«Polit-Klima gegen Minderheiten verschärft sich»
Türken, Tamilen, Juden, Roma, Rothaarige, Muslime,…: Minderheiten werden immer wieder als Sündenböcke abgestempelt. Dass dies fatale Folgen haben kann, zeigt die Geschichte. Weshalb lernen wir daraus so wenig?
Weshalb tun sich Menschen so schwer mit Andersartigen? swissinfo.ch geht diesem Fragenkomplex nach mit Gülcan Akkaya, Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Sie arbeitet als Projektleiterin und Dozentin am Institut für soziokulturelle Entwicklung an der Hochschule Luzern.
swissinfo.ch: Minderheiten werden von Mehrheiten seit Jahrtausenden als Sündenböcke missbraucht. Weshalb?
Gülcan Akkaya: Gruppen haben das Bedürfnis, sich abzugrenzen. Dazu können verschiedenste Kriterien dienen. Entscheidend ist, dass diese Abgrenzungen nicht das Existenzrecht der Andern in Frage stellen. Stereotypen können gefährlich sein: Alle Ausländer beziehen Sozialhilfe, sind kriminell.
Stereotypen finden sich nicht nur im Alltag, sondern auch in den Medien und in der Literatur. Wenn wir Vorurteile entkräften wollen, müssen wir sie offen legen und durch nicht diskriminierende Bilder ersetzen.
Die Art, wie in den letzten Jahrzehnten das Bild der Schwarzen in unseren Schulbüchern verändert wurde, kann als Beispiel dienen.
Gleichwohl finden Ausgrenzungen in der Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen weiterhin statt. Dies führt zu Diskriminierungen beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt, in den Medien, in der Politik und der Gesetzgebung.
swissinfo.ch: Die Diskriminierung betrifft nicht nur grössere Minderheiten wie Roma, Fahrende, Tamilen, Türken, Juden, Muslime. Auch Menschen, die offenbar nicht ganz der Norm entsprechen, wie Fettleibige, Rothaarige, nicht modisch Gekleidete, Menschen mit falscher Zahnstellung, können darunter leiden.
G. A: Es trifft zu, dass Ausgrenzungen nicht vor ethnischen oder rassischen Grenzen halt machen. Auch andere Bevölkerungsgruppen können diskriminiert werden, die von der Norm abweichen. Hingegen sind die Ursachen nicht immer dieselben und auch auf der Ebene der Massnahmen gibt es Unterschiede. Zweifellos gilt in beiden Fällen, dass die Förderung der Toleranz und Menschenrechtsbildung einen Beitrag leisten können.
Es braucht eine Politik des Einbezugs und der Anerkennung aller Menschen in diesem Land. Das ist eine wichtige Voraussetzung für den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität.
swissinfo.ch: Ist die Diskriminierung Andersartiger vielleicht auch ein Teil der menschlichen Natur?
G. A.: Tatsächlich wird die Diskriminierung Anderer nicht selten zur Identitätsbildung einer Gruppe verwendet. Ich meine aber, dass es auch zum Menschen gehört, dass er in dieser Beziehung lernfähig ist. Gerade die Entwicklung der Menschenrechte ist ein Beispiel dafür. Auch die Entwicklung einer Kultur, welche die Minderheiten schützt, gehört dazu.
swissinfo.ch: Aber auch in unserer Demokratie wird sehr viel mit Feindbildern wie Scheininvaliden oder anderen Ethnien gearbeitet.
G. A.: Ja, ich würde sogar sagen, dass sich das politische Klima gegenüber Minderheiten, seien es Schwarze, Muslime oder Asylsuchende, in den letzten Jahren verschärft hat. Und rechtspopulistische Parteien und zum Teil auch die Medien halten an diesen fremdenfeindlichen Typisierungen fest.
swissinfo.ch: Finden sich diese Mechanismen auch in anderen Kulturkreisen?
G. A.: Ein verzerrtes Bild von Anderen, von Fremden, kennen sicherlich alle Ethnien. Vorurteile kommen in allen Gesellschaften vor.
swissinfo.ch: Sind wir denn nicht fähig, aus begangenen Fehlern zu lernen?
G. A.: Teilweise ja. So hat beispielsweise Europa aus den vielen Jahrhunderten der Kriege in der jüngeren Geschichte gelernt, dass es auch ohne geht. Aber andererseits können wir auch feststellen, dass sich Ausgrenzungen und Diskriminierungen wiederholen, oft über Generationen hinweg.
Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa hiess es: «Nie wieder Krieg». Inzwischen wissen wir, dass die Wirklichkeit eine andere ist. Noch immer gibt es zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen.
swissinfo.ch: Und die Konflikte werden ja auch immer brutaler geführt. Um die Genfer Konventionen, die den Schutz der Zivilbevölkerung verlangen, kümmern sich viele kriegsführende Parteien überhaupt nicht.
G. A.: Brutal waren Kriege schon immer. Aber tatsächlich trifft die Gewalt heute vor allem die Zivilbevölkerung. Es ist deshalb entscheidend, darauf hinzuarbeiten, dass die Menschenrechte der Zivilpersonen auch in Kriegsgebieten nicht systematisch verletzt werden. Die Verteidigung der Menschenrechte ist jedoch nicht nur in Extremsituationen wichtig, sondern auch im Alltag einer friedlichen Gesellschaft, denn deren Verletzung ist immer Nährboden für Konflikte und Gewalt.
swissinfo.ch: Sie beziehen sich da auf die Minarett- oder die vor der Abstimmung stehende Ausschaffungsinitiative?
G. A.: Genau. Das sind Beispiele in unserem Land, in denen wichtige Grundsätze der Menschenrechte zur Disposition gestellt werden. Dies gilt beispielsweise auch für die aktuelle Diskussion um das Tragen des Kopftuches, für das Burka-Verbot, wo jeweils sehr schnell auf Stereotypen zurück gegriffen wird. Gerade bei solchen Debatten ist es wichtig, dass wir in der Gesellschaft Lösungen für Probleme finden, welche die Vielfalt der Menschen respektieren und vorbildlich sein können für das friedliche Zusammenleben der Menschen.
Etienne Strebel, swissinfo.ch
Gülcan Akkaya
Besitzt einen Master in Sozialer Arbeit und ist Projektleiterin und Dozentin am Institut für Soziokulturelle Entwicklung an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, wo sie zum Thema Menschenrechte und Gemeinwesenarbeit unterrichtet.
Sie befasst sich auch mit den Themen Migration und Integration und hat Erfahrung in konkreter Umsetzungsarbeit.
Seit 2003 leitete sie für Caritas Schweiz Projekte zur Förderung des interethnischen Dialogs und der Minderheitenintegration im Kosovo. 2008 wurde sie als Vizepräsidentin in die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) gewählt.
Integration für Migrantengruppen
Das Bundesamt für Migration (BFM) hat die Situation von Migrantinnen und Migranten aus Portugal, der Türkei dem Kosovo, sowie Somalia und Eritrea untersucht.
Die Studien sollen zeigen, welche Umstände Menschen aus verschiedenen Herkunftsländern prägen. Sie beinhalten Hintergrundwissen, aber auch Empfehlungen und Perspektiven.
Der Integrationsprozess von Zugewanderten aus dem Kosovo soll sich mittelfristig jenem von in die Schweiz eingewanderten Italienern und Spaniern angleichen. Bei Ausbildung und Berufseinstieg sind Kosovaren immer noch benachteiligt.
Viele Migranten aus Portugal kehren in ihr Land zurück oder planen dies. Nur wenige sind arbeitslos. Defizite werden bei der Beherrschung einer Landessprache gesehen.
Migrantenvereine spielen bei der Integration oft eine wichtige Rolle. Dies gilt insbesondere für Türkinnen und Türken: Die Migrantenvereine bieten in dieser Diaspora eine Anlaufstelle für Neuankömmlinge, vermitteln Informationen und nehmen eine Brückenfunktion zu Behörden wahr.
In der Diaspora der Somalier und Eritreer sind die Migrantenvereine wichtig für die Bekämpfung der weiblichen Genitalverstümmelung, die in Somalia und Eritrea weit verbreitet ist. In der Diaspora scheint bezüglich der Mädchenbeschneidung ein Umdenken stattzufinden, unter anderem dank der Präventionsarbeit von Migrantenvereinen.
Sowohl in Somalia als auch in Eritrea sind die Geschlechterrollen mehrheitlich patriarchalisch geprägt. In der Schweiz verlieren die Männer durch Arbeitslosigkeit und schlecht bezahlte Arbeit oft ihren Status als Familienoberhaupt, was zu Problemen führt.
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