«Sie können nicht mit sehr viel Verständnis rechnen»
Der Prozess gegen drei Zürcher Schüler, die letzten Sommer in München fünf Personen brutal zusammengeschlagen haben, beginnt am 8. März. Die Gewalttat hatte sowohl in der Schweiz wie in Deutschland schockiert. Die Bevölkerung fordert hartes Durchgreifen.
In der Nacht auf den 1. Juli 2009 schlugen drei 16-jährige Schüler aus dem Kanton Zürich in der Münchner Innenstadt innerhalb einer halben Stunde wahllos fünf Menschen zusammen, darunter einen Behinderten. Ein Mann wurde fast zu Tode getreten. Als Motiv für die Tat gab einer der Angeklagten an, sie hätten «ein bisschen Spass haben wollen».
Die Zeitungen in Deutschland und der Schweiz waren voll von Berichten, Analysen und Leserbriefen zu den Übergriffen der Jugendlichen. Es kamen Fragen zu Schuld, Ursache und Verantwortung des Gewaltexzesses auf, zu Erziehung und zur Rolle von Familie und Schule.
Ein Fall, der aufwühlt
Auch auf dem swissinfo-Blog «Die Schweizer und die Deutschen» trafen innert Kürze über 400 Kommentare ein. Nicht selten wurde die Forderung nach der Höchststrafe gestellt , «Kuschelpädagogik» und «Kuscheljustiz» wurden verurteilt. Es war von einer Verrohung einer gelangweilten Jugend ohne Perspektive die Rede.
Viel zu reden gab die Tat auch im Schweizer Verein München. «Alle waren über diese grundlose Gewalt und deren Brutalität schockiert», sagt Albert J. Küng, der Vereins-Vize, gegenüber swissinfo.ch.
Der Gewaltakt der Zürcher Schüler sei nicht gerade förderlich gewesen, um das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen Deutschen und Schweizern infolge des Steuerstreits und Finanzminister Steinbrücks Aussagen zu verbessern, so der Wahlmünchner weiter.
«Die mediale Aufregung über den traurigen Vorfall hat sich ein paar Wochen später aber gelegt. Das hat auch damit zu tun, dass Mitte September ein ähnliches Ereignis in München mit deutschen Jugendlichen einen Todesfall zur Folge hatte.» Dadurch sei der «Zürcher» Fall etwas in den Hintergrund gedrängt worden, sagt Küng.
Aufgewühlt hat der Vorfall auch die Schweizer Generalkonsulin, Ursula Aaroe, in München. «Es ging ein Riesenschock durch die Schweizer Kolonie.» Sowohl bei den Auslandschweizern wie auch den Deutschen sei die Empörung gross gewesen.
«Nie hätte man in München erwartet, dass so etwas mit Jungen aus unserem Land passiert. Wir hatten im Konsulat unzählige Anfragen von Journalisten, die wissen wollten, wieso Jugendliche aus der Schweiz so etwas tun.»
Lange Untersuchungshaft
Die drei Jugendlichen sitzen seit fast acht Monaten in Untersuchungshaft. Das sei zwar lang, sagt Hans-Kurt Hertel, Pressesprecher des Oberlandesgerichts München gegenüber swissinfo.ch.
Die Ermittlungs-Massnahmen sowie eine ganze Reihe von Sachverständigen-Gutachten hätten aber viel Zeit benötigt. Einiges sei wohl auch auf dem Rechtshilfeweg mit der Schweiz gelaufen.
Nach Angaben von Thomas Steinkraus-Koch von der Staatsanwaltschaft München musste «die Staatsanwaltschaft zu der Einschätzung kommen, dass am Ende einer späteren Hauptverhandlung eine Verurteilung zu erwarten ist».
Öffentliches Interesse versus Jugendschutz
Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weil die Angeklagten zur Tatzeit noch nicht 18 Jahre alt waren. Am Prozess teilnehmen dürfen laut Pressesprecher Hertel die Eltern der Angeklagten, nicht aber Journalisten.
