Private Betreuungs- und Haushalthilfen: Stark gesucht, schlecht bezahlt
Die Menschen in der Schweiz werden immer älter. Um die Versorgung und Pflege alter Menschen zu gewährleisten, werden private häusliche Hilfskräfte immer gefragter. Doch ihre Arbeitsbedingungen sind häufig äusserst prekär. Im Kanton Tessin wollen Beraterinnen das ändern.
Die Nachfrage nach Hauspflege hat in der Schweiz im letzten Jahrzehnt stark zugenommen. Und voraussichtlich wird die Nachfrage weiter steigen, denn die Generation der Babyboomer, wie die geburtenstärksten Jahrgänge genannt werden, geht in den nächsten Jahren in Rente.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im Jahr 2018 – für 2019 fehlen die statistischen Erhebungen noch – haben die insgesamt 2168 öffentlichen und privaten Hauspflegedienste im Land (Spitex) 16,9 Millionen Pflegestunden für 367’378 Personen geleistet.
Dazu kommen mehr als 6 Millionen Stunden für Hilfe im Haushalt. Drei Viertel der betreuten Personen waren älter als 65 Jahre. In der Spitex arbeiten insgesamt 52’000 Pflegende, die sich 23’554 Vollzeitstellen teilen.
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Keine Grösse in offiziellen Statistiken
Neben den offiziellen Spitex-Diensten kommt bei der Betreuung von alten Menschen auch privaten Hauspflegekräften eine wichtige Funktion zu. Diese arbeiten stunden- oder tageweise, manchmal nur nachts, manchmal leben sie rund um die Uhr im gleichen Haushalt mit der betreuten Person.
Die Anstellungsbedingungen variieren in Abhängigkeit von den Bedürfnissen der betreuten Personen stark. So gibt es Pflegekräfte, die ihre Arbeitsbedingungen direkt mit ihrem Arbeitgeber aushandeln, andere werden über private Zeitarbeitsfirmen oder gemeinnützige Organisationen vermittelt.
Doch wie viele dieser privaten Pflegerinnen und Betreuer gibt es, die Senioren auf privater Basis betreuen? Wie viele Stunden arbeiten sie? Welche Löhne erhalten sie? Das Bundesamt für Statistik (BfS) verfügt dazu über keinerlei offizielle Zahlen, wie es auf Anfrage festhält. Es gibt nicht einmal Schätzungen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) erklärt auf Anfrage immerhin, in einem Bericht des Bundesrats aus dem Jahr 2016 gebe es einige Hinweise.
Der damalige Bericht befasst sich allerdings nur mit «pendelnden Migranten», das heisst Personen, die in der Schweiz vorübergehend arbeiten (zwischen zwei Wochen und drei Monaten), manchmal nach Hause fahren, aber in ihrer Zeit in der Schweiz praktisch rund um die Uhr für betreute Personen zur Verfügung stehen. Die Schätzung ging davon aus, dass zirka 10’000 dieser Kurzaufenthalterinnen und Kurzaufenthalter Menschen in der Schweiz betreuen und dass ihre Zahl ständig ansteigt.
Angst um die Arbeitsstelle
Diese «statistische Unsichtbarkeit» ist durchaus symptomatisch für ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt: «Ganz generell befinden sie sich in einer schwachen Position, vor allem solche Pflegekräfte, die rund um die Uhr bei den betreuten Personen wohnen», mein Michela Camozzi Zanini, Beraterin bei der Anlaufstelle «Antenna badanti» (siehe InfoBox) bei der Spitex-Einrichtung Bellinzonese des Kantons Tessin.
Seit 2014 gibt es im Kanton Tessin sechs Beratungsstellen für Pflegekräfte («Antenne badanti)».
Es sind öffentliche und kostenlose Beratungseinrichtungen, finanziert durch die öffentliche Hand, integriert in die sechs regionalen und allgemeinnützigen Spitex-Dienste.
Sie richten sich sowohl an ältere Menschen, die Hilfe suchen, als auch an Personen, die als Hilfskräfte arbeiten oder arbeiten wollen. In jeder Zweigstelle ist eine sozialmedizinische Fachkraft in Teilzeit tätig.
«Ziel ist es, einen Beitrag für eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten und den Dialog zwischen den verschiedenen Partnern zu fördern», so Michela Camozzi Zanini.
Natürlich lässt sich die Lage nicht verallgemeinern. «Jede Situation muss einzeln beurteilt werden. Ich kenne tolle Familien, in denen diese Hilfskräfte sehr gute Arbeitsbedingungen haben. Ich kenne umgekehrt auch Pflegekräfte, die sich nicht an die vereinbarten Regeln gehalten haben. Doch in den meisten Fällen ist die Situation für die jeweilige Pflegekraft unvorteilhaft», sagt Camozzi Zanini.
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Eines der häufigsten Probleme ist gemäss der Expertin der Mangel an Freizeit, vor allem für jene Betreuerinnen, die direkt im Haushalt der betreuten Person leben. Darüber hinaus nehmen sich viele Pflegekräfte keine Freitage, um für einen längeren Urlaub in ihrem Heimatland zu sparen. Dieser ununterbrochene Einsatz birgt das Risiko schädlicher Folgen für die Gesundheit, etwa in Form eines Burnouts.
