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Wieso brauchen wir eine freie Presse?

Demonstrierende Frauen halten ein Bild einer Frau und Nummernschilder in den Händen.
16. Oktober 2018: Ein Jahr nach der Ermordung von Daphne Caruana Galizi erinnern Menschen an die maltesische Journalistin, die über Geldwäscherei und Korruption in ihrem Land recherchierte. John Borg/Keystone/AP

Informations- und Pressefreiheit verteidigen: Das ist Sinn und Zweck von Reporter ohne Grenzen. Zum 20-jährigen Bestehen von swissinfo.ch schauen wir auf die Arbeit dieser NGO und auf ihre Befürchtung, wonach die freie Presse heute Angriffen ausgesetzt sei wie nie zuvor.

Ein junges Mädchen mit Zöpfen blickt über seine Schulter zum Fotografen und bemüht sich, den übergrossen Rucksack, den es nur an einem Riemen festhält, nicht loszulassen. Auf einer anderen Fotografie posiert ein Junge für die Kamera. Auf dem rosa T-Shirt, das er trägt, ist ein Schwinger aufgedruckt – die Farbe passt zur Zuckerwatte, die er in seiner rechten Hand hält.

Young girl looks over shoulder as she walks up steps in alley
Aleppo, 2010 Maher Akraa

Beide Fotos wurden in der Stadt Aleppo, in Syrien, aufgenommen, doch dazwischen liegen fünf Jahre. Die intakte Welt des Mädchens – ist es auf dem Weg zur Schule, als es die Kopfsteinpflasterstufen hinaufsteigt? – steht in krassem Gegensatz zur Welt des Jungen.

Es ist nicht sein T-Shirt und auch nicht die Zuckerwatte, die unsere Aufmerksamkeit erregt. Es sind die Krücken, auf die er sich stützt. Eines seiner Beine wurde amputiert:  Das 2015 aufgenommene Bild macht unmissverständlich klar, dass unschuldige Kinder oft Opfer von Kriegen werden.

Boy in pink t-shirt stands on crutches with bags of cotton candy in his one hand
Aleppo, 2015 Maher Akraa

Beide Fotos gehören zu einer vom Journalisten und Fotografen Maher Akraa zusammengetragenen Sammlung von Bildern, die Aleppo vor und nach dem Konflikt zeigen. Akraa verbindet eine Liebesgeschichte mit seiner Stadt, kann aber zurzeit nicht dorthin zurückkehren.

Nachdem Akraa wegen seiner Berichterstattung über den Krieg und die Beteiligung der verschiedenen politischen Fraktionen in Syrien Todesdrohungen erhalten hatte, beantragte und erhielt er Asyl in der Schweiz.

Den Ausschlag dazu gegeben hatte letztlich ein Zwischenfall, als er die Türkei verlassen wollte, um für Friedensgespräche über Syrien nach Genf zu reisen. Vor seinem Abflug wurde er festgenommen, sein türkischer Ausweis und andere Dokumente wurden beschlagnahmt. Schliesslich durfte er das Flugzeug besteigen, seine Reise in die Schweizer Stadt kam jedoch einer Deportation gleich.

Als er in Genf eintraf, kam er in Kontakt mit der Nichtregierungsorganisation Reporter ohne GrenzenExterner Link (RSF), die ihn seither unterstützt.

Jubiläums Veranstaltung

Am 20. November feiert swissinfo.ch sein 20-Jahre-Jubiläum mit einer Fundraising-Veranstaltung in Bern, deren gesamter Erlös an die Schweizer Sektion von Reporter ohne GrenzenExterner Link gehen wird. An der Veranstaltung wird der syrische Journalist Maher Akraa neben dem kurdischen Reporter Umut Akar, der ebenfalls im Exil in der Schweiz lebt, über seine Erfahrungen sprechen.

Wie können sich Medien gegen Regierungen wehren, die der Presse zunehmend feindlich gesinnt sind? Diese Frage wird die preisgekrönte maltesische Journalistin Caroline Muscat zusammen mit Daniela Pinheiro, einer der bekanntesten investigativen Reporterinnen Brasiliens, und Galina Timchenko, Gründerin einer einflussreichen oppositionellen russischen Website, diskutieren.

Und der Autor dieses Artikels, Dale Bechtel, wird den Bemühungen zur Wiederherstellung des Vertrauens nachgehen, in einer Zeit, in welcher der Begriff «Fake News» Teil unseres Wortschatzes geworden ist und einen unverdienten Schatten auf selbst die angesehensten Nachrichtenorganisationen wirft.

