«Olympische Spiele verschaffen dem brasilianischen Volk eine Atempause»
Genau wie die Fussball-Weltmeisterschaft werden auch die Olympischen Sommerspiele in Brasilien erfolgreich sein. Dieser Ansicht ist André Regli, Schweizer Botschafter in Brasilien. In einem Interview mit swissinfo.ch spricht der Diplomat über die wirtschaftliche und politische Krise im Land und erklärt, was auf dem brasilianischen Markt fehlt, um für die Schweizer Investoren interessant zu sein.
swissinfo.ch: Wie beurteilen Sie die aktuelle politische Krise in Brasilien?
André Regli: Es ist bestimmt die schlimmste Krise der letzten zwanzig Jahre, eine tief greifende Krise vor dem Hintergrund einer akuten wirtschaftlichen Krise.
swissinfo.ch: Ist die Schweiz beunruhigt über die Situation im Land?
A. R. : Wir sind aufmerksame Beobachter, aber auch etwas besorgt, denn Brasilien ist ein sehr wichtiger Partner für die Schweiz, mit Abstand der wichtigste in ganz Lateinamerika hinsichtlich Handel und Investitionen. Die Schweiz gehört zu den zehn bedeutendsten Investoren in Brasilien.
Kurzbiografie
André Regli, 58jährig, geboren in Altdorf, Kanton Uri.
Seit September 2013 Schweizer Botschafter in Brasilien.
Vorher war er Botschafter in Chile und in der tschechischen Republik.
Er studierte Recht an der Universität Freiburg .
Die strategische Partnerschaft, die wir seit 2008 pflegen, ermöglicht uns verschiedene Dialoge: Im Bereich Politik gibt es mehrere Treffen im Jahr, Finanz- und Wirtschaftsfragen werden erörtert und die Kontakte mit den Sektoren Wissenschaft und Technologie gepflegt. Im Lauf der letzten fünf Jahre haben sich die Beziehungen zwischen Brasilien und der Schweiz stark intensiviert. Aus diesem Grund hat die Schweiz ein grosses Interesse daran, dass sich Brasilien möglichst schnell wieder erholt.
swissinfo.ch: Als die Schweiz ihre Strategie bezüglich der BRICS-Staaten definierte, setzte sie auf die guten wirtschaftlichen Perspektiven Brasiliens. Heute erlebt das Land eine seiner schlimmsten Rezessionen. Was ist passiert?
A. R.: Meiner Ansicht nach kündigte sich die Krise an. Grund dafür ist das Ende des Rohstoff-Zyklus’, das durch den Wachstumsrückgang in China hervorgerufen wurde. Als Folge davon sanken auch die Einkommen. Das Haushaltsdefizit stieg stark an, wie auch die Inflation und die Arbeitslosigkeit.
swissinfo.ch: Wurde Brasilien mit all diesen Problemen für Schweizer Investoren uninteressant? Offizielle Zahlen zeigen, dass die Schweiz in Brasilien von Rang 4 auf Rang 8 der wichtigsten Investoren zurückgefallen ist…
A. R.: Damit bin ich nicht einverstanden. Ich habe mit zahlreichen Schweizer Unternehmern gesprochen. Gerade gestern habe ich zusammen mit dem Präsidenten von Novartis gegessen. Alle grossen Schweizer Firmen sind schon seit langer Zeit in Brasilien. Das zeigt, dass sie sich längerfristig einrichten und nicht gleich aufgeben wegen einer Krise.
Ich habe den an Brasilien interessierten Unternehmern immer gesagt, dass es kein Land für Anfänger ist, wo man leichtes Geld verdient. Man muss vorerst Fuss fassen, dann sich etablieren und langfristig investieren. Die Schweizer Unternehmer denken auch so. Natürlich gibt es Unternehmen, die unter der aktuellen Krise leiden. Doch es gibt auch welche, die davon profitieren, weil der Real sehr schwach ist. Sie kommen und investieren antizyklisch, indem sie brasilianische Unternehmen kaufen, um einen Fuss in diesem Markt zu haben.
swissinfo.ch: Können Sie uns einige Beispiele neuer Schweizer Investitionen geben?
A. R.: Emmi (Milchprodukte) hat ein brasilianisches Unternehmen gekauft. Hero (Nahrungsmittel) ebenfalls. Der Flughafen Zürich, der bereits vor Ort ist, möchte seine Beteiligung an den brasilianischen Flughäfen ausbauen. Die Firma Lindt & Sprüngli (Schokolade) ist ein Newcomer auf dem brasilianischen Markt und hat in den letzten Jahren stark investiert.
swissinfo.ch: Auf welche Schwierigkeiten sind die Schweizer Investoren in Brasilien gestossen?
