Weisse Schweizer Nostalgie
Die Migros, der grösste Schweizer Detailhändler, hat sich entschieden, künftig auf den Verkauf von Süssigkeiten der Marke «Dubler» zu verzichten, da sie sie als «Mohrenköpfe» anpreist. Diese Bezeichnung wird seit Jahren kritisiert, findet aber immer wieder Verteidiger. Warum? Eine Analyse.
Ein «Mohrenkopf» ist eine weisse und süsse Masse in Schokolade eingepackt. Das Dessert wurde in Deutschland zu Kolonialzeiten im 19. Jahrhundert erfunden – dort heisst es aber mittlerweile hauptsächlich «Schokokuss» statt wie früher «Negerkuss». Auch in der französischsprachigen Westschweiz spricht man heute eher vom «tête de chocolat» und nicht mehr vom «tête de négre».
Umstrittene Süssigkeiten
Auch in der Deutschschweiz wird die noch immer geläufige Bezeichnung seit Jahren als rassistisch und veraltet kritisiert. 2017 forderte eine Internet-Petition den Hersteller «Dubler» dazu auf, seine «Mohrenköpfe» anders zu benennen. Damals reagierte die Migros nicht. Erst im Umfeld weltweiten Proteste gegen Rassismus nach George Floyds Tod hat sie sich zum Schritt entschieden, das Produkt aus den Regalen der zwei Filialen in Zürich zu nehmen, in denen es verkauft wurde.
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Die Schweiz muss sich ihrem Rassismus stellen
Bereits 2017 führte die (bis heute) standhafte Weigerung des Produzenten von «Dubler» dazu, dass die Verkaufszahlen rapide anstiegen: Kunden assen aus «Solidarität» mit dem von vielen als rassistisch empfundenen Wort trotzig mehr Schokoküsse. Junge Mitglieder der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei, deren Exponenten auch schon das Wort «Neger» als Provokation verwendet haben, verteilten damals «Mohren-Köpfe» in Fussgängerzonen». Schokolade essen wurde zu einem politischen Zeichen. Doch wofür?
Weisse Nostalgie
Den wenigsten geht es in ihrer Verteidigung des Wortes «Mohrenkopf» wohl um die gezielte Abwertung anderer Menschen, sondern um das Recht, weiterhin unbehelligt Wörter und Symbole zu verwenden, die früher noch nicht kritisiert wurden: Es geht um weisse Nostalgie in einer Gesellschaft, in der auch Gruppierungen, die später gekommen sind, ihre Stimme erheben.
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Oft wird gesagt, früher seien diese Wörter und Bilder noch harmlos gewesen, und durch die Dauer der Verwendung seien die Namen nun halt Tradition geworden. 2018 war an einer Demonstration in Basel, die sich gegen Rassismus-Kritik richtete, ein Transparent zu sehen, auf dem stand: «Hände weg von unseren Kulturgütern». Die kritisierten Wörter und Bilder werden zum Teil einer zu verteidigenden Kultur erklärt.
Teil der Schweizer Kindergeschichten
Tatsächlich sind solche diskriminierenden Bezeichnungen Teil «unserer» Kultur. Jener, mit der wir aufgewachsen sind. In den Schweizer Kindergeschichten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wimmelt es von Karikaturen schwarzer Menschen. Kasperli besuchte «Negerli» in Afrika, die nicht so schlau waren, komisch redeten. In den Geschichten der erfolgreichen Schweizer Comicfigur Globi tauchen Schwarze auch nur als wilde Deppen auf.
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Und die nationale Märchentante Trudi Gerster erzählte vom jungen Afrikaner Wumbo-Wumbo unter dem Titel «Vom dumme Negerli». Später wurde sie unter Murren dazu gebracht, den Satz beizufügen: «Nicht dass ihr glaubt, dass alle Neger-Kinder dumm sind. Manche werden sogar Professor.»
Kinderbücher und ihre Editionen finden selten Eingang in die Kulturteile von Zeitungen – das ändert sich aber immer, wenn man als rassistisch empfundene Wörter streichen will: Änderungen am Vokabular von Kindergeschichten werden dann mit Verwüstungen von Kulturgut verglichen.
