Pflümli aus Vietnam
Der Schweizer Markus Madeja ist in den 1990er-Jahren als Ethnologiestudent nach Vietnam gekommen. Heute besitzt er in Hanoi vier Restaurants und eine Schnapsbrennerei mit insgesamt 200 Angestellten.
«Ich habe Ethnologie studiert. In meinem Studium war damals immer von ‹Entwicklungsländern› die Rede. Ich fand diesen Begriff befremdend. Jedes Land entwickelt sich doch, auch die Schweiz», sagt Markus Madeja gegenüber swissinfo.ch.
Wir sitzen im Garten seiner Fabrik ausserhalb von Hanoi und trinken Grüntee.
«Jedenfalls wollte ich mir so ein ‹Entwicklungsland› einmal aus der Nähe ansehen. Dass ich ausgerechnet nach Vietnam kam, war ein Zufall und hatte vor allem damit zu tun, dass man damals so wenig über das Land wusste. Als dann Mitte der 1990er-Jahre die Reisebeschränkungen gelockert wurden, kaufte ich mir zusammen mit Freunden ein Zugticket: Moskau, Peking, Vietnam.»
1994 kam der Zürcher Markus Madeja in der Hauptstadt der sozialistischen Republik Vietnam an: «Hanoi sah damals noch ziemlich anders aus als heute», sagt er. Still wäre es gewesen, weil es kaum Autos und wenig Motorräder gab.
Abgesehen von den traditionellen Garküchen auf den Trottoirs, wo die berühmte Nudelsuppe «Pho» gereicht wird, gab es auch kaum Restaurants. «Wer etwas trinken wollte, musste sich durch schummrige Gassen tasten. Dort sassen Männer auf Plastikstühlchen und tranken Schnaps aus Plastikflaschen.»
Erfolgreicher Einstieg
Prekäre hygienische Bedingungen also, doch der Schnaps war gut. Madeja war fasziniert und sagte sich: «Das kann ich auch.» Er kaufte sich Kräuter, zerhackte diese, goss einen Krug mit Alkohol voll und liess die Mischung stehen. Dabei gehen Farb- und Aromastoffe in den Alkohol über.
Die Brände aus Madejas Küche fanden regen Zuspruch im Freundeskreis. Deshalb beschloss der Zürcher, professioneller Schnapsbrenner zu werden. Dass Madejas vietnamesische Frau aus einem traditionellen Schnapsbrennerdorf stammt, erleichterte diese Entscheidung natürlich.
Heute produziert seine Firma «Son Tinh» (Berggeist) gegen 100’000 Flaschen pro Jahr. Und zwar nicht nur traditionell vietnamesische Spezialitäten wie Reisschnaps mit Ginseng oder Kräutern, sondern auch Pflümli oder Zwetschgen. Madeja nennt die Schnäpse natürlich nicht so, aber die Art der Herstellung ist vergleichbar mit jener in der Schweiz.
Bloss dass Aprikosen und Zwetschgen aus Vietnam kommen. Überhaupt verwendet Madeja ausschliesslich einheimische Früchte und Kräuter, was angesichts des üppigen Angebots nicht erstaunt.
In der Ebene des Roten Flusses wachsen tropische Früchte wie Mango, Passionsfrucht oder Orange, im Hochland jene Früchte und Gemüse, die im 19. Jahrhundert von Europäern eingeführt wurden.
Am Stadtrand von Hanoi hat der Auslandschweizer für seine Schnapsbrennerei eine neue Lagerhalle aufbauen lassen. Mit sichtlichem Stolz führt der 40-jährige Unternehmer durch die Anlage, zeigt uns die aufwendige Herstellung von Korken und Etiketten, die riesigen Tanks, wo die einzelnen Destillate gelagert werden und schliesslich das Herzstück, den Brennkessel, ein Direktimport aus Markdorf am Bodensee. Ob damit der Pflümli noch besser schmecken wird?
Vietnamesisches Essen für vietnamesische Gäste
Madeja führt inzwischen auch vier Restaurants in Hanoi, die Eröffnung eines fünften Betriebes wird geplant.
Serviert wird einheimische Kost «with a twist», wie die Betreiber der Restaurants ihre Mischung aus nordvietnamesischem Essen und japanischen und europäischen Zutaten anpreisen.
Der absolute Renner und Stolz des Teams sind die Cat Fish Spring Rolls, angereichert mit Dill und einer Wasabisauce.
Sie stehen exemplarisch für die Frage, die Madeja seit seiner Ankunft in Vietnam beschäftigt: Wie kann man eine Tradition für die Zukunft erhalten? «Ich bin überzeugt, dass sich Traditionen nur erhalten lassen, in dem man sie verändert oder entwickelt. Das tönt zwar paradox, aber ich glaube, dass unsere Produkte von den Konsumenten als qualitativ hochwertige, in einer Tradition stehende Nahrungsmittel wahrgenommen werden.»
Die Restaurants sind gut besucht. Vor allem die männliche Kundschaft kommt nicht nur des guten Essens wegen, sondern auch, um im stilvollen Ambiente einen über den Durst zu trinken. So dringt denn öfters ein vielkehliges «Mot, hai, ba» herunter in die Küche. Das heisst «eins, zwei, drei» und ist die Aufforderung zum kollektiven Kippen des gut gefüllten Schnapsglases.
Christian Walther, Hanoi, swissinfo.ch
Fläche: 331’000 km2
Bevölkerung: 85 Millionen
Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf: 800 – 1000 Dollar (je nach Quelle)
Wirtschaftswachstum 2008 laut Währungsfonds: 5.5%
Vietnam gilt als eines der weltweit wichtigsten Exportländer von Kaffee, Tee, Reis und Fisch.
Der Erlös beträgt aber nur etwa 20% des BNE.
Den grössten Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistet die verarbeitende Industrie, namentlich die exportorientierte Produktion von Kleidern und Schuhen.
Die Schweiz unterhält seit 1971 diplomatische Beziehungen mit Vietnam und war somit eines der ersten westlichen Länder, das noch während des amerikanischen-vietnamesischen Krieges einen Botschafter nach Hanoi entsandte.
Vietnam ist Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit: Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unterhalten Verbindungsbüros in Hanoi.
Die Importe in die Schweiz 2008 betrugen 346 Mio. Fr.: Landwirtschaftliche Produkte, Edelmetalle, Edelsteine und Schuhe.
Die Exporte nach Vietnam beliefen sich im selben Zeitraum auf 250 Mio. Fr.: Maschinen, Pharma, Chemie.
Investitionen im Land stammen vor allem aus Taiwan, Malaysia und Südkorea.
Die Schweiz folgt auf der Investitionsliste auf Rang 19.
Die bekanntesten Schweizer Firmen vor Ort sind Holcim, ABB, Alstom und Nestlé.
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