In Zürich nehmen es Mieter mit der Credit Suisse auf
Die Bewohner des Brunauparks in Zürich bangen um ihr Zuhause. Die Credit Suisse Pensionskasse plant einen riesigen Neubaukomplex. Sie hat deshalb den Mietern der fast 250 Wohnungen gekündigt. Die geplanten Appartements sind viel teurer. Viele Mieter gehen auf die Barrikaden.
Der Brunaupark liegt im Südwesten Zürichs, der grössten Stadt der Schweiz, zwischen dem Uetliberg und dem See und ist vom Hauptbahnhof innert 15 Minuten mit dem Tram erreichbar.
Der in den 1980er- und 1990er-Jahren erbaute, aus fünf Gebäuden bestehende Komplex steht etwas abseits der Strasse hinter einem kleinen Einkaufszentrum. Die Wohnanlage beherbergt rund 700 Menschen in 405 Wohnungen.
Das erste, was auffällt, ist die Ansammlung hoher weisser Stangen, die überall in den Himmel ragen. Es sind die Bauprofile, welche die Position und Höhe des geplanten Neubaus markieren. Bauherr ist die Credit Suisse Pensionskasse.
Im Frühling haben viele der Mieter unerfreuliche Post erhalten: Via Hausverwaltung informierte die Eigentümerin der über 200 Wohnungen, dass die Mietverträge gekündigt werden. Ihr Plan sieht vor, vier der fünf Gebäude abzureissen und 240 Appartements aufzulösen. Der Neubau soll viel näher zur Strasse rücken und Platz für rund 500 zusätzliche Wohnungen bieten – Wohnungen, die deutlich teurer sein werden.
Die Mieter des Brunauparks wollen das nicht hinnehmen. Sie haben sich organisiert, um die Baupläne mit einer Petition und juristischen Anfechtungen zu bekämpfen.
Besuch von UNO-Sonderberichterstatterin
Für die zweitgrösste Bank der Schweiz ist der Fall zu einem PR-Debakel geworden. Besonders schlecht stand die Credit Suisse da, als im Juni die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für das Recht auf Wohnen, Leilani Farhi, den Brunaupark besuchte, um ihre Unterstützung für die Mieter zu signalisieren.
Die Pensionskasse der Credit Suisse aber besteht darauf, dass sie ein verantwortungsbewusster Vermieter sei, der die Mieter ein Jahr im Voraus über die anstehende Kündigung informiert habe.
Es ist nicht die einzige Pensionskasse in der Schweiz, die in Immobilien investiert. Da die Nachfrage nach Wohnraum in Schweizer Städten das Angebot bei weitem übersteigt, gelten Immobilien als sichere und gewinnbringende Investition.
Aufgrund des tiefen Zinsniveaus in der Schweiz – zurzeit das niedrigste der Welt – ist momentan wenig Geld mit traditionellen Anleihen zu verdienen. Die niedrigen Preise machen auch Renovierungen günstig. All dies führt zu immer höheren Immobilienpreisen.
«Es ist wie ein Dorf»
Bianca und Willy Küng gehören zu den Mietern, sie sich ein neues Zuhause suchen müssen. Das Ehepaar, beide sind über 70 Jahre alt, fühlt sich dem Brunaupark besonders verbunden. Die Küngs bewohnen eine Vierzimmerwohnung im Dachgeschoss, von wo aus sie einen wunderbaren Blick auf die Altstadt und die Alpen haben. Das Gebäude soll im Juni 2020 abgerissen werden.
Zwei ihrer Söhne leben im selben Wohnblock, ein dritter Sohn in einem der anderen Häuserblöcke, die verschwinden sollen. Bianca kümmert sich an drei Tagen in der Woche um ihre vier Enkelkinder.
«Es ist wie in einem Dorf. Es ist eine gute Nachbarschaft für Familien und Kinder. Alles, was wir zum Leben brauchen, finden wir hier», sagt Willy Küng.
