SBB und Bund ziehen Schraube gegen Hooligans an
Gewaltbereite Fussballfans hinterlassen ihre wüsten Spuren auch in manchen Extrazügen. Davon haben die Schweizerischen Bundesbahnen genug und beantragten beim Bund, Hooligans künftig von der Transportpflicht auszuschliessen.
Zerschnittene Polster, herausgerissenes Interieur, verschmierte Wände, eingedrückte Decken, der Boden mit leeren Bierflaschen und –dosen übersät: «Die Extrazüge sehen nach den Spielen manchmal wie Schlachtfelder aus», sagte SBB-Verwaltungsratspräsident Ulrich Gygi jüngst in einem Interview mit der Aargauer Zeitung. Es gehe nicht an, dass die so entstandenen Kosten – die SBB bezifferten sie für 2010 auf drei Mio. Franken – vom Unternehmen getragen werden müssten.
Doch die Schadensumme war nicht alleine ausschlaggebend für die Demarche beim Bund. «Das Mass wurde voll, nachdem Fans Flaschen aus fahrenden Zügen geworfen hatten und wir deswegen Perrons sperren mussten, um die Sicherheit von unbeteiligten Dritten noch gewährleisten zu können», sagt SBB-Sprecher Reto Kormann gegenüber swissinfo.ch.
Die Spitzen der SBB und des Bundesamts für Verkehr (BAV) einigten sich Ende Juni auf Änderungen im Personenbeförderungsgesetz. Konkret soll die Aufhebung der Transportpflicht eine wirksamere Handhabe gegen das Treiben gewalttätiger, oft alkoholisierter Fussballfans in Zügen bieten.
Klubs in der Pflicht
Die entsprechende Botschaft des Bundesrates soll Ende Jahr vorliegen. Da die Gesetzesänderung danach den Parcours durch die Vernehmlassung und das Parlament antreten muss, scheint fraglich, ob die Verschärfung bereits auf Beginn der nächsten Fussballmeisterschaft im Sommer 2012 in Kraft treten kann, wie dies die SBB anstreben.
Mit der aufgegleisten Gesetzesänderung sollen Charterzüge anstelle der heutigen Extrazüge treten. Die Bestellung solcher Charterzüge bei den SBB wäre für die Besteller – also die Fussballklubs, aber auch Fanklubs sind denkbar – mit gesetzlichen Pflichten verbunden.
Klubeigene Security-Begleiter als Aufpasser
Welche gesetzlichen Pflichten dies sein könnten, illustriert Kormann am Beispiel der Niederlande, wo sich die SBB-Spitze vor Ort informiert hatte. Wie eine Dokumentation der SBB zeigt, tragen dort Charterzüge, im Verbund mit rigorosen baulichen Massnahmen an Bahnhöfen und in den Stadien, wesentlich dazu bei, die einst gefürchteten Aufeinandertreffen verfeindeter Fangruppen praktisch auszuschliessen.
Beim «Holländer-Modell» entscheide vor einer Partie der Bürgermeister, ob es sich um ein Hochrisikospiel handle, berichtet Kormann. Sei dies der Fall, komme die gesetzliche Pflicht des Gastklubs zum Tragen. Dieser muss dafür sorgen, dass die ganze Reisekette seiner Fans, also von der Abreise bis zum Eintreffen im Gästesektor des Stadions, geordnet verläuft, erklärt Kormann das Prinzip.
Versursacherprinzip
Zudem gebe es vor und nach jeder Fahrt im Charterzug ein Inventar. «Allfällige Schäden müssen durch die Klubs übernommen werden. Für Schäden durch Fans gilt also das Verursacherprinzip.» In der Schweiz müssen laut Kormann Steuerzahler und Passagiere dafür gerade stehen.
Der SBB-Sprecher legt aber Wert auf die Feststellung, dass der grösste Teil der Fans «anständig und vernünftig» sei und nur ein kleiner Teil nicht wegen des Sports an die Matches fahre, sondern um Krawall zu machen.
Bei der Organisation «Fanarbeit Schweiz», dem Dachverband der sozioprofessionellen Fanarbeit, stossen die Pläne von SBB und Bund auf Skepsis. Mit der Charterzug-Diskussion schiesse man über das Ziel hinaus, befürchtet Geschäftsführer Thomas Gander.
«Wer sagt, dass 700 Fans den Charterzug nehmen und nicht unkontrolliert mit Regelzügen anreisen? Wer soll dies allenfalls verhindern?», fragt Gander, der auch als Fan-Arbeiter von Basler Fussballfans im Einsatz ist. Sein Fazit: Mit Charterzügen würden mehr Probleme geschaffen als gelöst.
Matchticket gegen Bahnbillet
Die Antwort von SBB und Bundesamt für Verkehr (BAV) besteht im Kombi-Ticket, das ebenfalls Teil der Gesetzesänderung sein soll: Gästefans erhalten ihr Matchticket nur noch gegen Vorweisen des Billets für den Charterzug, so der Grundsatz.
