Schlechte Essgewohnheit vs. Heil des Fastens
Der Fastenmonat Ramadan gebietet Menschen islamischen Glaubens innere Einkehr und Abkehr von Lebensgenüssen – während des Tages. Aber nicht alle legen das gleich aus. Einige Gläubige essen derart viel und falsch, dass sie Übergewicht und Diabetes riskieren.
Wie sich während der vier Wochen des Ramadans gesund ernähren? Einer, der viel dazu weiss, ist Abdelhak Mansouri, Doktor in Ernährungsphysiologie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ).
swissinfo.ch: Was spielt sich genau im Körper ab, wenn man fastet?
Abdelhak Mansouri: Während des Tages nicht zu essen, bedeutet einen Rückgang der Kalorienzufuhr. Forschungen im Labor zeigen, dass eine solche Reduktion der Gesundheit im Alter förderlich ist. Beispielsweise ist Fasten eine gute Prävention gegen Alzheimer. Aber wir dürfen nicht vergessen: spricht man über positive Gesundheitseffekte, muss man auch über Erkrankungsrisiken sprechen, etwa Herzleiden oder Diabetes II.
Je länger die Reduktion der Kalorienaufnahme dauert, desto grösser sind die positiven Effekte. Der menschliche Körper ist darauf programmiert, sich zu regenerieren, wenn er etwas verloren hat. Es ist also keineswegs schädlich, den Körper an weniger Kalorien zu gewöhnen, sondern im Gegenteilförderlich.
swissinfo.ch: Werden aber die Vorteile des Fastens nicht durch eine schlechte Ernährung aufgehoben?
A.M.: Das stimmt. Generell kann jede Kur, die falsch gemacht wird, zu Übergewicht führen. Das lässt sich besonders gut während des Ramadans sehen: Stundenlang ohne Essen zu bleiben und sich dann abends vollzustopfen, ist ein Fehler.
Ich empfehle Fastenden, auf übermässigen Konsum von Kuchen, Teigwahren, Weissbrot und vor allem gezuckerten Softdrinks zu verzichten. Sie alle führen zu erhöhtem Blutzuckergehalt und Insulinausstoss und können Diabetes II auslösen. Es ist besser, Wasser zu trinken und wasserhaltige Früchte zu essen.
swissinfo.ch: Was tun, damit die Verdauung während des Ramadan optimal arbeitet?
A.M.: Bleibt man 18 Stunden lang ohne zu essen, wie das jetzt Gläubige in der Schweiz tun, neigt man zur Tendenz der Überkompensation, sobald man Essen darf. Dies aber ist ein schlimmer Fehler, denn der Magen, an drei Mahlzeiten pro Tag gewöhnt, schwillt ob brutalem Überkonsum an. Ich rate deshalb, das Fasten mit Datteln oder zuckerhaltigen Früchten zu brechen und dazu ein Glas Milch zu trinken.
Abdelhak Mansouri
Der Ernährungswissenschaftler ist Doktor der Ernährungsphysiologie und lehrt an der ETH Zürich.
An der Universität von Paris hat er über Lebererkrankungen im Zusammenhang mit zu grosser Fettaufnahme geforscht.
Nach 10 oder 15 Minuten kann man zum Beispiel eine Gemüsesuppe essen, dazu ein Stück Brot. Eine Stunde danach wiederum Früchte. Mit diesem Ernährungsmuster lässt sich der erhoffte Nutzen erzielen. Ich betone, dass die Mahlzeit, mit der das Fasten gebrochen wird, enorm wichtig ist. Dies, weil sie dem Körper hilft, das Fasten des folgenden Tages zu bestehen.
swissinfo.ch: Einige essen auch am frühen Morgen vor Fastenbeginn nichts, wenn es noch erlaubt wäre. Ist dies dem Körper zuträglich?
