Rentner zu mieten – für 25 Franken Stundenlohn
Eine Website vermittelt Arbeit für Rentner. Rund 500 Pensionierte sind bei der Site angemeldet. Es sind Alte, die fast alle Arbeiten übernehmen: den Briefkasten leeren, den Wagen in die Autowaschanlage bringen, die Rosen giessen, Bilder aufhängen.
Rentner stellt man sich oft vor als Alte, die im Sofa versunken fernsehen, oder in einem Restaurant Karten spielen, oder auf einer Bank sitzen und das Leben kommentieren, das an ihnen vorübergeht.
Es gibt aber auch jene alten Leute, die einem auf einer Internetsite zublinzeln. Rentnerinnen und Rentner, die sich zu Hause langweilen und ihre Altersrente noch um ein paar Franken aufstocken wollen, aber auch solche, die fühlen, dass sie der Gesellschaft noch nützlich sein können.
Einen tropfenden Wasserhahn reparieren, den Garten giessen, Himbeeren pflücken, bügeln, mit dem Hund spazieren gehen – das sind nur einige leichte Arbeiten, die Rentnerinnen und Rentner noch verrichten möchten.
Flucht vor TV und Bier
Rentarentner.ch heisst die Website, die für 10 bis 80 Franken Stundenlohn Rentnerinnen und Rentner vermittelt. Die Idee stammt von Peter Hiltebrand, ehemaliger Besitzer einer Elektrikerwerkstatt und heute pensioniert. «Während meinem Arbeitsleben habe ich sehr oft Rentner angetroffen, die den ganzen Tag vor dem Fernseher verbrachten, mit einem Bier daneben», sagt er gegenüber swissinfo.ch. «Ich habe mir gesagt, so stumpfsinnig will ich nicht enden», erklärt der 66-Jährige aus Bachenbülach, ein 4000 Seelendorf 20 Minuten von Zürich entfernt.
Aber was tun? Wie verhindern, dass man die Tage mit den Händen im Hosensack verbringt? «Nach einem Abend mit meiner Tochter Sarah und dem Schwiegersohn Reto Dürrenberger, beide in der Werbung tätig, habe ich beschlossen, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu gründen, die Rent a rent GmbH, die für Alte wie mich kleine Arbeiten vermittelt», erzählt Hiltebrand.
Die Idee entstand im November 2009 und war zuerst für Freunde und Bekannte gedacht. Heute, nach zwei Jahren, sind rund 500 Pensionierte angemeldet, die vor allem in den Regionen Zürich, Bern und Basel wohnhaft sind. Eine Handvoll der Angemeldeten leben in der Romandie und deren vier im Tessin. «Die Anmeldung ist gratis. Es genügt, sich mit Namen und Vornamen, Telefonnummer und E-Mail-Adresse einzuschreiben und die Arbeiten zu nennen, die man aus der grossen Palette von Möglichkeiten zu verrichten gewillt ist», so Hiltebrand.
Die Opportunisten beiseite lassen
Eine typische vermittelbare Rentnerin könnte Frau Bachmann aus Bern sein. Sie ist bereit, die Wohnung zu putzen und zu lüften, sich um die Haustiere zu kümmern, Pflanzen zu giessen, Einkäufe zu erledigen, den Kindern Geschichten zu erzählen – das alles für einen Stundenlohn von 25 Franken. Oder Herr Bopp aus Minusio, der bereit ist, den Wagen zur Autowaschanlage zu fahren, Nachhilfestunden zu geben oder einfach zu plaudern, für 25-35 Franken in der Stunde.
«Sicher, es hat Leute gegeben, die mit einer gefälschten Identität versucht haben, sich als Rentner auszugeben. Das war zum Beispiel der Fall von zwei Studenten, die aber sofort entlarvt wurden», erzählt Hiltebrand. Denn bevor man definitiv aufgenommen wird, müssen die Anmeldungen eine einfache Prozedur absolvieren, mit welcher Hiltebrand und seine Tochter Sarah die Richtigkeit der Daten kontrollieren: Name, Telefon, Adresse.
Wer diese erste Prüfung besteht, hat noch keine Garantie, für immer auf der Website registriert zu bleiben. «Ich erwarte, dass eine alte Person weiss, wie man sich aufführt. Dass man die Schuhe auszieht, wenn man die Wohnung betritt, dass man pünktlich ist. Wenn wir wiederholt Reklamationen erhalten, wird die Rentnerperson einfach von der Liste gestrichen», sagt Hiltebrand und schildert, wie er in den nächsten Tagen eine Registrierung eines Pensionierten streichen wird, über den verschiedene Beschwerden eingegangen sind.
