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Zellproteine erinnern Olivier Rossier an Schweizer Landschaften

Olivier Rossiers Forschung eröffnet neue Wege im Kampf gegen Krebs. swissinfo.ch

Olivier Rossier ist Forscher für Mechano-Biologie in Bordeaux und der Schweiz verbunden, auch wenn er nie im Alpenland gelebt hat. In den letzten Jahren hat er sein Herkunftsland mit Begeisterung wiederentdeckt. 

«Es sieht aus wie die Schweizer Alpen mit ihren Tälern und Bergen», sagt Rossier und zeigt uns auf seinem Computer Bilder von Proteinen, die sich innerhalb einer menschlichen Zelle bewegen. Auf dem Bild erscheinen kleine grüne Punkte zwischen rötlichen Streifen. «Das mache ich den ganzen Tag: Ich beobachte, wie sich Proteine, die elementaren Bausteine der Zelle, bewegen», erklärt der Forscher der Mechano-Biologie.

l intérieur d une cellule humaine
Olivier Rossier erkundet das Innere menschlicher Zellen, in der Welt des unendlich Kleinen. swissinfo.ch

Obwohl ihn die Formen der Zellen unter seinem Mikroskop an eine Schweizer Landschaft erinnern, hat Rossier, Einwanderer der dritten Generation aus einer Forscherfamilie, noch nie in seinem Herkunftsland gelebt. Sein Grossvater, ein Chemieingenieur, hatte beschlossen, die Schweiz nach Frankreich und dann nach Belgien zu verlassen. Seinen Vater, Forscher der Neurowissenschaft, zog  es später nach Paris gezogen. «Wir sind wirklich europäische Frankophone», sagt Olivier Rossier. 

Auf der Suche nach seinen Ursprüngen

Seit dem Umzug nach Bordeaux und der Geburt seiner Kinder interessiert sich der 43-jährige Vater stärker für seine Schweizer Herkunft. «Ich möchte ihnen diese Seite zeigen, die uns ein wenig anders macht», sagt er. Er wandte sich deshalb an die Schweizerische Gesellschaft von Bordeaux: «Meine Mutter, die noch immer die Schweizer Revue liest [die Zeitschrift der Auslandschweizer-Organisation, N.d.R.], riet mir, Mitglied zu werden, und wir trafen tatsächlich eine dynamische und freundliche Gesellschaft an.

Als er sich in Bordeaux mit anderen Schweizern traf, stärkte Rossier seine Beziehungen zur Eidgenossenschaft. «Ich habe kürzlich den Rütlischwur [Gründungsmythos Schweiz] entdeckt», sagt er lachend. Seit kurzem hat er auch engere Kontakte zu den Mitgliedern seiner Schweizer Familie: «Ich sehe meine Cousins mehr als in der Vergangenheit.» Eine Beziehung, zu der auch die Kinder beitragen, die sich freuen, Cousins aus anderen Ländern getroffen zu haben. «Wenn wir die Ferien nicht in der Schweiz verbringen, verstehen sie es überhaupt nicht», sagt Rossier. Der Aufenthalt in den Bergen, im Familienappartement in Chandolin (Kanton Wallis), ist daher ein Muss geworden.

Für Rossier ist es auch eine Art Rückkehr zu den Wurzeln. Als Kind waren für ihn Ferien in Chandolin üblich, wo er das Skifahren lernte.

Der Forscher entdeckte nicht nur die Geschichte und die Schweizer Berge, sondern auch den «besonderen, aber diskreten» Schweizer Humor. 

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Der Kampf gegen den Krebs

Bevor Rossier sich auf die Suche nach den Spuren seiner Herkunft machte, hatte er viele andere Länder bereist. Er wurde 1975 in Paris geboren, wuchs dort auf und machte auch sein Studium in der französischen Hauptstadt. Sein wissenschaftliches Betätigungsfeld liegt an der Grenze zwischen Physik und Biologie. Nach seiner Promotion am Institut Curie, das in der Krebsbekämpfung spezialisiert ist, zog er mit seiner Frau Ombeline, einer Musikwissenschaftlerin, nach New York.

Dort spezialisierte er sich mit einem Postdoc-Stipendium für Mechano-Biologie. «Ziel dieser Wissenschaft, die es seit rund zwanzig Jahren gibt, ist es zu verstehen, wie Zellen auf ihre Umgebung reagieren», erklärt der Forscher. Die Erkenntnisse daraus könnten im Kampf gegen Krebs eingesetzt werden, sagt er: «Gesunde Zellen sind in der Lage zu erkennen, ob sie sich am falschen Ort befinden. Krebszellen verlieren diese Fähigkeit, und Metastasen bilden sich, wenn sie Körperteile kolonisieren, in denen sie nicht sein sollten. Wenn wir verstehen, wie sie funktionieren, können wir in Zukunft verhindern, dass sich ein Krebs ausbreitet.» 

Angezogen vom unendlich Kleinen

Nach sechs Jahren hektischen New Yorker Lebens wurde der Wunsch nach einer Rückkehr stärker. «Mit den Kindern wollten wir der Familie näherkommen», sagt er. Während es für viele eingefleischte Bürger von Paris sehr oft «keine Rückkehr ausser nach Paris gibt», ist Rossier dem Charme von Bordeaux erlegen. «Wie andere französische Städte schaffte es auch Bordeaux, die Unabhängigkeit von Paris zu erlangen, indem die Stadt die Mittel der Europäischen Union für die Entwicklung nutzte», sagt er.

Olivier Rossier mit seiner Frau Ombeline und den Kindern Elise, Olympe und Matthias. swissinfo.ch

Der Forscher entdeckte Bordeaux 2008 zufällig auf einer Reise zu einer Konferenz. Die Atmosphäre, das Klima, die Verkehrsmittel, vor allem aber die Entwicklung der hochauflösenden Mikroskopie führten zum Entscheid, ein Jahr später dort Wohnsitz zu nehmen. Die Universität der Stadt war Pionierin bei der Installation einer neuen Generation von Mikroskopen zur Visualisierung von Objekten im nanometrischen Bereich. «Dadurch können wir ein Protein innerhalb einer Zelle individuell verfolgen und seine Wechselwirkungen untersuchen», schwärmt der Forscher.

Während er sich nach seiner Rückkehr nach Frankreich mehr für «Swissness» interessierte, verlor er paradoxerweise aus administrativen Gründen das Stimmrecht. «Ich werde jedoch mein Bestes tun, um an den Parlamentswahlen im Herbst teilnehmen zu können», sagt er. 

Olivier Rossier

1975 geboren in Paris. 

2002 Promotion am Institut Curie in Paris.

2005 Postdoc-Stipendium für Mechano-Biologie an der Columbia University in New York.

2006 Projektleiter am Nanomedicine Center in New York.

2009 Eintritt in das Interdisziplinäre Institut für Neurowissenschaften in Bordeaux.

2012 Hélène Starck Preis (Arc Foundation for Cancer Research).

(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

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