Zurück zu den Zügen: Dass hier die Sicherheit zentral ist, steht auch für Thomas Ganderfest. «Die Erfahrungen zeigen aber, dass bei der Sicherheitsfrage Erfolge nur in Zusammenarbeit mit den Fans erreicht werden, statt sie zu etwas zu zwingen, das sie ablehnen», sagt der Vertreter von Fanarbeit Schweiz. Deshalb müsse die Selbstregulierung weiter gefördert werden, die bereits gut funktioniere.
Gander bedauert, dass einzelne grössere Ausreisser wie die Flaschenwürfe von Sion-Fans aus dem fahrenden Zug vor dem Cup-Final diesen Weg in Frage stellten. Auch kann er den Ärger der SBB über die Betätigungen der Notbremse durch Fans gut verstehen, da dies zu Verspätungen und Umleitungen des Regelverkehrs führt.
Selbstregulierung in Regionen bewährt
Dennoch ist es Gander ein wichtiges Anliegen, in der Thematik der Schäden in Extrazügen zu differenzieren. «Wir erhalten von Regionen, welche Extrazüge anbieten, auch positive Rückmeldungen punkto Entwicklung der Schadenssumme in der letzten Saison», betont er.
Dies wird von Ulrich Gygi bestätigt, zumindest, was Bern betrifft. «An YB-Auswärtsspielen haben letzte Saison 18 Fanzüge 16’000 Fans transportiert. Der Gesamtschaden belief sich auf 13’000 Franken. Das ist nicht viel und spricht für die wirkungsvolle Fanarbeit», strich der SBB-Verwaltungsratspräsident, selbst ein eingefleischter Fan der Young Boys, im Zeitungsinterview hervor.
Bei der Schadensumme von drei Mio. Franken handle es sich zudem um die ungedeckten Kosten, welche den SBB durch die rund 130 Extrazüge pro Fussballsaison entstünden, sagt Gander weiter. Darin seien neben der Schadenssumme auch Kosten für die Bereitstellung der Züge, die Reinigung sowie das Zug- und Sicherheitspersonal enthalten.
Sukkurs von Kantonen und Baspo
Das Kombi-Ticket ist auch Teil des Massnahmenpakets im Kampf gegen Hooligans, das die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) im Herbst an den nächsten so genannten runden Tisch gegen Gewalt im Sport bringen will. Zum Paket gehören auch die Bewilligungspflicht von Spielen sowie schärfere Meldepflichten für notorische Hooligans bei Hochrisikospielen.
Mit an diesem runden Tisch sitzt neben den Kantonen, den SBB, der Dachorganisation Fanarbeit Schweiz auch das Bundesamt für Sport (Baspo). Dessen Direktor Matthias Remund hat sich ebenfalls für ein härteres Anpacken der gewaltbereiten Fans ausgesprochen. Dies soll über strengere Zutrittskontrollen in den Stadien und die Ausweispflicht für alle Matchbesucher geschehen.
Im Kampf gegen gewaltbereite Fans haben sich SBB und Bund stets ein energischeres Vorgehen seitens der Klubs gewünscht. Angesichts der eingeleiteten Gesetzesänderung und dem Insistieren der Kantone und des Bundesamtes für Sport könnte es mit der bisherigen, als allzu passiv kritisierten Haltung der Klubs im Vorgehen gegen Hooligans bald vorbei sein.
Hooligans sind seit Jahren ein grosses Problem des Schweizer Fussballs.
Der Kampf gegen Gewalt rund um den Fussball zeichnet sich in der Schweiz weniger durch geeintes Vorgehen von Klubs, Fussballverband, Fan-Arbeit, Bundesbehörden, Kantonen und Gemeinden sowie den Transportunternehmen aus.
Vielmehr schieben sich die Akteure gegenseitig den Schwarzen Peter zu.
Jüngste traurige Höhepunkte: Auf der Fahrt zum Cupfinal warfen Sion-Fans Ende Juni Flaschen aus dem fahrenden Extrazug. Die SBB mussten auf Bahnhöfen aus Sicherheitsgründen Perrons sperren.
Mitte Mai richteten Basler Fans im Zürcher Letzigrund-Stadion Schäden in der Höhe von 150’000 Franken an.
Zu diesem Zeitpunkt waren in der zentralen Hooligan-Datenbank des Bundes 1159 Personen verzeichnet. Gut ein Jahr davor waren es noch 797 gewesen.
In den Extrazügen der SBB verursachten Fans 2010 Schäden von drei Mio. Franken.
Das 2010 in Kraft getretene Hooligan-Konkordat, dem alle Kantone beitraten, erweist sich als ebenso wirkungslos wie die Massnahmen der Klubs in den und um die Stadien.
Dazu gehört in den neuen Stadien die Überwachung mittels hochauflösender Kameras.
Die Klubs stellen sich bisher auf den Standpunkt, nicht für Ausschreitungen ausserhalb der Stadien verantwortlich zu sein.
Mit einer Änderung des Transportgesetzes wollen SBB und der Bund die Klubs verpflichten, für Schäden ihrer Fans in Zügen zu haften.
Für Fans soll zudem neu der Grundsatz «Matchticket nur gegen Zugbillet» gelten.
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