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Scientology: «Wie blind ich war, wird mir erst heute klar»

Das E-Meter, von Kritikern auch Lügendetektor genannt, dient dazu, während des Auditings bei der befragten Person emotionale Belastungen zu orten. Keystone

Eigentlich hat  A.B. mit Scientology abgeschlossen, ist vor Kurzem ausgetreten, nach vielen Jahren. Nun will das Ex-Mitglied, das Scientology wie die eigene Westentasche kennt, mithelfen, Leute von einem Beitritt zu dieser "totalitären Sekte" abzuhalten.

«Wie ScientologyExterner Link die Menschen manipuliert, ist genial. Auch wenn viele wissen, dass etwas nicht stimmt, können sie nicht weg, auch wenn sie möchten.» A.B.* hat es geschafft. Das Ex-Mitglied meldete sich bei swissinfo.ch, nachdem es auf unserer Seite ein Streitgespräch zwischen dem obersten Schweizer Scientologen und einem Sektenkritiker gelesen hatte.

«Mein Ausstieg verlief genauso, wie er in vielen Aussteigerberichten zu finden ist: Alle meine Scientology-Bekannten und –Freunde haben den Kontakt abgebrochen. Traurig ist, dass niemand auch nur im Ansatz nachgefragt hat, was der Grund für den Austritt war. Als Aussteiger wird man per sofort zum Feind.» Ein weiterer Grund, weshalb alle den Kontakt abbrachen, sei wohl die eigene Angst und die offenen Fragen bezüglich Scientology. «Man will verhindern, dass das eigene Fundament Risse bekommt.»

Klassische Scientology-Karriere

A.B. war auf der Strasse angesprochen worden, vor vielen Jahren, beantwortete einen Persönlichkeitstest mit 200 Fragen, war dann interessiert, das persönliche «Potential» zu erfahren und zu nutzen, machte einen ersten Kurs, der billig war, es folgten weitere, die mehr kosteten, dann kam das teurere Auditing hinzu, «eine Art Beichte, das nach einer genau definierten Wegbeschreibung» verläuft. «Für mich war klar, dass ich endlich gefunden hatte, wonach ich schon lange gesucht hatte.»

Das Ziel war, Stufe um Stufe «diese Brücke zur Freiheit» hochzuklettern – und das ist nicht gratis. «Man wird ständig gedrängt, teils von mehreren Personen zugleich, den nächsten Service, den nächsten Kurs zu kaufen. Der Druck ist enorm.» Es folgten Schulden, intensive Kurse und Studium sowie der Einsatz für Scientology, daneben der Job: alles in allem eine 7-Tage-Woche. Die Falle war zugeschnappt.

Auf Anraten der Scientology-Kirche brach A.B. den Kontakt zu den Eltern ab, da sie kritisch waren. «Die Kirche befiehlt niemals einen Kontaktabbruch, aber man wird per Hubbard-Richtlinien dazu gebracht, dass man es freiwillig macht.» Tut man es nicht, könnte es bedeuten, dass man keinen weiteren Service beziehen kann, dass man auf dem «Weg zur Freiheit» also gestoppt würde. «Und das ist genau das, was man nicht will, denn im Leben eines Scientologen gibt es nichts Wichtigeres als Scientology. Da nimmt man lieber eine Trennung mit der Familie in Kauf.»

Elitäre Organisation

A.B. spricht von einem «Weggleiten in eine Parallelwelt», die nichts mehr mit der Realität zu tun habe. «Das gesamte Umfeld verändert sich, alle die gegen Scientology sind, werden mit der Zeit verlassen. Alles dreht sich nur noch um Scientology, um den nächsten Kurs, das nächste Auditing, wie man das finanzieren will etc. Ein Privatleben existiert nicht mehr. Ohne Scientology würde das ganze Netz zusammenfallen, und das wäre eine Tragödie. Aussteigen wird also praktisch unmöglich, aus Angst, plötzlich ganz alleine dazustehen.»

Sehr schlimm sei auch, so das Schweizer Ex-Mitglied, dass man mit der Zeit gefühlskalt werde, weil man meine, für alle Situationen eine Erklärung, eine Lösung zu haben. «Scientologen denken, sie hätten alles unter Kontrolle. Emotionen, wie etwa Mitleid zu zeigen, wird einem Verlust der Kontrolle gleichgesetzt.»

Scientology-Gründer Ron Hubbard duldete keine Kritik. Feinde waren für ihn vogelfrei, die man allenfalls vernichten könne. So schrieb er: «Wir fanden niemals Kritiker der Scientology, die keine kriminelle Vergangenheit hatten.» Hubbard baute denn auch ein Büro für spezielle Angelegenheiten auf, das man durchaus als eine Art interner Geheimdienst bezeichnen kann. Dieser wurde stets in Bewegung gesetzt, wenn Journalisten oder Sektenangehörige die unmenschlichen Methoden von Scientology kritisierten.

