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Rauchvorhang zwischen Wissenschaft und Politik

Reuters/Christian Hartmann

Das Rauchverbot in geschlossenen Arbeitsräumen oder Räumen mit öffentlichem Zugang in der Schweiz hat positive gesundheitliche Auswirkungen. Das zeigen vier verschiedene Studien, deren Erkenntnisse auch die Gesundheitsbehörden hervorheben.

Über das Rauchverbot in öffentlichen Lokalen wird in der Schweiz derzeit heftig debattiert. Das Stimmvolk wird sich am 23. September über eine Initiative aussprechen, welche die Bestimmungen, die heute in acht Kantonen gelten, im ganzen Land einführen will. Diese lassen lediglich getrennte, nicht bediente Räume für Raucher zu.

In den anderen 18 Kantonen ist die Bedienung in den Raucherräumen (Fumoirs) erlaubt. In 11 der 18 Kantone kann in öffentlichen Lokalen sogar frei geraucht werden, wenn diese nicht grösser als 80 Quadratmeter gross sind. Das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen, das seit 1. Mai 2010 in Kraft ist, erlaubt dies. Aber nur unter einer Bedingung: Das Personal muss schriftlich sein Einverständnis geben, in Räumen zu arbeiten, in denen geraucht wird.

Kantonal verschiedene Bestimmungen, die verschiedene Auswirkungen auf die Gesundheit des Servicepersonals in Bars und Restaurants haben: Dort wo das Rauchen gebannt ist, haben sich die gesundheitlichen Auswirkungen verbessert, zeigt eine Ende August veröffentlichte Untersuchung unter der Leitung von Professor Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut der Universität Basel. Die Teilnehmer an der Studie kommen vorwiegend aus den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Land sowie Zürich, wie der Projektleiter gegenüber swsissinfo.ch sagt.

Risikofaktoren für Herzkrisen und Arteriosklerose

Die Studie mit dem Namen ‹Cosibar› hat 12 Monate nach Einführung des Rauchverbots bei den Angestellten, die nicht mehr dem Passivrauchen ausgesetzt waren, eine «bedeutende» Erhöhung der Herzfrequenz-Variabilität festgestellt. Das bedeutet eine Verminderung des Herzinfarktrisikos. Dagegen wurde bei den Angestellten, die weiterhin dem Passivrauchen ausgesetzt waren, keine Verbesserung der Herzfrequenz-Variabilität festgestellt.

Ausserdem haben die Forscher festgestellt, dass sich die Frequenz des Pulsschlages der Angestellten, die nicht mehr dem Passivrauchen ausgesetzt waren, bedeutend verbessert hat. Mit anderen Worten, die Arterien sind elastischer geworden. Das bedeutet eine Verminderung des Arteriosklerose-Risikos.

Diese Erkenntnisse gehen in die gleiche Richtung wie jene der drei Studien, die mehrere Auswirkungen auf die Gesundheit gemessen haben nach der Einführung von Gesetzen zum Schutz vor Passivrauchen in drei Kantonen der verschiedenen Sprachregionen der Schweiz. Alle drei Gesetzesnormen wurden vor dem Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen 2010 eingeführt und sind restriktiver.

Weniger Herzkreislauf- und Lungen-Erkrankungen

Im Tessin hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Marcello Di Valentino die Spitalaufenthalte infolge Herzinfarktes untersucht, wobei nur die im Kanton wohnhaften Patienten einbezogen wurden. Fazit: Deren Anzahl hat sich «schnell, bedeutend und fortdauernd» vermindert seit des 2007 eingeführten Rauchverbotsgesetzes in öffentlichen Lokalen, das jedoch separate, bediente Räume für Raucher gestattet. Im Vergleich zu den drei vorangehenden Jahren ist die Zahl dieser Patienten im ersten Jahr nach der Einführung des Gesetzes um 22,4% eingebrochen, im zweiten Jahr danach um 20,6%.

Nach der Einführung eines analogen Gesetzes im Kanton Graubünden 2008 gab es laut einer Studie unter der Leitung von Piero O. Bonetti eine Verminderung der akuten Herzinfarkte um 21%. Die Forscher haben zudem einen Vergleich mit einem Kanton gemacht, in dem die Lebensbedingungen ähnlich sind wie im Kanton Graubünden: Luzern, wo kein Rauchverbot galt. In diesem Kanton sind die Fälle von akuten Herzinfarkten angestiegen.

In Genf, wo seit 2009 nur separate, nicht bediente Fumoirs gestattet sind, hat eine Studie eine Verminderung von 19% der Spitalaufenthalte von im Kanton wohnhaften Patienten mit akuter Bronchopneumopathie-Verschlechterung wahrgenommen. «Das ist eine Neuheit: So etwas wurde vorher noch nie festgestellt», sagt der Leiter der Studie, Jean-Paul Humair, gegenüber swissinfo.ch.