Er deutet auf das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer und fährt fort: «Es ist nicht sinnvoll, einwandfreie Gebäude abzureissen und sie zu ersetzen. Wir sind entschlossen, gegen den Neubau zu kämpfen.» Zusammen mit dem Mieterverband wollen er und seine Frau nichts unversucht lassen, um das Projekt zu blockieren, damit die Menschen im Brunaupark bleiben können.
Die Küngs zogen 1982 ein. «Ich war mir sicher, dass wir hierbleiben würden. Dieser Ort war ein Beispiel vorbildlicher Stadtentwicklung», sagt Willy Küng.
Viele «Brunauer» haben hier etwas gefunden, das in einer Stadt nur schwer zu finden ist: ein Gemeinschaftsgefühl. Und sie wohnen nah an Grünflächen auf dem Uetliberg, wo sie wandern, joggen und radfahren können.
Besonders ältere Menschen schätzen den Supermarkt und das Restaurant vor der Haustür, die Apotheke, den Friseur und das Ärztezentrum. Junge Familien profitieren von einer Kindertagesstätte, einem Kindergarten und viel sicherem Platz für die Kinder zum Spielen. Und die orthodoxen jüdischen Einwohner sind nur wenige Gehminuten von ihrer Synagoge entfernt.
5700 Unterschriften gesammelt
Auch Elisabeth Sutter ist wütend über die Pläne der Credit Suisse. Sie gehört wie die Küngs zu den ursprünglichen Mietern und wohnt im selben Block, zusammen mir ihrem Ehemann, in einer Wohnung im Erdgeschoss mit Garten.
Obwohl auch sie gerne bleiben möchte, ist sie weniger optimistisch. «Es ist anstrengend, hier zu leben, wenn das Ganze so über einen schwebt. Wenn wir eine andere Wohnung finden, die für uns erschwinglich ist, ziehen wir wohl um», sagt sie.
Wie die Küngs wurde auch die Wohnung der Sutters 2011 renoviert. Küche, Bad und Fenster sind so gut wie neu.
«Die Leute möchten bleiben, aber sieben der 17 Wohnungen in unserem Haus sind bereits leer. Zwei Nachbarn sind verstorben und fünf weitere zogen weg. Sie konnten es nicht ertragen. Es ist jetzt sehr ruhig im und ums Gebäude.»
Die Mieter haben sich organisiert und einen Verein zur Verteidigung ihrer Interessen gegründet – die IG Leben im Brunaupark. Sie sammelten 5700 Unterschriften für eine Petition, die sie im Mai beim Zürcher Stadtrat einreichten.
Die Mieter wollen zweigleisig vorgehen und sowohl Bedenken zur Planung des Bauvorhabens und als auch zur Art und Weise der Kündigung vorbringen. Ihre Kampagne steht zwar noch am Anfang, doch die IG ist bereit, bis vor Bundesgericht zu gehen.
Ein wichtiger Streitpunkt ist die Miete. Die durchschnittliche monatliche Miete in der Anlage ist für Zürcher Verhältnisse günstig und liegt zwischen 1500 und 2500 Franken. Die neuen Wohnungen sollen zwischen 2500 und 3500 Franken kosten.
Die Langzeitmieter im Brunaupark haben auf jeden Fall mehr zu verlieren als ihre Sicherheit. Sie stehen auch vor einem schwierigen Übergang: Von einem langjährigen Mietverhältnis mit guten Konditionen hin zur Ungewissheit auf dem freien Wohnungsmarkt in Zürich, wo der Konkurrenzkampf gross ist und die Mietpreise stetig steigen.
Im Brunaupark herrscht Angst, besonders unter älteren Bewohnern und Menschen mit niedrigem Einkommen. Das Angebot der Credit Suisse Pensionskasse, Mieter bei der Wohnungssuche zu unterstützen, wird von all jenen Bewohnern, die ein knappes Budget haben, mit Spott und Häme überzogen.
Eine ältere Frau ist zu beschämt, um uns ihre Wohnung zu zeigen. «Seit all dem ist meine Wohnung ein einziges Chaos», sagt sie, «genau wie mein Verstand».
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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