Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Schweizer Schokolade: Tauziehen um fairen Kakaopreis

cocoa cartel
illustration Helen James / swissinfo.ch

Eine Initiative Ghanas und der Elfenbeinküste zur Erhöhung der Kakaopreise wurde durch die Covid-19-Pandemie zunichte gemacht. Jetzt nehmen die beiden Länder einen neuen Anlauf, um Millionen von Bäuerinnen und Bauern aus der Armut zu befreien. Für die Schweizer Schokoladeindustrie ist der Preis der Kakaobohnen von grosser Bedeutung.

Die beiden grössten kakaoproduzierenden Länder der Welt wollen dem Preisdumping bei Kakaobohnen den Riegel schieben. Hintergrund sind die Preisnachlässe, die Ghana und Elfenbeinküste während der Covid-19-Pandemie gewähren mussten, um den Absatz anzukurbeln.

Am 29. Juli 2022 kündigten Ghana und die Elfenbeinküste mittels der Côte d’Ivoire-Ghana Cocoa InitiativeExterner Link (CIGCI) an, keine Nachlässe mehr auf die Premium-Aufschläge zu gewähren, die als «Origin Differential» (OD) bekannt sind.

Es handelt sich um Preisaufschläge für qualitativ hochwertige Kakaobohnen, die zusätzlich zum vorherrschenden Kakaomarktpreis zu zahlen sind. Damit soll den Bäuerinnen und Bauern ein existenzsichernder Mindestlohn garantiert werden.

Um Überbestände von Kakaobohnen abzubauen, hatte die in Ghanas Hauptstadt Accra ansässige Lobbyorganisation CIGCI die festgelegten Aufschläge in den beiden Vorjahren um bis zu 150 ProzentExterner Link.

Das Resultat: Was als Preisaufschlag gedacht war, um das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern zu erhöhen, wurde zu einem Preisnachlass, der die Haushalte der beiden Länder belastete.

Der ursprünglich aus Mittel- und Südamerika stammende Kakao wurde in Westafrika bereits 1868 erstmals erwähnt. Die Archive der Royal Botanic Gardens in Kew, Grossbritannien, verweisen auf einige wenige Kakaobäume, die auf dem Grundstück des Schweizer Missionshilfswerks Basler Mission in Akropong in der damaligen britischen Kronkolonie Goldküste gediehen.

Heute produzieren die westafrikanischen Länder Elfenbeinküste und Ghana über 60% der weltweiten Kakaobohnen, und die Schweiz ist zum Synonym für Schokolade geworden.

Diese für beide Seiten vorteilhafte Beziehung ist in den letzten Jahren unter Druck geraten. Die Elfenbeinküste und Ghana geben sich nicht mehr mit ihrem bescheidenen Anteil von 6 Mrd. $ an der 120 Mrd. $ schweren Schokoladeindustrie zufrieden.

Die Schweiz ist – wie auch die EU und die USA – unzufrieden mit der Abholzung der Wälder und der Kinderarbeit in den Kakaoanbaugebieten in Westafrika.

Beide Seiten üben Druck auf die jeweils andere Seite aus, um ihre Forderungen durchzusetzen. Aber das Machtgleichgewicht neigt immer noch stark zugunsten der Kakaokonsumierenden gegenüber den -produzierenden.

Der kombinierte Umsatz der Schweizer Schokoladehersteller Nestlé (nur Süsswaren), Lindt & Sprüngli und Barry Callebaut im Jahr 2021 war mehr als dreimal so hoch wie der Wert der von der Elfenbeinküste und Ghana im Jahr zuvor exportierten Kakaobohnen zusammen. Als wichtige Akteure bestimmen sie auch, wie die Kakaoproduktion in Zukunft aussehen soll.

In dieser Serie von sechs Artikeln rücken wir in den Fokus, wie Westafrika versucht, seine Rolle in der Schokoladeindustrie neu zu verhandeln. Von der Bündelung der Kräfte und der Wertschöpfung bis hin zu Investitionen in Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Es ist ein harter Kampf, aber ein notwendiger, um nicht zur Geisel der globalen Kakaopreise zu werden und den rund fünf Millionen Kakaobauern und -bäuerinnen in der Region ein Auskommen zu sichern.