Ich selbst bekam die Wühlarbeit dieser Abteilung immer wieder zu spüren. Ein paar Beispiele aus einer langen Liste: So setzte die Sekte früher Privatdetektive auf mich an, die meine angebliche kriminelle Vergangenheit ausspionierten und dabei sogar meine Chefs verunsichern konnten. Scientology organisierte auch eine Demonstration gegen mich, die vom Stadthaus zur Redaktion des Tages-Anzeigers führte. Auf grossen Transparenten wurde ich diskreditiert. Die Sekte verlieh mir weiter den Hexenhammerpreis, weil ich religiöse Minderheiten verfolge. Ein Scientologe klebte leuchtend rote Totenkopfkleber an Zürichs Kandelaber, die meinem Namen trugen.

Inzwischen hörten die Repressionen weitgehend auf, weil die Zürcher Scientologen realisierten, dass ich mich nicht einschüchtern lasse. Der totalitäre Geist Hubbards weht aber immer noch durch ihr Zentrum. 

(Text: Sektenexperte Hugo Stamm) 

Lange Zeit glaubte A.B. an die Ziele von Scientology, hinterfragte aber immer mehr auch die autoritären Kontroll-Methoden, fand Widersprüche: «Man kann Menschen doch nicht zu Maschinen umformen und ihnen absolut keinen Spielraum lassen und alles vorgeben.» Zudem bestimme ausnahmslos die Kirche, was gut und was schlecht sei. Andere Meinungen würden nicht geduldet. «Wer Kritik übt, hat Dreck am Stecken.»

«Stasi-Methoden»

Immer mehr stiess sich das ehemalige Mitglied auch daran, dass sich alles ums Geld drehte. «An Anlässen standen Kirchenmitarbeiter am Ausgang und drängten einen mit subtilen Mitteln, Geld zu spenden. Zudem erhielt ich täglich 8-10 Mails, wo ich aufgefordert wurde, Projekte finanziell zu unterstützen.»

Wenn man sich total auf die Kirche ausrichte, so A.B., dann sei alles in Butter. «Aber wehe, sie kommen ein wenig vom Weg ab, flirten zum Beispiel als verheiratete Person  mit jemandem, dann hört die Freundlichkeit auf. Jeder Scientologe, obwohl das niemand zugeben würde, fürchtet sich vor der Ethik-Abteilung.» Diese versuche dann zu ergründen, weshalb man vom Weg abgekommen sei, welche unerlaubten Taten dahinter stünden.

Bei kleineren Fällen müsse man ein, zwei Schriften Hubbards nochmals studieren oder eine Erklärung unterschreiben, dies oder jenes zu tun oder zu lassen. Bei härteren Vergehen drohe ein Sicherheitscheck am E-Meter (eine Art «Lügendetektor»), oder es werde gar mit Ausschluss gedroht. Die Höchststrafe ist die Erklärung zur «Unterdrückerischen Person (Suppressive Person, SP)». «Bekommt jemand diesen Stempel verpasst, dann werden sich ausnahmslos alle Scientologen von dieser Person distanzieren.»

Offenbar funktionieren die Verhörmethoden dermassen perfekt, dass es unmöglich ist, «Verbrechen aus der Vergangenheit zu verheimlichen. Gefunden wird sogar der Apfel, den Sie als 5-Jähriger im Nachbarsgarten gestohlen haben», sagt A.B.

Niemand wünscht sich Scientology zum Feind

A.B. hat seine Zugehörigkeit zu Scientology immer verheimlicht, in der Nachbarschaft, aber auch am Arbeitsplatz, denn sonst kriege man enorme Probleme. Es drohe der Verlust der Arbeitsstelle, aber auch, dass sich Leute distanzierten. «Es ist wie früher beim Militär: Ein schwuler Rekrut hatte nichts zu lachen.»

Unser Ex-Mitglied will anonym bleiben, denn Kritiker würden mundtot gemacht, und das mit fast allen Mitteln. «Ich bin nicht feige, aber auch nicht blöd. Denn Scientology hat die nötigen Mittel, einem Ex-Member das Leben zur Hölle zu machen. Man müsse mit Nachstellen und Drohanrufen rechnen, der Müll könnte durchsucht, Lügen verbreitet  oder der Arbeitgeber informiert werden.»

A.B. glaubte lange an die Lehre von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard, an einen höheren Sinn im Leben, eine Welt ohne Krieg und Kriminalität, lernte wie der Mensch «funktioniert», wie man den Verstand einsetzen kann. Dieses Kapitel ist nun abgeschlossen.

Jetzt nach dem Ausstieg fühlt sich das frühere Mitglied frei, kann sich die Freunde wieder selber aussuchen, muss sich nicht mehr verstecken. «Ich lebe wieder, oder besser gesagt: Ich lerne es wieder! Manchmal stimmt es mich aber traurig, dass das erstrebenswerte Ziel von Scientology nur Vorwand ist. Für mich war es echte Hingabe – was schamlos missbraucht wurde.»

*Name der Redaktion bekannt

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