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Quartierbewohner kämpfen gegen Immobilien-Blase

Keystone/Photopress

Ob Immobilienblase oder nicht: In Schweizer Städten setzen sich vermehrt Bewohner dagegen zur Wehr, dass ihre Wohnquartiere durch Immobilien-Spekulation den Charakter radikal ändern. Ein wichtiges Instrument sind Wohnbaugenossenschaften. Augenschein in Bern und Zürich.

Johannes Wartenweiler ist äusserst besorgt. Der langjährige Bewohner der Lorraine in Berns Norden ist beunruhigt über die Zukunft seines Quartiers. Käufer, die nur Profit machen wollten, könnten im ehemaligen Arbeiterquartier «bis zu zwei Millionen Franken für eine Siebenzimmer-Wohnung verlangen», schildert er.

Viele Bewohner, die wie Wartenweiler dem links-alternativen Milieu angehören, fürchten, dass der enorme Zufluss an Geldern die bisher erschwinglichen Mieten nach oben treibt.

2008 hatte Wartenweiler eine Wohnbaugenossenschaft gegründet mit dem Ziel, für sich und andere günstigen Wohnraum zu bewahren. Im Vierfamilienhaus, in dem Wartenweiler mit seiner Familie lebt, wohnen noch zwei weiteren Familien sowie ein Paar.

«Die Lorraine ist davon geprägt, dass die Bewohner miteinander viel zu tun haben und sehr gut vernetzt sind, etwa durch Nachbarschaftsprojekte oder politische Aktionen. Es wäre enorm schade, wenn ein Veränderung in der Bewohnerschaft zu einem Verlust dieser Qualitäten führten», sagt Wartenweiler.

swissinfo.ch nahm in Bern zwei Genossenschaften unter die Lupe. Dort versuchen die Bewohner, den Gemeinschaftssinn zu fördern und gleichzeitig die Mietkosten tief zu halten.

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PWG gehört zu den grössten Anbietern von solch günstigen Wohnungen in der Schweiz. Zum Portefeuille gehören aber auch Geschäftsräume, die ebenfalls weit unter den Durchschnittskosten vermietet werden.

Die Mieten machen den grössten Teil der Einnahmen von PWG aus. Maximal 5 Mio. Franken pro Jahr steuert die Stadt Zürich bei. Diese Summe ist für den Kauf von bestimmten Immobilien reserviert.

In Zürich haben Wohnbaugenossenschaften eine Tradition, die im städtischen Bausektor stark verankert ist. «Ich kenne Bewohner unseres Quartiers Wiedikon, die angesichts der enormen Preissteigerung hier um ihre Zukunft als Mieter fürchten. Sie haben Angst, dass sie die Kündigung erhalten werden», sagt Ursula Enderli. Sie lebt in Wiedikon in einer Wohnung der Stiftung PWG, deren Zweck das Angebot von günstigem Wohnraum ist.

Enderlis sonnige Dreizimmerwohnung wurde 2008 von der PWG übernommen. Die Miete von heute 1128 Franken, rund 400 Franken unter dem Schnitt für eine Dreizimmerwohnung in Zürich, ging seither kaum mehr nach oben.

Die Zürcherin gehört aber einer Minderheit an: In der Schweiz macht der Anteil an günstigeren Genossenschaftswohnungen laut Bundesamt für Statistik lediglich 4% aus.

Steigende Mieten

In Zürich stieg die Durchschnittsmiete von 1485 Franken im Jahr 2010 auf 1515 Franken 2011.

Das Immobilienportal Homegate.ch wies für 2013 für die ganze Schweiz eine Mietzinssteigerung um durchschnittlich 1,84% aus. 2013 kostete in der Stadt Zürich eine Wohnung mit 100m2 im Schnitt 2633 Franken, satte 40% mehr als im nahegelegenen Winterthur.