«Sie erklärten mir, welche Möglichkeiten ich hatte, und wie es mit rechtlicher Unterstützung aussah», sagte Akraa gegenüber swissinfo.ch. «Das war sehr hilfreich, denn in der Türkei hatte ich keine Existenz mehr. Ich hatte nicht einmal die Chance gehabt, meine wenigen Habseligkeiten mitzunehmen, als ich wegging.»

Die Schweizer Sektion von RSF deckte nicht nur die rechtlichen Kosten des syrischen Reporters während seines Asylverfahrens, sondern auch die Kosten zum Erwerb von einer Computerausrüstung, damit er weiterhin als Journalist arbeiten konnte. Mittlerweilen hat er sein eigenes Nachrichten-Netzwerk, Brocar PressExterner Link, lanciert, um über die aktuellen Entwicklungen in Syrien und im Nahen Osten zu berichten.

Maher Akraa
Maher Akraa Foto-optik-grau

Die Unterstützung von Journalisten wie Akraa ist einer der vier Pfeiler der Arbeit der NGO. Daneben engagiert sie sich mit Schulungsangeboten und dem Verleih von kugelsicherer Kleidung für einen besseren Schutz von Journalistinnen und Journalisten, setzt sich bei Regierungen für Respekt und Achtung der Grundfreiheiten ein und kämpft gegen Online-Zensur.

Um das Bewusstsein für Bedrohungen der Informationsfreiheit zu schärfen, veröffentlicht die Organisation jährlich den World Press Freedom Index, eine Rangliste zur Situation der Pressefreiheit weltweit.

Denis Masmejan, der Leiter der Schweizer Sektion von Reporter ohne GrenzenExterner Link, erklärt, der Bericht 2019 zeige auf, wie sich die Situation für Journalistinnen und Journalisten rund um die Welt verschlechtert habe. «Dazu gehören auch Regionen wie Europa, die bis vor Kurzem als sichere Zufluchtsorte für Medienschaffende galten, wo diese heute aber die Ausübung ihrer Arbeit mit dem Leben bezahlen können.»

International lenkt die Organisation zur Zeit die Aufmerksamkeit auf den ungelösten Fall der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia. Sie kam 2017 bei einem Autobombenanschlag ums Leben, nachdem sie über Korruption in dem Inselstaat und Untersuchungen für die Panama Papers berichtet hatte.

Die Schweizer Sektion von RSF forderte ihrerseits die Schweizer Regierung Anfang Oktober auf, ihre diplomatischen Kanäle zu nutzen, um nach der Ermordung des saudi-arabischen Journalisten Jamal Ahmed Khashoggi 2018 gegenüber Saudi-Arabien eine entschlossenere Haltung einzunehmen und alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die sofortige Freilassung von 30 saudischen Journalisten, Kolumnisten und Bloggern zu erreichen, die nach Angaben der Organisation willkürlich inhaftiert wurden.

Im vergangenen Frühjahr war eine gemeinsame Erklärung, die den Mord an Khashoggi verurteilt und eine lückenlose Untersuchung fordert, von allen EU-Staaten und mehreren anderen Ländern unterzeichnet worden, nicht aber von der Schweiz.

Die Schweiz liegt dieses Jahr im Medienfreiheits-Index mit Rang sechs auf einem Spitzenplatz. Aufgrund dieser Position, sagt Masmejan, gebe es allen Grund, das Alpenland auf höchste Standards zu verpflichten.

«Obschon die Pressefreiheit im Allgemeinen gut geschützt ist, und Verstösse nicht mit jenen verglichen werden können, die man in autoritären Regimes sieht, gibt es Momente, in denen wir eingreifen müssen», sagt Masmejan. So verurteilte die Schweizer Sektion von RSF dieses Jahr zwei physische Angriffe auf Journalisten bei Protesten in Genf und Zürich.

In einem langjährigen Fall setzte sich die Schweizer Sektion zudem für die französischsprachige Walliser Tageszeitung Le Nouvelliste ein. Sie forderte Christian Constantin, den Präsidenten des Fussball-Clubs FC Sion, auf, den Boykott zu beenden, den er 2018 aufgrund kritischer Berichterstattung gegenüber dem Le Nouvelliste verhängte. Nicht nur haben die Reporter der Zeitung keinen Zugang zur Pressetribüne und zu den Medienkonferenzen mehr, den Spielern und allen Vereinsvertretern ist es zudem verboten, mit ihnen zu sprechen.

«Damit die Pressefreiheit lebt, muss sie überall und jederzeit maximal ausgeübt werden können», erklärt Masmejan.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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