«Die internationalen Kakaokäufer:innen erhalten nach wie vor die gleiche Qualität, aber der Markt generiert einen Rabatt, weil der Preis als zu hoch empfunden wird», sagt Alex Assanvo, Geschäftsführer der CIGCI, gegenüber SWI swissinfo.ch.

Die CIGCI setzte den Schokolade- und Kakaounternehmen eine Frist bis zum 20. November 2022. Nach diesem Datum durften keine Abschläge mehr auf den «Origin Differential“ Prämien mehr verlangt werden.

Mehr noch: Die Lobbyorganisation drohte damit, die Nachhaltigkeitsprogramme auszusetzen und den Unternehmen den Zugang zu den Kakaoplantagen zu verweigern, falls diese Frist nicht eingehalten werde. Der Besuch der Plantagen erlaubt eine Schätzung des Erntevolumens.

Zwei Tage vor Ablauf der Frist kam es zu einer Einigung zwischen Kakaoproduzenten und -abnehmenden. Es wurde beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die einen langfristig tragfähigen Preismechanismus ausarbeiten soll, der eine faire Bezahlung der Produzierenden von Qualitätskakaobohnen sicherstellen soll. Diese Arbeitsgruppe muss bis zum Ende des ersten Quartals 2023 einen Vorschlag vorlegen.

Externer Inhalt

Schweizer Schoggiindustrie unter Druck

Die Schweizer Schokoladeindustrie ist stark von Ghana abhängig ist – 55% der Schweizer Kakaoimporte stammen aus diesem westafrikanischen Land. Entsprechend aufmerksam werden die Gespräche verfolgt.

Dabei hofft die Schokoladeindustrie, dass die Preiserhöhungen auf ein Minimum beschränkt werden können. Denn die Kosten schnellen wegen der unterbrochenen Lieferketten und der steigenden Preise für andere Zutaten von Schokolade allenthalben in die Höhe.

Der Krieg in der Ukraine beeinträchtigt die Energiesicherheit und die Lieferungen von Sonnenblumenöl-Lecithin, einem natürlichen Emulgator. Dieser ist nötig, um die Zutaten in der Schokolade zu vermischen.

Gemäss Urs Furrer, Direktor des Verbands der Schweizer Schokoladehersteller ChocosuisseExterner Link, gilt die Hauptsorge momentan jedoch den steigenden Kosten für preislich geschützte einheimische Rohstoffe wie Zucker und Milch.

«Wir beobachten mit Sorge, dass die Bereitschaft der Konsument:innen, hohe Preise zu bezahlen, aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung abnimmt. Dies betrifft Qualitätsprodukte wie Schweizer Schokolade stärker als billige Massenware», so Furrer.

«Living Income Differential»

Während sich die Hersteller Sorgen um ihre Gewinne machen, sorgen sich die Erzeugerländer um das Einkommen ihrer Kakaobäuerinnen und -bauern.

Laut einem im August von der Marktforschungsplattform «MarketsandMarkets» veröffentlichten BerichtExterner Link hat der weltweite Schokolademarkt einen Wert von fast 128 Milliarden Dollar pro Jahr erreicht.

Doch für Ghana und die Elfenbeinküste, die zusammen 60% der Weltproduktion an hochwertigen Kakaobohnen liefern, fallen nur rund sechs Milliarden Dollar des Erlöses ab. Dabei ist der von ihnen produzierte Rohstoff für die Schokoladeherstellung unerlässlich.

farmer
One in five cocoa farmers in West Africa don’t earn enough to cover their basic needs. Reuters / Ange Aboa

Die dortigen Bäuerinnen und Bauern kommen kaum über die Runden: Rund eine Million in den beiden westafrikanischen Ländern (von insgesamt etwa fünf Millionen) verdienen nicht genug, um ihre Grundbedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft, Kleidung, Bildung und medizinische Versorgung abzudecken.

Dies zeigt eine Untersuchung der Universität Wageningen in den Niederlanden vom November 2021 auf.