A.M.: Das bedeutet keine Gefahr. Aber das Mahl vor Fastenbeginn wird dadurch nicht weniger wichtig, vor allem für die Jungen zwischen 14 und 17 Jahren, die in diesem Alter sehr aktiv sind. Diese Mahlzeit gleicht ihre verbrauchte Energie aus und verhindert so die Erschöpfung. Dasselbe gilt für Personen, die harte körperliche Arbeit verrichten. Sie müssen die Energie kompensieren, um am nächsten Tag normal arbeiten zu können.
Physiologisch gesehen reagieren die Körper aberunterschiedlich. Es ist an jedem einzelnen, die Ernährungsweise zu wählen, die zu ihm passt.
swissinfo.ch: Wie kann man den Stoffwechsel während des Ramadans verbessern?
Fastenmonat Ramadan
Ramadan, «der heisse Monat», ist der neunte Monat des islamischen Mondkalenders. Er ist deshalb heilig, weil in ihm nach islamischer Auffassung der Koran auf die Erde herabgesandt worden ist.
Er ist der Fastenmonat, in dem Gläubige von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang sämtlichen Genüssen entsagen müssen: Essen, Trinken, Rauchen und Geschlechtsverkehr.
Die Nacht dagegen ist eine sehr intensive Zeit.
Ausgenommen sind Schwangere, Kranke, Soldaten und Reisende.
Es ist auch der Monat der Gebete und der religiösen Inbrunst.
Das Ende markiert das Fest des Fastenbrechens.
Quelle: Centre national de la recherche scientifique Paris/Frankreich (CNRSExterner Link).
A.M.: Die reduzierte Kalorienaufnahme erzielt man am besten mit einer sportlichen Betätigung. Das bedeutet aber nicht unbedingt den Besuch in einem Fitness-Zentrum. Sehr gut sind 30 bis 60 Minuten täglich zu Fuss gehen und Treppensteigen statt den Lift nehmen. Gerade am Abend nach der Mahlzeit ist ein Spaziergang sehr wichtig, weil er die Verdauung anregt.
swissinfo.ch: Während des Ramadan sind Familie und Freunde um den Tisch versammelt. Ist auch dieses Zusammensein der Gesundheit förderlich?
A.M.: Am selben Tisch zu essen, stärkt die soziale Verbundenheit, was auch zu reduziertem Kalorienverbrauch beiträgt. Die Erfahrung bestätigt: Isst man allein, konsumiert man viel grössere Mengen, als wenn man mit Familie oder Freunden zusammen isst.
swissinfo.ch: Gibt es eine Beziehung zwischen dem Sozialverhalten eines Menschen und der Funktionsweise seines Verdauungssystems?
A.M.: Es ist bekannt, dass Personen, die unter Einsamkeit leiden oder unter Druck stehen, zu Ängstlichkeit und psychischer Instabilität neigen. Einige von ihnen kompensieren ihre Sorgen mit Bulimie. Ich kann Ihre Frage nicht genau beantworten. Ich weiss aber, dass das Sozialverhalten den Körper daran hindert, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen dem, was er benötigt, und dem, was er wirklich konsumiert.
swissinfo.ch: Einige Eltern verlangen von ihren Kindern, dass sie den Ramadan einhalten. Hat das Fasten für Kinder negative Auswirkungen?
A.M.: Schwer zu sagen, es hängt vom Alter ab. Jugendlichen unter 14 Jahren rate ich davon ab. Denn sie sind mitten in der Wachstumsphase, wo ihre physiologischen Bedürfnisse grösser und wichtig werden. Bei über14-Jährigen stellt sich dieses Problem nicht mehr so, denn sie verfügen schon über die nötige physische Konstitution, um eine solche Prüfung zu bestehen. Aber die Überzeugung zu fasten muss von ihnen kommen. Ohne sie kann das Fasten den erhofften Nutzen nicht bringen.
Islam in der Schweiz
In der Schweiz leben rund 330’000 Musliminnen und Muslime, was 4,9% der Bevölkerung ausmacht.
Sie verteilen sich auf über 30 Nationalitäten und noch mehr kulturelle Traditionen und religiöse Praktiken.
Rund ein Zehntel versteht sich als praktizierende Muslime.
swissinfo.ch
(Aus den Französischen: Renat Kuenzi)
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