Im Verhandlungssaal anwesend sein wird jemand von der Pressestelle der Staatsanwaltschaft oder des Oberlandesgerichts München und jeweils eine kurze, allgemein verfasste Pressemitteilung veröffentlichen.
«Es ist eine Gratwanderung zwischen dem Informationsanspruch – auch aus der Schweiz – und dem Schutzbedürfnis der Jugendlichen», erklärt Pressesprecher Hertel.
Ruf nach hartem Durchgreifen
Die drei Jugendlichen werden des versuchten Mordes und der schweren Körperverletzung angeklagt. Nach deutscher Gesetzgebung ist eine Höchststrafe von 10 Jahren möglich. Damit liegt das Strafmass für jugendliche Gewalttäter weit höher als in der Schweiz, wo das Jugendstrafgesetz eine Haftdauer von maximal vier Jahren vorsieht.
So wie Generalkonsulin Aaroe die Stimmung in München einschätzt, ist die Bevölkerung für ein hartes Durchgreifen. «Viele verlangen die Maximalstrafe. Und aufgrund weiterer brutaler Fälle von Jugendgewalt können die Schweizer nicht mit sehr viel Verständnis rechnen.»
Hans-Kurt Hertel vom Oberlandesgericht München kann sich vorstellen, dass man sich hinter den Kulissen darüber Gedanken macht, ob die Strafe – so es zu einer Verurteilung kommt –unter gewissen Bedingungen im Herkunftsland verbüsst werden kann. Dazu müsste der Anwalt der Jugendlichen ein Überstellungsgesuch einreichen. Vor einer Verurteilung sei zu diesem Thema aber nichts zu erfahren.
Konsularischer Schutz
Die angeklagten Jugendlichen haben bislang zweimal Besuch von Seiten des Schweizer Konsulats erhalten, das erste Mal gleich zu Beginn der Inhaftierung. «Unsere Aufgabe ist es, abzuklären, ob die Festgenommenen gut behandelt werden, einen Anwalt haben und die Haftbedingungen in Ordnung sind.»
Über den Verlauf der Straftat oder das Ausmass der Strafe werde nicht geredet, so Generalkonsulin Aaroe. Da alles korrekt verlaufe und die Kommunikation mit den deutschen Behörden gut sei, bestehe im Moment kein Handlungsbedarf. Dies könnte sich nach einer Verurteilung allenfalls ändern.
Gaby Ochsenbein, swissinfo.ch
Die drei 16-jährigen Jugendlichen aus Küsnacht (Zürich), die sich in München wegen Mordversuches vor Gericht verantworten müssen, sind in der Schweiz bereits vorbestraft.
Einer der Angeschuldigten wurde wegen Diebstahl und Hausfriedensbruch verurteilt, ein Zweiter wegen einfacher Körperverletzung. Der Dritte Jugendliche ist wegen Raubversuch und Angriff vorbestraft.
Diese Strafuntersuchungen sind laut der Zürcher Jugendstaatsanwaltschaft abgeschlossen. Die Jugendlichen mussten als Strafe Sozialdienst zwischen neun Tagen und vier Wochen leisten. Für einen der drei wurde im September 2008 eine deliktorientierte Therapie angeordnet.
Die Verhandlung beginnt am 8. März vor der Jugendkammer des Landgerichts München I.
Gerichtsverhandlung und Urteilsverkündung finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Das Trio wird des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung beschuldigt.
Den drei Schülern drohen Freiheitsstrafen bis zu zehn Jahren.
In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 2009 sollen die drei 16-jährigen Schüler der Weiterbildungs- und Berufswahlschule Küsnacht auf einer Klassenreise in München in einem Park drei Arbeitslose verprügelt haben, einer war körperbehindert.
Danach schlugen sie einen Geschäftsmann aus Nordrhein-Westfalen halb tot. Auf dem Weg in ihre Unterkunft griffen sie einen Studenten an.
Die Jugendlichen hatten zuvor Alkohol (weniger als ein Promille) und einen Joint konsumiert.
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