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Schweiz bejubelt «die Geburt eines neuen Champions»

Zeremonienmeister der Weltpresse: Stanislas Wawrinka am Tag nach seinem grossen Sieg in Melbourne. Reuters

Am Tag nach seinem überraschenden ersten Grand-Slam-Sieg am Australian Open huldigt die Schweizer Presse ihrem neuen Tennis-Heroen Stanislas Wawrinka. Der 28-jährige Romand, jüngst zum "Schweizer des Jahres 2013" gewählt, imponiert vor allem durch seine Bescheidenheit und unermüdliche Willenskraft.

«Champion! Es gibt kein anderes Wort mehr», jubelt Le Matin aus Wawrinkas Heimat Lausanne. «Der neue König von Melbourne», proklamiert das St. Galler Tagblatt. «Stan-Stunde», hält der Blick den magischen Moment fest, während der Walliser Bote den Sonntag zum «Tag für die Ewigkeit» erklärt.

«Stan der Supermann geht in die Geschichte ein», schreibt der Walliser Le Nouvelliste. Und die Freiburger Nachrichten sekundiert: «Wawrinka schreibt Tennisgeschichte». «Ein Drama in vier Akten mit Wawrinka als grossem Sieger», titelt die Berner Zeitung.  

«Kein Traum, sondern Wirklichkeit», reibt sich die Basler Zeitung die Augen. Mit seinen Triumph sei «ein Tennis-Märchen wahr geworden. Noch vor anderthalb Jahren war im Magazin ein grosses Porträt über Wawrinka mit dem Titel ‹Die Kunst des Verlierens› überschrieben», erinnert sich die BaZ. «Ab heute ist er selber die Nummer 3 der Welt und hat in diesem Jahr noch nicht einmal verloren. Wawrinka zelebriert nun die Kunst des Siegens.»

Aussergwöhnlich, in vielerlei Hinsicht 

Tages-Anzeiger und Der Bund sprechen von der «Geburt eines Champions» und führen die «Sensation» auf «Arbeit, Mut und Demut» zurück. «Wawrinka war schon immer aussergewöhnlich: aussergewöhnlich bescheiden, aussergewöhnlich arbeitsam, aussergewöhnlich draufgängerisch, aussergewöhnlich demütig. Er hat gelernt, die Niederlage zu akzeptieren, daraus zu lernen, wieder und wieder. Und weil es ihm glückte, sich mit den richtigen Leuten zu umgeben und von ihnen zu profitieren, wurde er zum Sieger. Und zu was für einem.»

«Die Phalanx der Grössten durchbrochen», titelt Die Südostschweiz. Mit dem Finalsieg über Nadal habe Stanislas Wawrinka am Australian Open auch die letzte mentale Hürde auf dem Weg in die Phalanx der Grössten gemeistert.

Keystone

5-Satz-Niederlagen als Wendepunkte 

«Ein notorischer Verlierer war Wawrinka nie; ein Top-10-Spieler ist kein Gescheiterter. Es brauchte aber seine Zeit, bis Wawrinka erkannte, dass er es auch mit den Giganten aufnehmen kann. Die beiden 5-Satz-Niederlagen gegen Djokovic im Vorjahr lösten den Knopf im Kopf endgültig. Sie (und Trainer Magnus Norman) liessen den stillen Kämpfer zu einem grossen Champion reifen.»

Die Neue Luzerner Zeitung legt den Fokus auf «Wawrinkas Wandel»: «Seine technischen und spielerischen Qualitäten sind seit langem unbestritten. Dank der mentalen Stärke ist er nun zum absoluten Spitzenspieler gereift. Immer wieder hat der 28-jährige Schweizer an diesem Turnier mit seinen Gesten angedeutet, wie wichtig das Selbstvertrauen ist, das ihm früher gefehlt hat. Vor ­allem sein Trainer Magnus Norman hat ihn auf den richtigen Weg geführt.»

Und vielleicht hätten auch all jene Schweizerinnen und Schweizer mitgeholfen, als sie Stanislas Wawrinka vor zwei Wochen zum «Schweizer des Jahres» gewählt hätten, so die NLZ.

Zu den unzähligen Gratulanten zählte auch Bundespräsident Didier Burkhalter. «Die Schweiz hat Ihre Exploits verfolgt. Wir haben mit Ihnen daran geglaubt. Bravo zu Ihrer Leistung voller Kraft und Mut auf der anderen Seite der Welt», schrieb der Aussenminister.

Auch Bundesrat Alain Berset sowie die Regierung von Wawrinkas Heimatkantons Waadt schickten dem Tennisprofi Glückwünsche.