Die Nachfrage nach Wohnungen in den Zentren ist ungebrochen riesig. Die Berner Kantonalbank erkannte Anfang Jahr «Überhitzungstendenzen» auf dem Immobilienmarkt in und um Bern. Die ETH Zürich stellte in einer Studie fest, dass die Preise in der Limmatstadt immer noch stiegen, wenn auch das Wachstum etwas gebremst wurde.

Nachbarschaften, die sich verändern

Der Schweizer Immobilienmarkt bewegt sich just an der Grenze zu jenen Bedingungen, bei denen man von einer Blase spricht. Eine Folge von hoher Nachfrage und knappem Angebot ist der rasante Wandel in attraktiven Quartieren und Stadtteilen. Heruntergebrochen, heisst dies: viele Wohnungssanierungen und –umbauten, verteuerte Mieten, veränderte Struktur in der Mieterschaft.

Diese Entwicklung ist aber nicht für alle ein Problem. Anbieter von Luxus-Wohnungen nehmen für sich in Anspruch, dass auch sie ein Anrecht auf gefragte Lokalitäten hätten. Deshalb seien höhere Kosten gerechtfertigt.

«Die Immobilienblase war bei unserem Projekt kein Thema», sagte Andreas Steiger, verantwortlich für Entwicklung und Bau der Europaallee unmittelbar beim Bahnhof Zürich, die aus Geschäften, Büros und Luxuswohnungen besteht. In der obersten Etage, also im Penthouse-Bereich, beträgt die Miete für eine Wohnung mit 31/2 Zimmern 5500 Franken pro Monat.

Der Komplex aus mehreren Bauten liegt gleich bei der Langstrasse. Diese gehört mit ihren zahlreichen Bars und Cabarets zu den traditionellen Meilen des Zürcher Nachtlebens.

«Wir sind an zentraler Lage, und diese wird ihren Wert auch klar behalten. Eine Immobilienblase würde bedeuten, dass die heutigen Preise später nicht mehr erzielt würden. Aber dies wird im Fall dieser Wohnungen nicht der Fall sein, denn ich bin überzeugt, dass die Verkaufspreise auf diesem hohen Niveau bleiben werden», sagt Steiger.

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Angesichts dieser Entwicklung, – Projekte wie die Europaallee werden auch in anderen Schweizer Städten realisiert – , verlangen die Wohnbaugenossenschaften die Intervention der Behörden, um einen genügenden Anteil an erschwinglichen Wohnungen zu garantieren.

2011 erreichte der Verband Wohnbaugenossenschaften Zürich (wbg zürich) mit einer Volksabstimmung, dass die Stadt dafür sorgen muss, den Anteil an nicht-kommerziellen Wohnungen auf einen Drittel aller Mietwohnungenzu steigern.

Um den Druck auf die Zentren zu mildern, ist auch der Kanton Zürich mit ähnlichen Schritten gefordert.

«Dort, wo die Nachfrage nach Wohnraum bereits extrem hoch ist, sehen wir einen Rückgang des Anteils an Wohnbaugenossenschaften. Denn das Bauland ist massiv überteuert, weshalb dort nur Eigentumswohnungen möglich sind», sagt Urs Hauser, Direktor von Wohnbaugenossenschaften Schweiz (wbg Schweiz), der Dachorganisation der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften.

Ob die Kriterien für eine Blase erfüllt sind oder nicht: Laut Hauser braucht es einen Anteil an Boden für den nicht profitorientierten Wohnungsbau. Solche Wohnungen seien im Schnitt 15% günstiger, und sie kühlten den Markt ab.

Johannes Wartenweiler von der Wohnbaugenossenschaft Lorraine mahnt zu Vorsicht, und das nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus sozialen Erwägungen. «Man muss aufpassen, dass die Menschen, die neu hierher ziehen, nicht einfach nur hier leben und mit der Nachbarschaft nichts zu tun haben wollen.»

(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)

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