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75 Jahre Schweizer Ausbildung in Peru

Schülerinnen und Schüler posieren auf einem Pausenplatz
Am Colegio Pestalozzi in Peru werden 700 Schülerinnen und Schüler von 80 Lehrkräften unterrichtet. Colegio Pestalozzi, Peru

Die Pestalozzischule in Peru entstand inmitten der Wirren des Zweiten Weltkriegs. Nun feiert die fest in der Hauptstadt Lima verankerte Schule das 75-Jahr-Jubiläum. Urs Steiner, Generaldirektor des Colegio Pestalozzi, spricht über die Herausforderungen und das soziale Engagement einer Schweizer Ausbildung im Ausland, die dort oft nur der Elite zugänglich ist.

swissinfo.ch: Die Pestalozzischule in PeruExterner Link wurde 1943 gegründet, inmitten der grossen Krise in Europa. Was war das Motiv dafür?

Mann mit Glatze, lachend
Urs Steiner, der Direktor der Pestalozzischule. Se_Ni_Or

Urs Steiner: Die Schweizerinnen und Schweizer, die damals in Peru lebten und die Deutsche Schule besuchten, wollten nicht den Hitlergruss machen. Deshalb gründete man eine eigene Schule.

Erste Schritte in diese Richtung wurden 1941 unternommen, mit der Idee, die Schule 1942 zu eröffnen. Doch wegen der wirtschaftlichen Situation war es zunächst schwierig, jemanden aus der Schweiz holen zu lassen, um die Direktion dieser Institution zu übernehmen. Deshalb wurde das Projekt erst 1943 realisiert.

Paradoxerweise schloss die Deutsche Schule ihre Tore kurze Zeit später, und viele deutschsprachige Schülerinnen und Schüler traten deshalb in die Schweizer Schule ein.

swissinfo.ch: Peru und die Schweiz haben sich seither stark verändert. Wie würden Sie die Pestalozzischule 2018 beschreiben?

U.S.: Es ist eine Schule, in der wir die Schülerinnen und Schüler auf die künftigen Herausforderungen vorbereiten, denen sie sich werden stellen müssen. Heute wissen junge Menschen, dass sie lernen und sich ständig weiterbilden müssen.

swissinfo.ch: Welches sind die grössten Unterschiede zwischen dem peruanischen und dem schweizerischen Schulsystem? Und wie geht die Schule damit um?

U.S.: Der grösste Unterschied ist wohl die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Ich möchte festhalten, dass ich viele peruanische Lehrer mit einer ausgezeichneten Ausbildung habe, aber das ist an öffentlichen Schulen unmöglich, da nur wenige Menschen in Peru bereit sind, sich voll und ganz der Bildung zu widmen. Besonders, weil diese Arbeit nicht ausreichend vergütet wird.

Die Lehrerinnen und Lehrer an unserer Schule sind Chemikerinnen oder Ingenieure, welche die Universität abgeschlossen haben und hierherkommen, um beispielsweise Mathematik zu unterrichten. Wir haben auch Sprachwissenschaftler, die bestimmte Fächer wie Spanisch unterrichten. Die Schweizer Schule hat ein anderes Lehrerprofil als peruanische Schulen.

Wichtige Eckpunkte des Colegio Pestalozzi in Peru

1941: Der Verein Pestalozzischule unternimmt einen ersten Schritt zur Gründung einer Schweizerschule in Lima gemäss den Prinzipien des Pädagogen Johann Heinrich PestalozziExterner Link.

1942: Mit einer Sammlung wird die finanzielle Basis gelegt. Mit dem Geld sollen die anfänglichen Kosten und das Defizit, das in den ersten Jahren des Betriebs der Schule zwangsläufig entstehen wird, gedeckt werden. Der Zweite Weltkrieg verhindert vorerst eine Eröffnung, da die Rekrutierung von Schweizer Lehrkräften zu komplex ist.

1943:Konrad HuberExterner Link aus Meilen im Kanton Zürich erweist sich als idealer Kandidat für den Posten des Schuldirektors. Er stammt aus einer Lehrerfamilie, und sein Grossvater ist aus Argentinien eingewandert. Deshalb spricht Huber Spanisch, auch wenn er in der Schweiz geboren worden ist. Die Schule erhält ihre Lizenz und beginnt mit 16 Schülern.

swissinfo.ch: Ist der Unterricht mit einigen Anpassungen auf das Schweizer Programm abgestimmt, oder ist er eine Mischung zwischen dem peruanischen und dem schweizerischen System?

U.S.: Das Direktorium des Colegio Pestalozzi besteht immer aus einer Schweizerin oder einem Schweizer – in diesem Fall ich – und einer Peruanerin oder einem Peruaner. Beide stellen sicher, dass die Bildungsvorschriften ihres Landes eingehalten werden.

Das Ausbildungsprogramm ist eine Mischung aus den beiden, mit einer Dominanz der peruanischen Pädagogik. Der Unterricht findet auf Deutsch, Spanisch und Englisch statt.

swissinfo.ch: Wie viele Schüler und Lehrer sind gegenwärtig an der Schule?

U.S.: Wir haben etwa 700 Schülerinnen und Schüler sowie 80 Lehrkräfte. Fast 230 Studierende haben einen Schweizer Pass, die anderen haben die peruanische Staatsbürgerschaft. Die Ausbildung umfasst die Kindergartenstufen, sechs Jahre Primarstufe, drei Jahre Sekundarstufe und zwei Jahre Gymnasium (Matura).

swissinfo.ch: Diese Organisation ist anders als in vielen Ländern, wo es drei Jahre bis zur Matura dauert.

U.S.: Ja, in Peru läuft das anders. Die Jungen machen die Matura mit 17 Jahren und gehen dann an die Universität. Natürlich sind wir ein wenig frühreif…. Oder ein wenig klüger!

swissinfo.ch: Jede Schweizerschule im Ausland ist mit einem Kanton verbunden. In Ihrem Fall ist das der Thurgau. Was bedeutet das in der Praxis?

U.S.: Der Kanton Thurgau ist dafür verantwortlich, Kontrollen an unserer Schule durchzuführen. Alle zwei Jahre besucht uns jemand und hilft uns, Bereiche zu identifizieren, in denen wir uns akademisch und didaktisch verbessern können.

Eltern, Schülerschaft und Lehrpersonen werden befragt, und danach wird ein Bericht veröffentlicht. So sehen wir, wo wir uns verbessern können. In einer Gesamtschule ist es immer möglich, gewisse Elemente anzupassen, um sich zu verbessern.

swissinfo.ch: Unterstützt der Kanton Thurgau die Schule auch finanziell?

U.S.: Nein, wir erhalten das Geld nicht vom Kanton, sondern direkt vom Bund. Wir sind eine der 18 durch die Eidgenossenschaft anerkannten Schweizerschulen im Ausland.

Wir erstellen ein Budget und erhalten finanzielle Unterstützung, die vor allem von der wirtschaftlichen Situation des Landes abhängig ist, in dem sich die Schweizerschule befindet. In den letzten drei Jahren war die peruanische Wirtschaft in einer ziemlich schlechten Verfassung, weshalb wir für die Betriebskosten auf Schweizer Geld zurückgegriffen haben.

swissinfo.ch: Vor zehn Jahren haben Sie in einem Interview erklärt, das Bildungsniveau in der Schweiz sei im Rückgang. Hat sich die Situation verbessert?

U.S.: Ich kann mich nur dazu äussern, was ich in den Zeitungen lese und von meinen Lehrerkollegen höre. Ich glaube, dass jede Generation das Gefühl hat, es sei früher besser gewesen. Aber ich glaube, es wurden stets Anstrengungen unternommen, um sicherzustellen, dass die Ausbildung gut ist.

Heute müssen unsere Schülerinnen und Schüler beispielsweise gewisse Aufgaben während den Ferien erledigen. Wenn wir das hohe Bildungsniveau unserer Schule aufrechterhalten wollen, können wir die Studierenden nicht zwei Monate sein lassen, ohne dass sie etwas tun müssen. Schülerinnen und Schüler, die ans Colegio Pestalozzi kommen, streben nach einer guten beruflichen Zukunft, nach einem Universitätsstudium.

Johann Heinrich PestalozziExterner Link war ein Visionär der Schweizer Pädagogik. Er war überzeugt, dass die Bildung einen Unterschied machen kann, besonders bei Kindern aus Familien mit geringeren finanziellen Mitteln.

Er war immer bestrebt, die Fähigkeiten des Schülers zu entwickeln, indem er diesen als Individuum respektierte. Er plädierte dafür, die Lehrmethoden an die individuellen Qualitäten anzupassen und die Schüler nicht nach ihrem Alter, sondern nach ihren Fähigkeiten zu gruppieren.

Seine Methoden wurden in der Schweiz gut aufgenommen, besonders auf der Primarstufe (Grundschule).

swissinfo.ch: Johann Heinrich Pestalozzi war international dafür bekannt, dass er die Schüler ins Zentrum der Ausbildung stellte. Die Pestalozzischule in Peru ist eine Privatschule mit sehr hoher Qualität, aber mit Einschreibegebühren, die sich nicht alle leisten können. Wird sie damit zu einer Schule für die Elite?

U.S.: Natürlich sind wir nicht eine gemeinnützige Organisation, sondern eine Spezialschule. Ich muss präzisieren, dass das Konzept der «Elite» immer mit etwas Negativem verbunden ist. In der Realität braucht jedes Land eine Elite, aber wir müssen den Menschen einen sozialeren Ansatz vermitteln. Wir müssen ihnen beibringen, sich mehr um ihre Nächsten und nicht nur um sich selbst zu kümmern.

swissinfo.ch: Jede und jeder spielt in seinem Land und dessen Wirtschaft eine bestimmte Rolle. Die Philosophie von Pestalozzi aber war, die Bildung zu demokratisieren, um die Gesellschaft und das Individuum zu verbessern. Erreicht die Schweizer Bildung im Ausland dieses Ziel?

U.S.: Ich denke, ja. Wir arbeiten intern an einer demokratischen Bildung und sind bestrebt, diesen Wert an unsere Schülerinnen und Schüler weiterzugeben. Ich verlange immer von ihnen, eine Vision, Ideen und Projekte in ihrem Leben zu haben. Das ist die beste Art, immer vorwärts zu kommen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.

swissinfo.ch: Wie feiert das Colegio Pestalozzi seine 75 Jahre?

U.S.: Im Dezember sind verschiedene Veranstaltungen geplant. Wir haben einen Jahrmarkt vorgesehen, den die Elternvereinigung durchführt, Sportveranstaltungen auf einem Sportplatz der Schule südlich von Lima, eine künstlerische Nacht, die von den Schülerinnen und Schülern, von Ehemaligen und Eltern organisiert wurde, wie auch ein Konzert.

Zudem ist ein grosses Fest im Programm, das Ehemalige organisiert haben. Es wird in einem Hotel stattfinden, damit wir unsere Nachbarn nicht stören, denn wir erwarten mehr als 1200 Personen. Das wird eine grosse Feier!

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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