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Umfrage zeigt hohe Gewaltbereitschaft bei Eltern

Nachgestellte Szene: Gewalt in der Familie
Gewalt in der Familie gehört in der Schweiz immer noch zum Alltag (nachgestellte Szene). Keystone

Eines von fünf Kindern in der Schweiz leidet unter schweren Körperstrafen durch seine Eltern. Dies zeigt eine aktuelle Studie. Am meisten betroffen sind Kinder aus Familien mit tieferen Einkommen und Migrationshintergrund.

20% aller Kinder seien von häuslicher Gewalt betroffen, sagt Dirk BaierExterner Link vom Departement für Soziale Arbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte WissenschaftenExterner Link (ZHAW). Damit sei die Zahl wesentlich höher als die einer deutschen Studie, die auf 13% Betroffene kam.

«Schwere» körperliche Bestrafung wurde in der Schweizer Studie definiert als mit Gegenständen oder Fäusten geschlagen, getreten oder verprügelt zu werden. Zwei von fünf Kinder waren gemäss der Studie Opfer von «weicherer» körperlicher Bestrafung wie Schlägen oder Stössen.

Die Zahlen stammen aus Zwischenergebnissen einer Studie über Terrorismus, wofür in der Schweiz 10’000 junge Menschen im Alter von 17 Jahren befragt worden seien, unter anderem auch zu deren Erziehung, sagt Baier. Rund die Hälfte der Befragten hätten bereits geantwortet. Die Resultate wurden letzte Woche bekanntgegeben und erschienen am Freitag in der Aargauer ZeitungExterner Link.

Unter der Lupe

Ein genauerer Blick auf die Daten zeige, dass die Werte für Gewalt durch Schweizer Eltern ähnlich jenen in Deutschland seien, so Baier. Der Unterschied erkläre sich durch die Familien von Migranten.

«Es gibt in der Schweiz einige Gruppen, wo bis zu 40% der Kinder schweren Körperstrafen ihrer Eltern ausgesetzt sind», sagt der Forscher. Besonders der Fall ist dies laut der Studie bei Familien aus dem Balkan, gefolgt von Portugal (37%).

Auch die finanzielle Lage einer Familie spielt anscheinend eine Rolle: Die Gewaltrate bei Eltern mit Sozialhilfe oder ohne Arbeit ist doppelt so hoch wie in finanziell bessergestellten Familien. Zudem gelte körperliche Bestrafung in einigen Kulturen als normaler Bestandteil der Kindererziehung. Dazu könne Stress aufgrund des Status› als Einwanderer kommen.

Deutschland ist anders

In der Schweiz wurde das Recht der Eltern, körperliche Züchtigung zur Disziplinierung ihrer Kinder anzuwenden, 1978 aus dem Schweizer Gesetz gestrichen. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es aber in der Schweiz kein absolutes Verbot. Laut Baier führte das Verbot in Deutschland zu einer erhöhten Sensibilisierung.

Zudem lebten in Deutschland viele verschiedene Gruppen von Einwanderern, darunter eine grosse türkische Gemeinschaft. In Deutschland habe man bei der Vermittlung der Botschaft gewaltloser Erziehung in mehreren Migrantengruppen Fortschritte gemacht, sagt der Forscher. Schweden war 1979 das erste Land, das die Körperstrafe verboten hatExterner Link.

Baier würde gesetzliche Änderungen zur elterlichen Gewalt in der Schweiz begrüssen. Er gibt aber zu bedenken, dass eine Gesetzesänderung nicht zwangsläufig zu einer Verhaltensänderung führe: «Für mich persönlich wäre die bessere Option, dass die Botschaft und die Notwendigkeit der gewaltlosen Erziehung die fraglichen Gruppen erreichen, etwa durch Sensibilisierungs-Kampagnen.»

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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