Am 26. März 2018 trafen sich die Präsidenten von Ghana und Elfenbeinküste in der ivorischen Hauptstadt Abidjan und unterzeichneten die so genannte Abidjan-Erklärung. In dieser verpflichteten sie sich zur Zusammenarbeit zur Erhöhung der Einkünfte ihrer Kakaobäuerinnen und -bauern.

CIGCI
Official signing of the agreement to establish the Côte d’Ivoire-Ghana Cocoa Initiative (CIGCI) in Accra in the presence of agriculture ministers and heads of cocoa boards of Ivory Coast and Ghana (August 6, 2021) cighci.org

Ein Jahr später fassten die Kakaoverbände von Ghana und der Elfenbeinküste den historischen Beschluss, für Kakaoexporte in einkommensstarke Länder wie die Schweiz einen Zuschlag von 400 Dollar pro Tonne zu verlangen.

Dieser als «Living Income Differential» (LID) bekannte Aufpreis sollte die Einkommen der Kakaobäuerinnen und -bauern erhöhen und sie vor Preisschwankungen bewahren. Anders gesagt: Mit dem «Einkommen zum Leben» sollte dem Zerfall des Kakaopreises Einhalt geboten und ein Mindestlohn garantiert werden.

Doch genau in dem Moment, in dem das Kakaokartell sein Ziel mit dem LID-Zuschlag zu erreichen schien, brach die Covid-19-Pandemie aus. Dies führte zu einem Einbruch der Nachfrage nach Kakao und Schokolade.

Der LID-Zuschlag von 400 Dollar pro Tonne machte den ivorischen und ghanaischen Kakao im Vergleich zu Bohnen aus Ländern wie Indonesien, Nigeria und Ecuador zu teuer. Um ihre Lagerbestände abzubauen, sahen sich die beiden Länder gezwungen, ihre Kakaobohnen mit einem Abschlag zu verkaufen. Daher liessen sie die Preisprämien fallen.

«Das System ist so angelegt, dass die Kakaoproduzierenden immer zu den Verlierern gehören werden», sagt ein Kakaohändler, der nicht namentlich genannt werden möchte, gegenüber SWI.

«Sie können den Preis erhöhen, aber die internationalen Händler werden die Kakaobohnen einfach in einem anderen Erzeugerland kaufen, und der Preis für nicht verkaufte Ware muss später herabgesetzt werden.»

Externer Inhalt

Rund 70% der Kakaoernte in Ghana und der Elfenbeinküste werden im Voraus verkauft. Der Referenzpreis basiert auf Kakao-Termingeschäften, die an der Intercontinental Exchange (ICE) in den USA gehandelt werden.

Dieser Preis wird angepasst, um die Unterschiede bei den Herkunfts- (OD) und den Käuferländern (LID) zu berücksichtigen. Die restlichen 30% werden direkt an den Spotmärkten verkauft.

Die Bäuerinnen und Bauern erhalten rund 70% der Exporteinnahmen aus Kakaobohnen abzüglich der Kosten für Dienstleistungen wie Versicherung und Fracht. Diese werden von den Behörden übernommen.

Die Folgen für die Schweizer Schokolade

Die Versuche der Elfenbeinküste und Ghanas, die Kakaopreise neu festzulegen, haben die Schweizer Schokoladebranche nicht abgeschreckt – zumindest noch nicht.

Beispielsweise das 177 Jahre alte Unternehmen Lindt & Sprüngli, das mit einem Umsatz von über 4,5 Milliarden Franken im Jahr 2021 das siebtgrösste Schokoladeunternehmen der Welt ist.

«Unsere Firma hat Kakao zu den vollen LID-Preisen gekauft und wird dies auch weiterhin tun», versichert ein Unternehmenssprecher gegenüber SWI.

Beim Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé ist der Anteil von Kakao aus den Herkunftsländern Ghana und der Elfenbeinküste seit der Einführung der LID stabil geblieben. Knapp die Hälfte der Kakaobohnen stammt aus diesen beiden Ländern.

