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Das Skilager, eine Schulinstitution trotzt dem Zeitgeist

Snowboarder auf einem Sessellift
Im Skilager ist man nicht sektiererisch: Auch Snowboarder sind willkommen. © Keystone / Jean-christophe Bott

In der Schweiz sollte jedes Kind zumindest einmal während seiner obligatorischen Schulzeit eine Woche in einem Skilager verbracht haben. So will es nicht das Gesetz, sondern eine Tradition, die sehr lebendig bleiben wird, solange es Schnee gibt und das Land seinen Nationalsport liebt.​​​​​​​

«Heute spricht man nicht mehr von Skilagern, sondern von Wintersport-Lagern», sagt Tobias Fankhauser. Er muss es wissen, arbeitet er doch beim Bundesamt für SportExterner Link (Baspo). Bei den meisten dieser Schulausflüge in die Berge können die Kinder auch Snowboarden, Langlaufen und sogar Skispringen.

Das Prinzip bleibt aber das gleiche: Fünf Tage lang haben Lehrer- und Schülerschaft die Möglichkeit, sich in einem anderen Rahmen zu begegnen, fernab vom formellen Unterricht. Für das Baspo ermöglichen die Lager «jungen Menschen, eine positive Erfahrung für ihre Sozialisation und Entwicklung zu machen».

Die Kinder kehren meist mit guten Erinnerungen zurück: gestärkte Freundschaften, Kissenschlachten und Gekicher in den Schlafsälen und die Aufregung bei den abendlichen Partys mit den Freunden und Freundinnen.

Auch sportlich ist die Bilanz generell positiv. Im völligen Eintauchen in den Sport, ohne dass die Eltern sie übermässig beschützen und unter der ständigen Kontrolle der gesamten Klasse, können die Schülerinnen und Schüler in fünf Tagen erstaunliche Fortschritte machen.

Kiner im Schnee
Ein Skilager kann auch magische Momente bieten, an die man sich noch lange erinnern wird. Keystone / Juerg Mueller

Beziehung zu den Bergen pflegen

«Die Tradition der Winterlager in der Schweiz geht zurück auf den Zweiten Weltkrieg», sagt Grégory QuinExterner Link, Professor für Lehre und Forschung am Institut für Sportwissenschaften der Universität Lausanne.

«Sie wurden geschaffen, um die von ausländischen Touristen verlassenen Hotels zu füllen. Und das ist immer noch ein wenig die Idee. Der Wintersport allein fördert nur die motorischen Fähigkeiten und die Gesundheit. Es geht aber auch darum, die Verbindung zwischen der Schweizer Bevölkerung und ihren Bergen zu erhalten.»

Dieses Interesse hält seit mehr als 70 Jahren an. Heute besuchen fast alle Schweizer Schülerinnen und Schüler während der obligatorischen Schulzeit mindestens einmal ein Wintersport-Lager – auch wenn es kein Gesetz gibt, das ihre Schulen dazu zwingen würde, sie dorthin zu schicken.

In der föderalistisch strukturierten Schweiz liegen Schulen in der Verantwortung der Kantone. Aber auch jene Kantone, die sich am weitesten entfernt von den Bergen befinden – eine relative Entfernung in diesem Land, wo die Gipfel überall am Horizont sichtbar sind, – organisieren Skilager.

Die beiden grössten Alpenkantone, Wallis und Graubünden, müssen nicht einmal Unterkünfte für die Schülerinnen und Schüler mieten. In diesen Tälern, in denen man nie mehr als eine Stunde von einer Piste entfernt ist, finden die Wintersport-Kurse jeweils an ganzen oder halben Tagen statt.

Sanfte Abnahme

Heisst das, dass die Wintersport-Erziehung ebenso zu den Genen der Schweizer Schulen gehört wie Geschichte oder die Landessprachen? Das ist nicht sicher. Über die letzten Jahre betrachtet, ist nämlich ein leichter Rückgang zu verzeichnen.

Das Baspo, das über sein Förderprogramm Jugend+SportExterner Link zur Finanzierung der Lager beiträgt, führt seit 2005 eine nationale Statistik. In 13 Jahren hat sich die Zahl der Lager demnach von 2585 auf 2368 verringert. Nicht wirklich ein Absturz, aber der Trend ist da.

Externer Inhalt
Ein leichter Rückgang, aber kein Absturz. Und in den letzten Jahren sind die Zahlen gestiegen.