Unlautere Konkurrenz?
Beschwerden kamen auch von einem Taxifahrer aus Bern. «Sein Anwalt hat uns angewiesen, den Transportdienst von unserer Offertenliste zu streichen. Was wir sofort getan haben, als wir gesehen haben, dass eine solche Dienstleistung nur erlaubt ist mit einem regulären Führerschein», sagt Hiltebrand.
Was die anderen angebotenen Aktivitäten betrifft, glaubt der 66-Jährige aus Bachenbülach nicht, dass die vermittelten Rentner eine unlautere Konkurrenz für freie Berufstätige sind.
«Die Pensionierten hängen ein Bild auf, wechseln eine Glühbirne aus oder führen einfach ein Plauderstündchen mit einer alten Person, die sich einsam fühlt. Für einige Pensionierte, die eine ungenügende Rente erhalten, ist dies sogar die einzige Möglichkeit, ihr Leben zu fristen, sich ein bisschen Luxus zu leisten», betont Hiltebrand.
«Alte Säcke und alte Schachteln»
Sein Ziel ist es, tausend Anmeldungen zu erreichen und das Angebot auch auf die deutsche und österreichische Grenzregion auszuweiten. Dazu planen Hiltebrand und seineTochter eine neue Website, nachdem klar wurde, dass die erste Plattform den unerwarteten Ansturm nicht mehr bewältigen kann. «Das Gesicht der Website wird sich nicht verändern. Wir werden lediglich einige strukturelle Veränderungen vornehmen, welche die Site schneller machen, so Hiltebrand.
Die Website rentarentner.ch ist attraktiv, originell und selbstironisch. Es wird von «alten Säcken und alten Schachteln» gesprochen. Das Gesicht der Site ist antik und in der Farbe von alten Jutesäcken gestaltet. Das grafische Konzept hat auch der Jury des jährlich durchgeführten Wettbewerbes »Schweizerische Marketing-Trophy› gefallen. «Wir haben den Spezialpreis in der Höhe von 10’000 Franken gewonnen», sagt Hiltebrand und zeigt uns stolz die Trophäe.
Eine Anerkennung, die ihn anspornt, vorwärts zu gehen. Der «alte Sack» , wie er sich lachend selber nennt, hat tatsächlich noch keine Lust, den Motor abzustellen. Er hat 30 Jahre lang geschuftet, nun vergnügt er sich. Er hat auch «dieses mürrische und rauhe Gebaren» verloren, für das ihn seine Freunde oft gehänselt haben. «Ich habe endlich gelernt, über das Leben zu lachen», sagt Peter Hiltebrand. Und er sieht dabei glücklich aus.
In der Schweiz liegt das Pensionsalter bei 64 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer.
Die seit 1948 existierende Alters- und Hinterlassenen-Versicherung (AHV) hat zahlreiche Revisionen erlebt.
Laut der Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfe-Organisationen der Schweiz (VASOS) und der Selbsthilfeorganisation für Menschen mit Handicap in der Schweiz (PROCAP) reichen die gegenwärtigen AHV- und IV-Renten nicht mehr aus, um ein anständiges Leben zu führen. Hauptgrund seien die höheren Mietkosten, die laut dem Bundesamt für Statistik zwischen 2001 und 2011 um 15% gestiegen sind.
Nach Angaben des Bundesamtes für Sozialversicherungen arbeitet ein Drittel der Personen im Alter von 65 bis 69 Jahren, auch wenn sie schon pensioniert sind.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechnet, dass 27% der Schweizer Bevölkerung im Alter von 65 und mehr Jahren noch beruflich aktiv sind. In Frankreich sind 28% der Bevölkerung über 65 noch aktiv, in Deutschland sind es 32% und in Japan 35,5%.
Eine Studie der Hochschule für Wirtschaft (HSW) Freiburg beleuchtet einen anderen Aspekt: das ständige Wachstum der Unternehmer im dritten Alter. 2005 gab es in der Schweiz 2,4% mehr Unternehmer im Alter von über 55 Jahren, 2007 deren 6% mehr.
«Diese Tendenz wird durch verschiedene Faktoren begünstigt: Gesamthaft altert die Schweizer Bevölkerung. Im weiteren ermutigt die Arbeitswelt die Leute, auch nach dem Pensionsalter beruflich aktiv zu bleiben. Dazu kommen die neuen Technologien, welche die Schaffung eines kleinen und mittleren Unternehmens erleichtern», sagt Professor Mathias Rossi von der Hochschule für Wirtschaft Freiburg und Autor der Studie gegenüber swsissinfo.ch.
(Übertragung aus dem Italienischen: Jean-Michel Berthoud)
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