A. R.: Immer und immer wieder die Bürokratie. Wenn es denn eine neue Regierung geben sollte, müsste sie daran arbeiten. Der Import von pharmazeutischen Produkten ist beispielsweise ein grosses Problem, der Umgang mit der Nationalen Behörde für Gesundheitsüberwachung ist nicht einfach. Grund dafür ist hauptsächlich das Fehlen von qualifiziertem Personal. Ich denke, dass dies die Kosten steigert. Praktisch alle Schweizer Unternehmer sagen mir, dass es schwierig sei, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden.
Bilaterale Beziehungen
Mit 14% Importen und 33% Exporten aus der Schweiz nach Lateinamerika ist Brasilien der wichtigste Handelspartner der Schweiz in dieser Region der Welt (vor Mexiko und Argentinien).
Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2009 ist der Handel mit Brasilien eingebrochen. Nach einer Erholung im darauffolgenden Jahr befindet sich der bilaterale Handel erneut in einer Baisse. Einer der Gründe dafür sind die gesunkenen Rohstoff-Preise auf dem Weltmarkt.
Exporte aus der Schweiz (2015): CHF 2,049 Mrd. (- 1,4% im Vergleich zu 2014). Importe (2015): 1,43 Mrd. (- 10,7%).
Schweizer Exporte nach Brasilien: pharmazeutische Produkte, Vitamine, chemische Produkte, elektronische Geräte, Präzisionsgeräte, Uhren und Schmuck.
Schweizer Importe: Edelmetall, Edelsteine, landwirtschaftliche Produkte, Fisch, Metalle und Brennstoffe.
Schweizer Investitionen in Brasilien: CHF 13,6 Mrd. (Ende 2014). Brasilianische Investitionen in der Schweiz: CHF 157 Mio.
swissinfo.ch: Glauben Sie, dass die aktuelle Krise das Klima an den Olympischen Spielen beeinträchtigt?
A. R.: In den Wochen vor der Eröffnung verspürt man noch keinen Enthusiasmus, vor allem nicht hier in Brasilia. Kürzlich erstrahlten alle offiziellen Gebäude in den Farben gelb und grün. Ich glaube, das Klima wird sich langsam verbessern. Drei Wochen vor den Fussballweltmeisterschaften fehlte die Begeisterung auch, doch dies änderte sich rasch. Ich glaube, dass die Olympischen Spiele dem brasilianischen Volk in dieser wirtschaftlich schwierigen Situation eine Atempause verschaffen werden.
swissinfo.ch: Würde ein Erfolg der Olympischen Spiele in Brasilien die Schweizer Wähler und Wählerinnen darin bestärken, Olympischen Winterspielen zuzustimmen?
A. R.: Alle Länder profitieren von einem Grossanlass wie diesem. Auch Rio de Janeiro wird davon profitieren, dank spektakulärer Bilder, die um die Welt gehen werden. Die Olympischen Spiele sind eine wunderbare Plattform, um zu zeigen, dass sich ein Besuch in Brasilien lohnt.
Ein Anlass dieser Art könnte der Schweiz helfen, ihre Infrastruktur zu verbessern, vor allem im öffentlichen Verkehr. Ich bin überzeugt, dass wir in der Lage wären, Olympische Spiele nachhaltig zu organisieren, so wie das auch in Norwegen der Fall war.
swissinfo.ch: Zwischen 2014 und 2016 lancierte die Schweiz in Brasilien eine Kampagne, um ihr Image zu stärken. Das ging bis zur Teilnahme am Karneval. Welche Resultate wurden bis jetzt erreicht?
A. R.: Das werden wir erst in zwei Jahren nach Auswertung einer Meinungsumfrage genau wissen. Eine frühere Umfrage hatte gezeigt, dass 56% der befragten Personen die Schweiz nicht kannten. Wir wollen nun von den zwei sportlichen Grossanlässen – den Fussballweltmeisterschaften und den Olympischen Spielen – profitieren, um Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Während der Fussballweltmeisterschaft waren die Resultate gut. Das Schweizer Haus wurde zum besten Ort für das «Public Viewing» in ganz Rio de Janeiro gekürt. Ich glaube, dass das Schweizer Haus 2 während den Olympischen Spielen noch mehr Erfolg haben wird, denn wir bieten Attraktionen, welche die Brasilianer schätzen.
Zwischen den zwei sportlichen Grossanlässen haben wir auch am Karneval mitgemacht. Wir organisieren zudem mehr als zwanzig Veranstaltungen an andern Orten, um zu zeigen, dass die Schweiz ein innovatives Land ist, sowohl in Wissenschaft und Technologie wie auch im humanitären Bereich. Ich glaube, das wird Wirkung zeigen.
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)
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