«Für viele Familien ist diese Situation bequem, weil die Betreuenden immer anwesend sind, und die Familien vielleicht nur einmal im Jahr einen Ersatz finden müssen», sagt Camozzi Zanini. Es gibt auch Pflegekräfte, die sich nicht trauen, ihre Freizeit einzufordern, obwohl sie darauf Anspruch haben, weil sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. «Diese Angst ist sehr präsent», sagt die Beraterin von «Antenna badanti».
Die Furcht vor dem Stellenverlust bringt einige Haushalts- und Pflegekräfte sogar dazu, die Unterstützung durch externe Beraterinnen wie Camozzi Zanini abzulehnen. «Wenn mir Spitex-Mitarbeitende signalisieren, dass sich eine Pflegekraft in einer schwierigen Situation befindet, nehme ich Kontakt auf, um ihr eine Vermittlung mit der Familie anzubieten. Aber wenn die betroffene Person dies nicht will, kann ich nichts für sie tun», sagt Camozzi Zanini.
Emanzipation in weiter Ferne
«Ideal ist es, wenn ich Kontakt aufnehme, sobald eine Familie eine Betreuungsperson einstellt, damit die Arbeitsbedingungen sofort geklärt werden können», fährt Camozzi Zanini fort.
Obwohl die Pflegekräfte vorerst kaum aus eigenem Antrieb Kontakt zum Beratungsdienst suchen, stellt dieser Dienst einen Fortschritt in der Anerkennung und Aufwertung ihrer Arbeit dar. Zwei weitere wichtige Elemente dieser Anerkennungs-Strategie für private Pflegekräfte im Tessin: eine Ad-hoc-Ausbildung mit der Möglichkeit des Erwerbs eines kantonalen Diploms. Und die Regelung der 24-Stunden-Altenpflege in einem kantonalen Normvertrag nach dem Vorbild des nationalen Musterarbeitsvertrags.
Bis zu einer allgemeinen Verbesserung der Arbeitsbedingungen für private Pflegekräfte ist es jedoch noch ein weiter Weg. Dies gilt insbesondere für Hilfskräfte in jenen Schweizer Kantonen, die entgegen den Vorgaben des Bundes den nationalen Musterarbeitsvertrag noch nicht in einen kantonalen Normalarbeitsvertrag umgewandelt haben. Und das trifft auf die Mehrheit der 26 Stände zu.
Seit 2011 ist der Mindestbruttolohn für Hausangestellte, einschliesslich Pflegekräfte, in der ganzen Schweiz in einer Bundesverordnung festgelegt. Dieser Mindestlohn liegt derzeit zwischen 19.20 Franken pro Stunde für unqualifiziertes Personal und 23.20 Franken für qualifiziertes Personal. Hausangestellte haben Anspruch auf vier (in einigen Kantonen fünf) bezahlte Ferienwochen pro Jahr sowie bezahlte Feiertage.
Für Hausangestellte, die seit 2012 über Zeitarbeitsfirmen beschäftigt werden, gilt der Gesamtarbeitsvertrag für Leihpersonal. In diesem Fall variiert der Mindestlohn nicht nur je nach Qualifikation, sondern auch je nach Einsatzregion. Er liegt zwischen 20.33 Franken pro Stunde für ungelerntes Personal im Tessin und reicht bis 25.62 Franken pro Stunde für qualifiziertes Personal in Gebieten mit hohen Gehältern.
Vom Monatslohn können maximal 990 Franken für Kost und Logis abgezogen werden, wenn die Pflegekraft im Haushalt der betreuten Person lebt.
Obwohl es gesetzliche Mindestlöhne gibt, werden diese in vielen Fällen immer noch nicht eingehalten.
Eine Umfrage im Jahr 2015 hatte ergeben, dass die Zeitarbeitsfirmen den Haushaltshilfen und privaten Pflegekräften monatlich zwischen 1500 und 3000 Franken Lohn bezahlen, inklusive Unterkunft und Verpflegung. Diese Hilfspersonen werden hauptsächlich aus osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten rekrutiert. Es gab auch Fälle von Monatsgehältern von unter 1000 Franken. Die den Kunden in Rechnung gestellten Kosten schwankten zwischen 4500 und 13’500 Franken pro Monat.
Zusätzlich zu den Nettolöhnen der Pflegekräfte kommen die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und die Versicherungsbeiträge sowie die Verwaltungs- und Vermittlungskosten hinzu.
Für Personen, die rund um die Uhr Pflege benötigen, sind die Kosten sogar noch höher, da sich die Löhne mehrerer Pflegekräfte summieren.
Es ist zu beachten, dass Hausangestellte in der Schweiz nur Hilfsdienste in der Pflege leisten dürfen. Die eigentliche Krankenpflege darf nur von ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern mit einem von den Kantonen anerkannten Diplom geleistet werden. Daher sind die damit verbundenen Kosten nicht in den Lohnkosten für eine private Pflegekraft enthalten.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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