Unter den Anerkennungen sticht vor allem jene des 14-fachen Grand-Slam-Siegers Pete Sampras heraus: «Stan hat den Sieg verdient, er war besser als Nadal, bis sich dieser verletzte. Er ist ein grossartiger Spieler, trifft die Bälle sehr gut und seine Rückhand, mein Gott, ich wünschte, ich hätte die gehabt. Für ihn ist dies hoffentlich erst der Beginn.»

Alessandro Del Piero, italienischer Fussball-Weltmeister 2006: «Wawrinka hat die Trophäe verdient, er hat ein fantastisches Turnier gespielt. Es war ein merkwürdiges Spiel, mit sehr vielen Emotionen.»

Via Twitter meldete sich auch FIFA-Präsident Sepp Blatter bei Wawrinka: «Gratuliere! Du hast die Schweiz heute sehr glücklich gemacht!»

Die Kunstturnerin und Sportlerin des Jahres 2013 Giulia Steingruber schrieb: «Einmal mehr unglaublich! What a man.»

NHL-Eishockeyspieler Nino Niederreiter: «Sehr verdient, Mr. Ironman!!!!»

Johan Djourou, Verteidiger der Schweizer Fussball-Nationalmannschaft: «Gut gemacht, Bruder. Der beste Beweis, dass man nie aufgeben darf. Erster Grand Slam nach 35 Turnieren und 9 Jahren, du Tier!»

Als «geborener Verlier» bemitleidet 

Die Aargauer Zeitung spendet dem Westschweizer «Standing Ovations» und analysiert ebenfalls seinen erstaunlichen Wandel. «Jahrelang kämpfte Wawrinka gegen das Image des netten Jungen von nebenan, gut genug, um mitzuspielen, aber zu lieb, zu wenig selbstbewusst, zu wenig konsequent auf dem Platz, um zu siegen. Der geborene Verlierer, so nannten ihn die Spötter.»

Auch dank des von ihm geholten schwedischen Coaches Magnus Norman habe er Selbstvertrauen tanken können. «Aus dem Zweifler und Zauderer ist ein Siegertyp geworden. Djokovic, die Bestätigung gegen Berdych und nun Rafael Nadal, gegen den er zuvor in zwölf Partien keinen Satz gewonnen hatte. Kaltblütig packte er zu, nutzte seine Chance», so die Aargauer Zeitung.

 «Über sich hinausgewachsen», hält die Schaffhauser Nachrichten schlicht fest. «‹Stan, the Man›, wie er weltweit bekannt ist, könnte sich nun zwar wohl zu ‹Stan, the Superman› umtaufen», aber selbst angesichts der über zwei Mio. Franken Preisgeld dürfte der «stets bescheiden und demütig gebliebenen Waadtländer» kaum abheben. «Das würde nicht seinem Naturell entsprechen», so die Zeitung.

Schwerarbeiter auch im mentalen Bereich 

«Stantastisch»: Selbst die sonst um Zurückhaltung bemühte Neue Zürcher Zeitung lässt sich von den Emotionen erfassen und zu Wortkreationen greifen, die sonst dem Boulevard vorbehalten sind. «Mit dem ersten Grand-Slam-Titel steigt Stanislas Wawrinka in eine neue Liga auf», schreibt die NZZ, aus dem Nichts aber komme Wawrinkas Sieg nicht. «Der 28-Jährige ist innerhalb der letzten Jahre enorm gereift. Den Wendepunkt in seiner Karriere signalisiert die Fünfsatzniederlage vor einem Jahr in Melbourne gegen Djokovic. Sie gab ihm die Gewissheit, mit den Besten mithalten zu können.»

 

Der Prozess aber habe schon viel früher eingesetzt. 2012 nach seiner Erstrundenniederlage in Wimbledon gegen den Österreicher Jürgen Melzer habe er seine Karriere grundsätzlich infrage gestellt. «Der Davis-Cup-Coach Severin Lüthi, der dem trainerlosen Romand damals zur Seite stand, animierte ihn zu stärkerer mentaler Arbeit», so die NZZ.

«Das ’seltsame› Finale gegen Rafael Nadal darf den formidablen Parcours von Stanislas Wawrinka nicht beeinträchtigen. Der Waadtländer hat seinen ersten Titel an einem Grand-Slam-Turnier vollauf verdient», schreibt der Neuenburger L’Express.

Die Tribune de Genève erinnert an Wawrinkas Tattoo auf dessenlinken Unterarm «Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser» von Samuel Beckett, das ihm als Inspirationsquelle diene. «Mit seinem rechten Arm schlägt er eine Rückhand, wie andere damit Geige spielen», so die Zeitung aus der Rhonestadt.

Im Moment des Triumphs blickt Le Matin aus Lausanne schon voraus. «Jetzt oder nie: man muss Geschichte schreiben und versuchen, den Davis Cup zu gewinnen.»

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