, sie seien ernsthaft an einer Zusammenarbeit interessiert. Aber in der Praxis kam es bisher zu keiner magischen Transformation. «Es gibt Fortschritte, aber nur langsam», sagt Imran Shawish, der beim Roten Halbmond Jerusalem für den Einsatz der Ambulanzen zuständig ist.
Ein Grossteil der Probleme scheint auf den widersprüchlichen Wünschen Israels zu fussen, die humanitäre Hilfe zu verstärken, gleichzeitig aber die Kontrolle über die Bewegung der Palästinenser zu behalten.
«So lange Israel eine Besatzungsmacht ist, ist es verantwortlich für die Gesundheitsversorgung (der Bewohner der palästinensischen Gebiete) und den Zugang dazu», sagt Ran Yaron von der israelischen Nichtregierungs-Organisation «Ärzte für Menschenrechte».
«Wir fordern, dass Israel den medizinischen Notfall-Crews der Palästinenser konkret volle Bewegungsfreiheit zugesteht.»
Die Dienste des Roten Halbmonds in Ost-Jerusalem seien nicht ausreichend, sagt er.
Seine Lösung: Bis auf politischer Ebene ein umfassendes Abkommen erzielt werden kann, sollte der MDA seine Dienste in Ost-Jerusalem auf ein Niveau ausbauen, das jenem im Westteil der Stadt entspricht.
Ido Liven in Israel, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
Der Entscheid die Organisation Magen David Adom und die Gesellschaft des Palästinensischen Roten Halbmonds 2006 in die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung aufzunehmen, machte den Weg frei für die Einführung eines dritten Symbols, des Roten Kristalls.
Das Emblem wurde im Verlauf von komplizierten, langen Verhandlungen entworfen. Es war darum gegangen, Israel in die Rotkreuz-Bewegung aufzunehmen, ohne dem von MDA verwendeten roten Emblem, das dem Stern auf der Flagge Israels glich, denselben Status zu verleihen wie dem Kreuz und dem Halbmond.
Wie das Rote Kreuz und der Rote Halbmond soll seit 2007 auch der Rote Kristall auf weissem Hintergrund Rettungskräften Schutz bieten, die in Konfliktzonen im Einsatz stehen.
Das Emblem des Roten Kreuzes, das seit 1864 offiziell genutzt wird, basiert auf der Schweizer Flagge, mit umgekehrten Farben.
Der Rote Halbmond wurde im Krieg zwischen Russland und dem Ottomanischen Reich (1876-1878) eingeführt. Das seit 1929 offiziell anerkannte Emblem fusst auf der türkischen Flagge mit umgekehrten Farben.
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