Dabei schwingt immer eine Klage über den Diebstahl der Kindheit mit. Die, denen vorgeworfen wird, Rassismus nostalgisch oder traditionell zu verharmlosen, machen sich zu Opfern, denen ein Teil von Früher weggenommen wird. Dass Oma noch «Neger» sagen durfte, wird auf die gleiche Ebene gestellt wie der Duft ihres Zwetschgenkuchens.
Die Schweiz als historische Insel
Der Einwand, dass diese Wörter und Bilder eine komplexe, gewalttätige Geschichte haben, wird oft damit abgeschmettert, dass das für die Schweiz nicht zutreffe. «Neger» habe mit der Geschichte der Sklaverei an sich erstmal nichts zu tun – insbesondere, weil man in der Schweiz weder Sklaven, noch Kolonien gehabt hätte.
Die Schweiz gefällt sich seit Jahrhunderten im Selbstbild als Insel der Ruhe und des Friedens, den Stürmen der Geschichte enthoben – auch sprachlich. Man hat mit diesen Geschichten – Sklaverei, Kolonialismus, Holocaust – ja nichts zu tun gehabt: Das spiegelt sich auch in einem – aus internationaler Perspektive – unbedarften Sprachgebrauch.
Baldwin in Leukerbad: Rassismus in der Schweizer Idylle
Oft wird in diesen Diskussionen der Eindruck vermittelt, dass Wörter wie Neger oder die herabsetzende Darstellung von Schwarzen erst im Rückblick der Kritik rassistisch gemacht worden sind: Von wehleidigen Betroffenen, linken Politikern und bösartigen Historikern.
Im Rahmen der weltweiten Proteste nach dem Tod von George Floyd ist es auch in der Schweiz zu Aktionen gekommen. Wieder in den Fokus geriet eine Statue von «General Sutter» Externer Linkin Basel.
Sutter wurde nahe der Stadt Basel geboren und wanderte 1834 in die USA aus, wo er die Kolonie Neu-Helvetien gründete, nach Gold schürfte und die Stadt Sacramento gründete. Sein Leben wurde von Literaten wie Blaise Cendrars und Stefan Zweig als «wunderbare Geschichte» und als «Sternstunde der Menschheit» beschrieben. In seinem Heimatort Rünenberg errichtete man ihm 1957, in Basel 1987 ein Denkmal. Neuere Forschungen stürzten ihn nun aber vom Sockel: Die Historikerin Rahel Huber konnte beweisen, dass Sutter sein Geld nicht nur mit Gold gemacht hat, sondern auch mit dem Verkauf indigener Kinder: «General Sutter» war ein Sklaventreiber der brutalsten Sorte gewesen.
Einen Einblick darein, wie es sich anfühlte, als Schwarzer durch die Schweizer Idylle der 1950er zu laufen, liefert der afroamerikanische Schriftsteller James Baldwin, der zu Beginn der 1950er-Jahre im Schweizer Dorf Leukerbad an einem Buch arbeitete – ein Freund hatte ihn eingeladen.
Baldwin wurde gewarnt, dass er eine Attraktion für die Dorfbewohner sein würde – doch er hatte nicht damit gerechnet, was für ein Spektakel er darstellen sollte. Nach einer gewissen Weile habe das ganze Dorf seinen Namen gekannt, «doch sie nutzten ihn kaum, alle wussten, dass ich aus Amerika komme, doch niemand glaubte es recht: Schwarze Männer kommen aus Afrika.»
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Man fasste ihm dauernd ins Haar, manche fürchteten, er würde Holz oder Dorfschönheiten stehlen. Baldwin versucht den Rassismus auch der erwachsenen Dorfbewohner mit ihrer Naivität, mit ihrer eigenen Entfernung von der Geschichte zu erklären. Doch es gelang ihm nicht, sich durch die Kinder, die hinter ihm herrannten und «Neger! Neger!» schrien, nicht verletzt zu fühlen, auch wenn sie nicht wussten, welche «Echos dieser Sound in mir hervorruft».
Auch wenn Worte für ihre Benutzer nichts «Schlechtes» bezeichnen: Diese Echos werden durch nostalgische Kindheitserinnerungen nicht weniger wirksam. Das Nachhallen einer weltweiten Geschichte der Unterdrückung und der Verletzung macht vor Landesgrenzen keinen Halt.
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