Wie die Schweiz in Griechenland den Verletzlichsten hilft
Die Unterstützung von Migranten wird in Griechenland stark vernachlässigt. Besonders schwierig ist die Situation für Minderjährige ohne Familie. Ein griechisches Hilfswerk will einen Unterschied machen. Die Schweiz unterstützt es – als eines der Projekte, mit denen der Bund gezielt in die Migrationskrise eingreift.
Nein, sie mag griechischen Salat nicht, sagt Marie*. Dieser Feta-Käse sei gar nicht nach ihrem Geschmack, sagt die 12-Jährige in schnellem, gebrochenem Griechisch. Und fügt trotzig hinzu: «Ich will lieber noch mehr Souvlaki!»
Es sind genau diese Arten von Beschwerden, die Panagiotis Nikas am liebsten hört: «Denn sie bedeuten Normalität.» Nikas ist Gründer und Leiter der NGO Zeuxis; er führt durch das Mädchenhaus, einem der beiden Projekte der Organisation.
Marie heftet sich an seine Fersen. Sie kommt aus Kamerun und ist die jüngste Bewohnerin des Hauses, das in einer unscheinbaren Nebenstrasse in Athen liegt und von aussen nicht angeschrieben ist. Man legt Wert auf Anonymität – denn wer hier wohnt, will in der Regel nicht gefunden werden.
Fünfzehn Mädchen aus acht verschiedenen Ländern finden hier Zuflucht. Manche vor gewalttätigen Angehörigen, andere vor Schmugglern oder kriminellen Netzwerken. Einige hätten auf der Flucht ihre Eltern verloren, sagt Nikas. Jede Bewohnerin habe ihre individuelle Geschichte.
«Ihnen gemein ist leider, dass sie allesamt tragisch sind», sagt Nikas. Im Haus werden sie rund um die Uhr medizinisch und psychologisch betreut. Dazu kommen verschiedene Bildungsangebote, Exkursionen und dergleichen. Der Aufwand sei gross, gibt Nikas zu. Doch man sehe Fortschritte: Seien die Mädchen zu Beginn sehr verängstigt und scheu gewesen, habe sich mittlerweile eine familiäre Atmosphäre eingestellt.
Schwerpunktland
Die Schweiz unterstützt dieses Projekt seit letztem Jahr mit 327’900 Euro. Seit dem Ausbruch der Flüchtlingskrise 2015 hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) in den Schwerpunktländern Griechenland und Italien Projekte in den Bereichen Asyl und MigrationExterner Link mit 3,7 Millionen Franken unterstützt, sowohl solche von internationalen Organisationen wie auch von lokalen NGO vor Ort.
Dabei werden punktuell Initiativen im humanitären Bereich mitfinanziert, insbesondere bei der Hilfe für minderjährige Flüchtlinge, sowie in den Bereichen Übersetzung, Rechtsschutz und Rückführung.
Zu den unterstützten Staaten an den Schengen-Aussengrenzen, die stark von Migration betroffen sind, gehöre auch Griechenland, «da sich Griechenland vor allem im Bereich des Asylwesens und der Unterbringungsstrukturen grossen Herausforderungen entgegenstellt sieht», schreibt das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage dazu.
Defizite bei der Integration
Gemäss offiziellen Statistiken sind von den rund 75’000 Flüchtlingen in Griechenland etwas mehr als 3000 unbegleitete Minderjährige – tatsächlich dürften es mehr sein, da viele untertauchen. Bereits vor der Flüchtlingskrise bot sich in Griechenland ein tristes Bild bei der menschenwürdigen Unterbringung von minderjährigen Migranten und Flüchtlingen, wofür es wiederholt von der EU gerügt wurde.
«Leider hat sich in diesem Bereich noch immer sehr wenig getan», so Nikas. Von einem formulierten Plan, wie es für diese Minderjährigen im Land weitergehen soll, könne nicht die Rede sein. In diese Lücke versuche Zeuxis einzuspringen. «Wir können aber letztlich keine staatlichen Aufgaben übernehmen, sondern nur ergänzend agieren.»
