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Rehabilitierung der «Kriegshelden» abgeschlossen

1943, Warschauer Ghetto: Juden werden von Wehrmachtssoldaten abgeführt. Keystone

Mit der Auflösung der Rehabilitierungs-Kommission ist ein schwieriges Kapitel der Schweizer Geschichte geschlossen. Insgesamt wurden 137 Personen, die während der Nazi-Zeit als Fluchthelfer verurteilt worden waren, rehabilitiert.

Die Kommission des Schweizer Parlaments hat die Rehabilitierung aller 137 bekannten Personen zu Ende geführt, die während des Nationalsozialismus hauptsächlich jüdischen Flüchtenden illegal die Einreise in die Schweiz ermöglichten und dafür von Schweizerischen Militärgerichten verurteilt worden waren.  

Fast 70 Jahren später sind die Urteile nun aufgehoben und die Namen der Flüchtlingshelfer, nun Kriegshelden, publiziert worden. Es handelt sich um Schweizer, Franzosen, Italiener, Deutsche und Polen.

Mittlerweile sind alle inzwischen gestorben, so dass die Aufhebung der Verurteilung in erster Linie ihre Angehörigen betrifft. Nur drei der einst Verurteilten konnten noch erleben, wie ihre Namen rehabilitiert worden sind.

  

Sowohl die Kommission als auch andere Beteiligte räumten ein, dass der Rehabilitierungsprozess spät begann. Seit 2004 erlaubt ein neues Gesetz die Legalisierung der Flüchtlingshelfer. Erst ab diesem Zeitpunkt wurden Archive durchforscht und formal festgehalten, dass sich die beteiligten Personen richtig verhielten.      

Es seien «unbekannte Helden» gewesen, sagt der Kommissionsekretär Alexandre Schneebeli gegenüber swissinfo.ch. Das Veröffentlichen ihrer Namen sei eine Art Denkmal für ihre Nachkommen.

«Gefährliche Arbeit»

Während der Nazi-Zeit wurden die Grenzkontrollen zur Schweiz äusserst strikt gehandhabt. Dennoch vermochten rund 300’000 Personen aus Deutschland einzureisen, für kürzere oder längere Aufenthalte. 100’000 davon waren Armeeangehörige, die interniert wurden.

Von den zivilen Flüchtenden waren rund 30’000 Juden. 20’000 ebenfalls hauptsächlich Juden wurden abgewiesen. Bewohner in grenznahen Gegenden halfen, dennoch Tausende von weiteren Flüchtenden in die Schweiz zu schmuggeln. Wurden sie dabei erwischt, gab es Geld- oder Gefängnisstrafen.  

«Im Allgemeinen waren es eher einfache Leute, die den Flüchtlingen halfen», sagt Nils de Dardel, ein ehemaliger Genfer Nationalrat, der beim Rehabilitierungsgesetz mitwirkte, gegenüber swissinfo.ch. «Aber sie waren sehr mutig, denn die Hilfe war gefährlich, ermüdend und schwierig. Und viel Geld lag auch nicht drin.»

«Besser spät als nie»

Bevor die Kommission ihre Arbeit aufnahm, war wenig über diese Helfer bekannt. Archive von Militärgerichten und Kantonen brachten nur 137 Fälle zum Vorschein. Aber es dürften mehr gewesen sein, da gewisse Leute nie gefasst worden seien, wie de Dardel sagt.

Laut de Dardel sei das Rehabilitationsgesetz für die Schweiz etwas Einmaliges. «Ein Gesetz, dass Urteile von Militärgerichten annulliert, ist schon ausserordentlich – auch wenn es 50 Jahre später kam.» Für die Schweiz sei es ein Präzedenzfall gewesen, symbolisch, juristisch und auch historisch.

«Sicher erfolgte das Ganze zu spät. Aber besser spät als nie.» De Dardel glaubt, dass diese Rehabilitierung durch den Disput um die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern in den 90er-Jahren ausgelöst worden sei. Dies habe zu einer Neuüberprüfung der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg geführt.

«Ich – und auch die anderen, die an der Erarbeitung dieses Gesetzes mitmachten, denken, dass es von Nutzen war, diese Periode gründlich zu überprüfen. Sie lehrt uns Wichtiges über unser Land, die Art, wie sich das Geschichtsbild entwickelt hat und wie versucht wurde, diese Version beizubehalten – koste es was es wolle.»  