Im Rahmen der gleichen Studie wurde ein Rückgang der Herzkreislauf-Erkrankungen wahrgenommen. «Aber dieser Rückgang ist statistisch nicht bedeutend, weil die Zahl der Patienten in der Erhebung ungenügend war», erklärt der Genfer Arzt. Humair präzisiert, dass schon vor der Einführung des kantonalen Gesetzes zu Beginn der 2000er-Jahre das Rauchen an zahlreichen Arbeitsplätzen und in öffentlichen Lokalen stufenweise verboten worden sei. Es sei deshalb wahrscheinlich, dass die Herzkreislauf-Erkrankungen im Kanton Genf bereits ab diesen Jahren zurückgegangen seien, während die Studie die Periode von 2006 bis 2012 untersucht habe.

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Die Politik hat andere Gründe

Die Bedeutung dieser wissenschaftlichen Untersuchungen wird auch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) anerkannt. Es handle sich um «Studien hoher Qualität», sagt Patrick Vuillème gegenüber swissinfo.ch. Er ist Biologe im BAG und Mitglied der Experten-Kommission des Tabakpräventionsfonds.

Wie die Gründer der Volksinitiative «Schutz vor Passivrauchen» haben auch der Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset und BAG-Direktor Pascal Strupler an der Pressekonferenz zur Abstimmung vom 23. September die Erkenntnisse dieser Studien hervorgehoben und die Schädlichkeit des Passivrauchens betont. Dennoch empfahlen Berset und Strupler die Ablehnung der Initiative, mit der Begründung, das geltende Gesetz habe die Erwartungen erfüllt. Zudem sei es noch zu früh, das Gesetz schon nach zwei Jahren der Inkraftsetzung zu ändern.

Dabei hatten dieselbe Schweizer Regierung in der Botschaft zur Initiative ans Parlament und das BAG auf seiner eigenen Homepage festgehalten, «dass Passivrauchen auf keiner Ebene gefahrlos ist».

Ist es nicht widersprüchlich, eine Initiative zur Ablehnung zu empfehlen, die das Passivrauchen in allen geschlossenen Räumen und öffentlichen Lokalen verbieten will? «Nein», antwortet Patrick Vuillème vom BAG. «Regierung und Verwaltung müssen einerseits die wissenschaftlichen Aspekte und jene der öffentlichen Gesundheit ermessen, andererseits aber auch die politischen Aspekte.»

Auf der politischen Ebene habe das Parlament ein Gesetz verabschiedet und nach intensiver Diskussion einen Entscheid getroffen, so Vuillème. «Institutionell steht das Parlament über der Regierung und der Verwaltung. Und das Volk hat das letzte Wort.»

Laut der Cosibar-Studie hat eine vor der Einführung des Bundesgesetzes zum Schutz vor Passivrauchen im Mai 2010 in einem öffentlichen Lokal arbeitende Person pro Tag durchschnittlich 5 Zigaretten passiv geraucht. 12 Monate nach der Einführung des Gesetzes hat sich diese Menge um das 16-fache reduziert.

Bezüglich den Auswirkungen des Passivrauchen-Gesetzes auf die Herzfrequenz-Variabilität und die Pulsschlag-Frequenz präzisiert Studienleiter Martin Röösli gegenüber swissinfo.ch, es sei «schwierig, die Risiken zu quantifizieren, aber man kann sie in Relation zum Alter vergleichen». Je höher das Alter sei, desto höher seien die Risiken sowohl eines Herzinfarktes wie auch von Arteriosklerose.

Die Cosibar-Studie hat auch die Parameter der Lungenfunktion gemessen. Die Analyse der Daten ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Die definitiven Erkenntnisse werden auf Ende Jahr erwartet.

An der Cosibar-Untersuchung haben 92 Personen auf freiwilliger Basis teilgenommen, vorwiegend aus den Kantonen Basel-Stadt und Basel-Land sowie Zürich. Von diesen 92 Personen seien heute 56 nicht mehr dem Passivrauchen ausgesetzt, sagt Martin Röösli. Die Studie steht unter der Leitung des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts der Universität Basel, in Zusammenarbeit mit drei weiteren Instituten der Universitäten Lausanne, Zürich und Basel.

Die in der Schweiz realisierten Studien bezüglich den Auswirkungen des Rauchverbots in geschlossenen Räumen und öffentlichen Lokalen stimmen mit den in anderen Ländern gemachten Untersuchungen überein: Über 50 Studien zeigen positive Auswirkungen auf die Gesundheit.

Im US-Staat Massachusetts ist seit der Einführung eines allgemeinen Rauchverbots in öffentlichen Lokalen im Juli 2004 in jenen Gemeinden, in denen das Gesetz bisher nicht galt, die Sterblichkeitsrate infolge akuten Herzinfarktes um 9,2% gesunken. Dagegen kam es in jenen Gemeinden, wo schon vorher ein Rauchverbot galt, zu keiner bedeutenden Verringerung der entsprechenden Sterblichkeitsrate. In diesen Lokalen war das Absinken der Sterblichkeitsrate bereits in den vorangegangenen Jahren registriert worden.

In Argentinien wurde nach der Einführung eines generellen Rauchverbots in der Provinz Santa Fé 2006 ein Rückgang der Spitalaufenthalte infolge akuten Koronarsyndroms (ACS) festgestellt. In derselben Periode wurden dagegen in Buenos Aires in separaten und bedienten Raucherräumen (Fumoirs) kein bedeutender Rückgang solcher Spitalaufenthalte registriert.

(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)

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