Die Frage der Integration ist eines der drängendsten Probleme im Land und ein Aspekt, dem bisher zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Der griechische Staat funktionierte lange nur im Krisenmodus. Während der massenhaften Ankunft von Flüchtlingen drehte sich alles um die Sicherstellung von Behausung und Versorgung. Mittlerweile geht es um die Eingliederung in die Gesellschaft, um Einschulungen und die Suche nach einer Arbeit.
Traumatisierte Menschen
Und um die Verheilung psychischer Wunden, denn oft benötigen auch Kinder und Jugendliche, die mit ihren Familien in Griechenland sind, Hilfe. Da ist zum einen die natürliche, statistische Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung. Hinzu kommen traumatische Erlebnisse: Der Krieg in der Heimat, die beschwerliche und oftmals gefährliche Flucht, das prekäre Leben eines Flüchtlings in Griechenland.
Um diese kümmert sich das zweite Projekt von Zeuxis, das Tageszentrum. Auch dieses wird von der Schweiz unterstützt, 2018 mit exakt 472’486 Euro. Dort befinden sich Psychologen, Psychiater, Sozialarbeiter und Lehrer, deren Dienste auf täglicher Basis in Anspruch genommen werden können.
Zwei Dutzend Jugendliche befinden sind während unseres Besuchs da, aufgeteilt in zwei Klassen. Die einen büffeln Griechisch, die anderen Englisch. Im Warteraum sitzen Eltern, von denen manche selber Unterstützung benötigen.
«Wir versuchen so gut es geht, auch ihnen zu helfen. Manchmal reicht ein Gespräch schon aus, um ihnen etwas Druck von den Schultern zu nehmen», sagt Nikas. Rund 700 Besucher habe man bisher im Tageszentrum seit seiner Eröffnung letzten Herbst verzeichnet, schätzt er.
Projekt mit Vorbildcharakter
Was die Zukunft für das Projekt bringt, weiss Nikas nicht. Am liebsten würde er die vorhandene Infrastruktur im Mädchenhaus für weitere zehn Plätze ausnutzen: «An Bedarf dafür mangelt es leider nicht.»
Ob das jedoch möglich sein wird, ist noch offen. Die Finanzierung durch die Schweiz ist nur noch bis Ende Juni gesichert, für danach muss Zeuxis neue Quellen finden – in Griechenland heutzutage kein leichtes Unterfangen. Selbst nicht für ein Projekt, das allgemein anerkannt wird für seine vorbildliche Umsetzung.
«Zeuxis bedeutet Verbindung, Vereinigung. Wir wollen also den Kindern eine Brücke schlagen zur Normalität», so Nikas. Das gelte auch bei der Erziehung. Anspielend auf das eingangs geschilderte Feta-Problem und den von Marie verlangten zusätzlichen Souvlaki sagt er, dass man in der Regel Wert auf eine ausgewogene Ernährung lege. «Aber ich denke, da können wir heute mal eine Ausnahme machen.»
*Name geändert
Weitere Projekte
Auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützt mit rund einer Million Franken Projekte in Griechenland.
So etwa das «Kleine Lexikon», eine Sprachhilfe mit dem nötigen Grundwissen für Migranten und Flüchtlinge. Damit soll die grundlegende Kommunikation mit Behörden und Ärzten sichergestellt werden, wenn kein Übersetzer vorhanden ist.
Das Projekt wurde von der Schweizerischen Botschaft in Athen mit dem UNHCR und lokalen Organisationen initiiert.
Mittlerweile sind 50’000 Exemplare in Griechenland verteilt worden, besonders in den Flüchtlingscamps, aber auch in Spitälern und bei Behörden. Das Lexikon ist in sieben Sprachen erhältlich und wurde im letzten Jahr auch als App lanciert.
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