Ivory Coast farmers
Farmers get around 70% of the export revenue earned from cocoa beans minus costs for services such as insurance and freight that are provided by the cocoa boards. Godong / Alamy Stock Photo

Der sechstgrösste Schokoladehersteller, der im Jahr 2021 Süsswaren im Wert von 7,5 Milliarden Franken verkaufte, hat sich sogar verpflichtet, den Anteil an ivorischem Kakao von fast 147’000 Tonnen in der Kakaosaison 2021/2022 um weitere 40’000 Tonnen zu erhöhen. Nestlé rechnet damit, dass die Menge an importierten Kakaobohnen aus Westafrika bis zum Jahr 2025 stetig zunehmen wird.

«Nach unseren Beobachtungen gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass unsere Mitglieder seit der Einführung des LID weniger Kakao aus Ghana und der Elfenbeinküste beziehen», sagt Christian Robin, Geschäftsführer der Schweizer Plattform für Nachhaltigen KakaoExterner Link.

Diese Multi-Stakeholder-Initiative von Schokoladeherstellern, Einzelhändlern, Nichtregierungsorganisationen und Forschenden hat die Form eines Vereins.

Robin warnt jedoch, dass die Kakaoproduzierenden trotz ihrer Bemühungen um eine Einkommenssteigerung nicht vollständig von den Regeln des Markts abgeschirmt werden können.

«Die Anwendung des LID und die Entwicklung der Länderunterschiede müssen im Zusammenhang mit der Marktdynamik von Angebot und Nachfrage gesehen werden», sagt er.

«So können beispielsweise ein Überangebot an Kakao aus bestimmten Herkunftsländern oder gut gefüllte Lager einen Einfluss auf die Weltmarktpreise haben.»

Ausweitung auf Nigeria und Kamerun?

Inzwischen erholt sich die weltweite Nachfrage nach Kakao langsam. Angesichts dieser Entwicklung beschlossen die Elfenbeinküste und Ghana im Juli, dass es an der Zeit sei, die Bemühungen um die Durchsetzung der OD-Prämie zu erneuern.

Mitte September schloss die Elfenbeinküste zum ersten Mal seit drei Jahren Kakaoexportverträge ab, die für die Ernte 2023/2024 keine Preisnachlässe beim „Origin Differential“ vorsehen. Käufer war der US-amerikanische Rohstoffhändler Cargill, der sich bereit erklärte, 25’000 Tonnen abzunehmen, ohne Abschläge zu verlangen.

Um ihre Marktmacht zu stärken, haben die Elfenbeinküste und Ghana andere grosse Kakao produzierende Länder eingeladen, sich ihnen anzuschliessen. Am 14. Oktober bekundeten Nigeria und Kamerun ihr Interesse an einem Beitritt.

Noch bei der Gründung des Kartells im Jahr 2018 hatten sich die beiden Länder geweigert, diesem beizutreten. Die Sorge vor grenzüberschreitendem Schmuggel aufgrund des LID-Preisgefälles könnte den Sinneswandel herbeigeführt haben. Nigeria schätzt, dass es durch die Nichterhebung von LID jährlich umgerechnet fast 125 Millionen Franken einbüsst.

Externer Inhalt

Sollte der Zusammenschluss gelingen, werden die vier Länder zusammen etwa 75% der weltweiten Rohkakaolieferungen abdecken, was der CIGCI noch mehr Einfluss auf dem Weltmarkt verschaffen würde.

«Diese Partnerschaft mit anderen Ländern wird die Möglichkeiten der Unternehmen einschränken, auf andere Märkte auszuweichen. Umgekehrt wird es uns ermöglichen, unsere Position zu stärken und mehr Verhandlungsmacht aufzubauen. Ziel ist es, einen nachhaltigen und gewinnbringenden Kakaoanbau zu verwirklichen und den dadurch generierten Wohlstand zu teilen», sagt Assanvo.

Editiert von Nerys Avery. Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob

Mehr

Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Christian Raaflaub

Was halten Sie von Schokolade aus dem Labor? Wieviel würden Sie dafür bezahlen?

Die Schokolade der Zukunft könnte aus dem Bio-Reaktor kommen. Ein Team von Forschenden hat in der Schweiz erstmals eine Schoggi im Labor entwickelt.

11 Kommentare
Diskussion anzeigen

Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft