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Schweiz will Homophobie im Sport bekämpfen

Ein Coming-out wäre für einen Schwinger besonders schwierig. Keystone

Schweizer Sportinstitutionen wollen sexuelle Diskriminierung im Sport mit einer neuen Kampagne bekämpfen. swissinfo.ch hat mit Schweizer Athletinnen gesprochen, die ihre Homosexualität öffentlich gemacht haben. Eine von ihnen gehört zur Schweizer Delegation in Sotschi.

IOC-Präsident Thomas Bach ging in seiner Rede an der Eröffnungszeremonie auf das Thema ein und sprach sich für «Toleranz und gegen jegliche Form von Diskriminierung aus welchen Gründen auch immer» aus.

Zehn Tage vor Beginn der Spiele in Sotschi haben Schweizer Sportinstitutionen eine Kampagne gegen sexuelle Diskriminierung im Sport lanciert.

«Homophobie kommt unglücklicherweise jeden Tag vor», sagte Sami Kanaan, der Präsident der Arbeitsgemeinschaft der schweizerischen Sportämter gegenüber swissinfo.ch.

«Sport hat den Ruf, er schliesse nicht aus, sei geprägt von Fairness, Toleranz und Respekt. Viele Sportler sagen, Homophobie sei kein Thema. Es ist wichtig, klarzustellen, dass das ein Thema ist und dass Leute diskriminiert werden und Homosexuelle sich nicht trauen zu sagen, dass sie homosexuell sind.»

«Als Athletin, aber auch als Mensch, denke ich, dass wir jegliche Form von Diskriminierung stoppen müssen, um unser ganzes Potenzial freisetzen zu können», sagte Simona Meiler gegenüber swissinfo.ch.

Die Bündnerin, die zu den besten Snowboarderinnen der Schweiz gehört, ist die einzige Schweizer Athletin an den Olympischen Winterspielen, die ihre sexuelle Neigung öffentlich gemacht hat. Ihr Name steht auch auf einer Petition, die vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und von den Sponsoren verlangt, dass diese mehr Druck auf Russland ausübten, damit das Land seine kürzlich erlassenen Gesetze gegen Homosexuelle wieder erwäge.

Keystone

Überrascht und erstaunt

Der 25-jährige Laurent Paccaud betreibt Judo auf nationaler Ebene. Er hatte vor fünf Jahren sein Coming-out und sagt heute, die meisten Reaktionen seien positiv ausgefallen. «Meine Sportkollegen waren überrascht und erstaunt, es war komplett neu für sie», sagte Paccaud gegenüber swissinfo.ch. «Viele Leuten wussten nichts über Homosexualität und stellten viele Fragen. Sie waren interessiert und wollten dazu lernen. Andere reagierten ablehnend.»

Paccaud hat seine Masterarbeit als Sozialwissenschaftler über sexuelle Diskriminierung im Sport geschrieben. «Homophobie drückt sich gegenüber Männern im Bereich des Sports heftiger aus als in andern sozialen Zusammenhängen. Die Diskussionen sind mehr auf den Körper bezogen. Nach einem Training reden die Leute darüber, wie sie junge Frauen anmachen und so weiter. Homosexuelle müssen ein konstantes Spiel spielen und die Leute um sich herum anlügen.»

Das habe auch damit zu tun, dass Homosexuelle in den Augen der Gesellschaft als weniger männlich gelten und als Athlet kein gutes Vorbild abgeben würden.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich vor dem Hintergrund der homosexuellen-feindlichen Gesetze in Russland wiederholt zu den Olympischen Winterspielen geäussert.

Homosexuelle könnten sich in Sotschi «wohlfühlen», sie sollten aber «die Kinder in Frieden lassen», sagte Putin kurz vor der Eröffnung der Spiele.

Homosexualität stehe in Russland nicht unter Strafe. Verboten sei indes «homosexuelle Propaganda» gegenüber Minderjährigen. «Das  Verbot von bestimmten Beziehungen und die Propaganda dieser Beziehungen sind zwei völlig verschiedene Dinge», sagte Putin.

Bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi werde kein Athlet diskriminiert, so Putin: «Die Spiele werden in voller Übereinstimmung mit der Olympischen Charta veranstaltet, ohne irgendwelche Diskriminierungen». Gleichzeitig warf das russische Aussenministerium der EU «Propaganda homosexueller Liebe» vor.

Mangel an bekannten Athleten

Für Barbara Lanthemann, die Geschäftsführerin der schweizerischen Lesbenorganisation, ist die Kampagne ein Schritt in die richtige Richtung. Sie sagt, es wäre wirkungsvoller gewesen, wenn man dafür die Gesichter von bekannten Schweizer Athletinnen genommen hätte, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen. Das Problem sei, dass es keine solchen gebe.

«Sie wissen, dass sie den Verlust von Sponsoren riskieren und es ihrer Karriere schaden könnte. Zudem wissen sie genau, dass sie nach einem Coming-out permanent als homosexuell etikettiert würden.»

Für die 24-jährige Meiler spielt diese Betrachtungsweise keine Rolle. «Ich denke, im Ski- oder im Snowboard-Sport spielt das keine grosse Rolle. Sexualität ist generell kein grosses Thema. Was zählt, sind die Resultate im Schnee.

Paccaud sagt, es sei schwierig, anderen Leuten Ratschläge zu erteilen, denn jede Situation sei individuell zu betrachten. «Ich würde den Leuten dennoch raten, über ein Coming-out nachzudenken. Es kann positive, aber auch negative Konsequenzen haben, darum lohnt sich ein Abwägen. In meinem Fall sagten viele Leute, das gehe sie nichts an. Das kann positiv gemeint sein, beinhaltet aber auch, dass ich nicht normal sei. Es ist eine gut gemeinte Reaktion, die aber weh tun kann.»

Das Verhalten ändern

Lanthemann verweist auch auf jene heterosexuellen Athleten, die darunter leiden, dass sie als schwul gelten und deshalb gemobbt werden: «Vor zehn Jahren haben viele Frauen angefangen, Fussball zu spielen. Kurzes Haar eignet sich zum Fussballspielen besser als langes. Darum haben viele Fussballspierinnen ihre Haare kurz geschnitten, was viele Leute dazu veranlasste, zu glauben, die Frauen seien lesbisch», sagt sie.

«Heute haben die meisten Fussballerinnen lange Haare und die Leute reden nicht mehr über ihre sexuelle Orientierung. Ich denke, dass wir hier von sexueller Unterdrückung reden müssen. Kürzlich hatte eine US-Fussballerin ihr Coming-out und sagte, sie freue sich, dass sie ihr Haar nun kurz tragen könne.»

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Mut und Selbstvertrauen

«Ein Coming-out ist im Sport immer noch ein grosses Tabu», sagt Mehdi Künzle von der Schwulenorganisation Pink Cross. Am schwierigsten sei ein Coming-out für die Schwinger. «Ein Schwinger, der offen zu seiner Homosexualität stünde, würde das in einem der konservativsten Milieu tun», so Künzle.

Athleten sollten möglichst während ihrer Aktivzeit offen zu ihrer Homosexualität stehen, sagt er. Denn da sei der Effekt grösser. «Das verlangt eine grosse Portion Mut und Selbstvertrauen. Doch der beste Weg, um gegen die Diskriminierung der Homosexuellen zu kämpfen, sind die Aktionen Einzelner.»

Simona Meiler sagt, «Athleten, die gewinnen wollen, müssen viel Selbstvertrauen haben und an sich glauben. Sie müssen ihre volle Leistung erbringen, und das ist nur möglich, wenn sie ihre Sexualität akzeptieren und ausdrücken können.»

(Übersetzung aus dem Englischen: Andreas Keiser)

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