Laut der Kommission seien alle bekannten Fälle überprüft worden. Sie räumte auch ein, dass sich die Schweiz «offensichtlich spät» mit diesem Thema befasst hat. 

«Oft kam die Frage auf, weshalb die Schweiz ausgerechnet jetzt auf diese Themen zurückkommt», sagt Scheebeli. «Aber jetzt ist es glückerweise gemacht. Und ich bin überzeugt, dass es die vielen Jahre gebraucht hat. Wir haben gesehen, dass auch andere Länder viel Zeit brauchen, um aufzuarbeiten, was dort alles geschehen war.»

Geschichtslektionen

Ein grosser Teil der Fälle, welche die Kommission einsah, sind von der Paul Grüninger Stiftung eingebracht worden. Ihren Namen hat diese Stiftung von einem St. Galler Polizeichef, der rund 3600 Juden aus Österreich die Aufnahme ins Land ermöglichte, indem er Dokumente fälschte. Grüninger selber war 1995 posthum rehabilitiert worden.

Der sozialdemokratische Ständerat Paul Rechsteiner, der die Stiftung leitet, sagt, die Arbeit der Kommission sei nützlich gewesen, obwohl es eigentlich eine Schande gewesen sei, sie derart spät einzusetzen.    

«Die Schweiz hat eine Verpflichtung gegenüber diesen Leuten und auch gegenüber der heutigen Generation,» so Rechsteiner. «Diese Helfer waren keine Verbrecher, und die Schweiz hätte sie nicht verurteilen dürfen. Sie sind Helden gewesen für das, was sie taten. Dies ist auch wichtig für ihre Nachfahren.»   

Es sei nie zu spät, um aus der Geschichte zu lernen. «Das Verhalten der Schweiz während der Nazi-Zeit gehört zu den schwierigsten Kapiteln ihrer Geschichte. Auch wenn es oft heisst, die Geschichte wiederhole sich nicht, ist es doch wichtig zu sehen, wie sich die Leute damals verhielten»,sagt Rechsteiner.

Dazu gehöre auch die Erkenntnis, dass es die Pflicht jedes Menschen sei, zu begreifen, dass das Engagement für den Mitmenschen nicht an den Staat delegiert werden könne. 

Die Rehabilitierungs-Kommission hat von 2004 bis 2011 die Rehabilitierung von Personen festgestellt, welche zur Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1938 und 1945 verurteilt wurden, weil sie Flüchtenden die Einreise in die Schweiz ermöglicht hatten.

Das Mandat der Kommission ist Ende 2011 abgelaufen.

Während der Nazi-Zeit wurden Tausende Flüchtlinge abgewiesen, weil man die Schweiz vor einer grossen Flüchtlingswelle schützen wollte.

Die 2004 eingesetzte Kommission rehabilitierte 137 Fluchthelfer. 68 davon fand man in Archiven, 63 wurden von der Paul Grüninger Stiftung eingebracht.

Und 3 Fälle wurden von ehemals Verurteilten oder ihren Angehörigen eingebracht.  

Es handelt sich um 59 Schweizer, 34 Franzosen, 24 Italiener, 3 Polen, 1 Tscheche, 1 Ungar und 1 Spanier. Sie sind inzwischen alle gestorben.

1996 wurde im Auftrag der Bundesversammlung und des Bundesrats eine unabhängige Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg ins Leben gerufen.

Sie ist nach ihrem Präsidenten, dem Historiker Jean-François Bergier, benannt und sollte fünf Jahre dauern.

2002 ist der Schlussbericht veröffentlicht worden.

Der Bergier-Bericht kritisierte, dass die Schweiz zur Nazi-Zeit eine zu restriktive Flüchtlingspolitik betrieben habe.

Rund 20’000 Flüchtende, meist Juden, seien zurückgewiesen worden, obschon die Behörden wussten, was mit ihnen geschehen würde.

Auch habe ein Teil der Privatindustrie übertrieben stark mit der Nazi-Wirtschaft kooperiert. Die Behörden hätten die Exporte nach Deutschland und Italien mit Exportkrediten noch unterstützt.

Der Bericht befand auch, dass Staat und Wirtschaft nach dem Krieg zuwenig Wiedergutmachung betrieben habe.

Der Bericht stiess in der Schweiz auch auf heftige Kritik. Es wurde befürchtet, es würde ein einseitig die Schweiz belastender Bericht resultieren.

Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle

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