Baspo-Sprecher Tobias Fankhauser sieht mehrere mögliche Erklärungen: «Namentlich die demografische Entwicklung [immer weniger Kinder] und weniger Schnee, besonders in niedrig gelegenen Skiorten und nahe von grossen Agglomerationen, aber auch die Tatsache, dass der Wintersport für Familien mit Migrationshintergrund keine Priorität hat.»

Dazu kommen Forderungen nach Sicherheit und Überwachung, die gewisse Lehrer und Schulleiter nicht mehr auf sich nehmen wollen. Ganz zu schweigen von den Ängsten der Eltern: «Die Leute haben Angst, ihre Kinder auswärts übernachten zu lassen, und befürchten auch, dass andere Probleme auftreten könnten», sagt Vincent Ebenegger, Leiter der Abteilung Sport und Gesundheit an der Schule des Kantons Wallis. «Und schliesslich dürfen wir nicht verschweigen: Es wird immer teurer.»

Bis vor Bundesgericht

Denn Skilager sind selten gratis. Wenige Schulen schaffen es, die Kosten mit dem laufenden Budget zu decken. Auf dem Markt oder in Einkaufszentren sieht man oft Schülerinnen und Schüler, die Gebäck, Nippes oder Lotterielose verkaufen, um bei der Finanzierung ihres Lagers mitzuhelfen. Und die Schulen bitten die Eltern auch darum, mit Summen zwischen einigen Dutzend und manchmal mehr als 300 Franken beizutragen.

Viel zu viel für das Bundesgericht. Im Dezember 2017 fällte es ein Urteil, das viel zu reden gabExterner Link: Zur Beschwerde von vier Thurgauer Eltern, die sich nicht nur auf Skilager, sondern auf alle bezahlten Schulaktivitäten konzentrierte, sagte das höchste Gericht, dass die Schule während eines Lagers den Eltern nur berechnen darf, was die Verpflegung ihres Kindes kosten würde, wenn es zu Hause wäre. Je nach Alter ist das zwischen 50 und 80 Franken pro Woche.

Sofort herrschte Panik, vor allem in den Medien, die befürchteten, dass dieses Urteil den Todesstoss für Skilager in allen Schweizer Kantonen bedeuten könnte. Doch das Baspo hat in der Praxis nichts dergleichen beobachtet.

«Im Gegenteil, in den Jahren 2018 und 2019 [bis jetzt] wurden mehr Lager organisiert als im Jahr 2017», sagt Fankhauser. Und wären es ohne das Bundesgerichts-Urteil sogar noch mehr gewesen? Da könne man nur spekulieren, sagt Baspo-Sprecher Fankhauser.

Die Eidgenossenschaft kommt zu Hilfe

Das ändert jedoch nichts daran: Langfristig, auch wenn er nach wie vor sehr beliebt ist, sinkt der Wert des Wintersports in der Schweiz. Ein bisschen wie das Image der Schweizer Athletinnen und Athleten im grossen weissen Zirkus des Ski-Weltcups.

«Skifahren ist zu einem Luxussport geworden, das erkennen wir jetzt, aber wir hätten es vor 20 Jahren sehen sollen», sagt der Sporthistoriker Gregory Quin. «Eine Familie kann es mehr kosten, einen Tag in einem grossen Skiresort wie Verbier zu verbringen, als drei Tage in der Sonne in Porto oder in Griechenland.»

Aber wenn das Kind das Skilager toll fand, wird es wohl eher Verbier vorziehen – oder eine andere Skistation. Seit 2014 unterhält die Eidgenossenschaft deshalb eine Initiative zu Gunsten des Wintersports: Auf der Internet-Plattform «GoSnow»Externer Link sollen Schulen die günstigsten Angebote an Unterkünften und Skiliften für die Organisation eines Skilagers finden.

Und im neuen Schuljahr 2019 kündigte die neue Verteidigungs- und Sportministerin Viola Amherd an, dass ihr Departement nun an Schulen 12 statt bisher 7.60 Franken pro Schüler und Tag für das Wintersport-Lager zur Verfügung stellen werde.

Ebenegger, der Walliser Schulsport-Verantwortliche, wertet das als ein Zeichen: «Die Tatsache, dass es auf Schweizer Ebene eine Initiative wie ‹GoSnow› braucht, zeigt, dass es ein Problem mit Wintersport-Lagern gibt. Und wenn nun der Bund die Beteiligung erhöht, heisst das auch etwas…»

Kind mit schneebedecktem Gesicht
Lang lebe der Schnee! Keystone / Gaetan Bally

(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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