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Soll die Schweiz mehr tun für die Gleichstellung der Religionen?

Blick von der Grossen Schanze in Bern auf Bundeshaus, eine Kirche und dahinter die Berge
Nah beieinander, aber nur räumlich: Bundeshaus und Kirche in der Hauptstadt Bern. © Keystone / Christian Beutler

In der schweizerischen Bundesverfassung steht kaum etwas zur Religion. Diese fällt, so will es das föderalistische Prinzip der Schweiz, in die Zuständigkeit der Kantone. An einer öffentlichen Debatte wurde mit den Landeskirchen diskutiert, ob die Religion im Grundgesetz gestärkt werden soll. 

«Im Namen Gottes des Allmächtigen!»: Die Präambel der Bundesverfassung ruft zwar Gott als höchste Instanz an. Aber ihr Inhalt nimmt nur minimalst Bezug zur Religion: Artikel 15 garantiert die Glaubens- und Gewissensfreiheit, und Artikel 72 weist die Zuständigkeit der Beziehungen zwischen Kirche und Staat den Kantonen zu. Damit hat es sich.

Historisch bedingt

In Zusammenarbeit mit den Landeskirchen, der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz (EKS) und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), organisierte das Polit-Forum im Berner Käfigturm Anfang September eine Debatte mit dem Titel «Wie viel Religion darf es sein?»

Das Fehlen von Religion in der Verfassung sei nicht überraschend, sondern historisch bedingt, sagt Urs Brosi, Generalsekretär der RKZ. «Die alte Eidgenossenschaft war kein Einheitsstaat mit einem Monarchen wie in Frankreich oder Österreich. Da die religiösen Angelegenheiten den einzelnen Kantonen unterstanden, entwickelten sich sehr unterschiedliche Formen der Beziehungen zwischen Staat und Religion», erklärt er gegenüber SWI swissinfo.ch.

Mehrere bewaffnete Auseinandersetzungen in der Schweiz hatten eine wichtige religiöse Dimension, darunter der Sonderbundskrieg, der zur Gründung des modernen Bundesstaates führte. «Angesichts dieser Situation war der neue Bundesstaat bei der Ausarbeitung der ersten Verfassung von 1848 nicht in der Lage, eine Bundespolitik zu etablieren, und dieser Bereich blieb daher in den Händen der Kantone», so Brosi.

Gleichbehandlung mit Lücken

Der Weg zu mehr Religion in der Verfassung müsste über die Einführung eines neuen Religionsartikels führen, wie die Debatte in Bern ergab. Ein solcher wäre Voraussetzung, um eine bessere Gleichbehandlung der verschiedenen Religionen auf Schweizer Boden herzustellen. 

«Obwohl die Migration die religiöse Landschaft seit mehreren Jahrzehnten stark diversifiziert hat, ist das Recht in Bezug auf die Religion dasselbe geblieben», hält Brosi fest. «Die Kantone haben kaum Schritte unternommen, um auch andere Religionen anzuerkennen. Anerkannt sind die reformierte und die katholische Kirche, und in gewissem Umfang die jüdischen und die christkatholischen Gemeinschaften. Aber keine anderen Religionen, und das ist schwierig zu rechtfertigen.»

>>>Neues Asylgesetz: Landeskirchen kritisieren Bundesgeld für muslimische Seelsorge. Beitrag von Radio SRF vom 24. August 2023:

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Die Einführung eines neuen Religionsartikels in der Verfassung könnte die Sache voranbringen. «Eine Lösung wäre, dass der Bund eine Anerkennung schafft, die über die kantonale Anerkennung hinausgeht. Dies könnte es anderen Religionen ermöglichen, sich beispielsweise an der Seelsorge in Spitälern oder Gefängnissen oder am Religionsunterricht in der Schule zu beteiligen», sagt Brosi. 

Darüber hinaus würde die Einführung eines neuen Artikels auch eine Anerkennung der Bedeutung der Religion darstellen. «Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Schweiz gehört einer Religionsgemeinschaft an», erinnert Pfarrerin Rita Famos, Präsidentin der EKS.

Gesucht: Ein Kompetenzzentrum

Die Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion würden die Schaffung eines Kompetenzzentrums für Religion auf Bundesebene begrüssen. Dessen Form bleibt aber offen: Es könnte sich um eine «ausserparlamentarische eidgenössische Kommission für Religion» oder gar um ein «Bundesamt für Religion» handeln. Ein ähnliches Fachgremiums besteht bereits auf Kantonsebene, etwa in Zürich. 

«Innerhalb der Bundesverwaltung sollte es eine Stelle geben, die über Fachwissen in religiösen Fragen verfügt», sagt Famos. Es gebe ständig neue Gesetze, die Religionsgemeinschaften direkt betreffen würden. Aber niemand verfüge über entsprechendes Fachwissen. «Man muss eingreifen, wenn die Dinge bereits geschehen oder beschlossen sind, was immer ein wenig mühsam ist».

Grundlagenwissen fehlt

Brosi nennt ein Beispiel: «Im Januar hat die Schweizer Regierung eine Revision des Asylgesetzes in die Vernehmlassung geschickt, die unter anderem vorsieht, dass der Bund die Seelsorgedienste von Religionsgemeinschaften, die selbst keine Kirchensteuer erheben, finanzieren kann. Die Frage der Kirchensteuer ist jedoch für keine Religion auf Bundesebene geregelt, da dies von den Kantonen abhängt. Es fällt also auf, dass bei der Ausarbeitung der Revision niemand an diesen Aspekt des Problems gedacht hat».

Puzzle-Politik

Die im Rahmen des Diskussionsforums gemachten Vorschläge sind bislang nur Wunschdenken. Es gibt keine konkreten Pläne für einen neuen Verfassungsartikel oder ein Kompetenzzentrum. «Es gibt viele schwierige Themen, die sehr emotional sind, wie die Anerkennung des Islams», stellt Brosi fest. Ich denke, das ist einer der Hauptgründe, warum wir keine einfache Lösung finden».

>>> Sehen Sie die ganze Diskussion im Polit-Forum Bern hier:

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Brosi weiter: «Man bewegt sich nach dem Zufallsprinzip, ohne eine Grundsatzdebatte darüber zu führen, wie der Bund mit den Religionsgemeinschaften umgeht. Eine Studie hat zum Beispiel gezeigt, dass ein Seelsorgedienst dazu beiträgt, das Gewaltpotenzial in Bundesasylzentren zu reduzieren. Mit der vorgefassten Meinung, dass das Problem vor allem muslimische Flüchtlinge betrifft, wurde versuchsweise eine muslimische Seelsorge eingerichtet.

Das ist typisch: Man hat ein Problem und findet eine Lösung. Das ist zwar sehr pragmatisch, aber das Ergebnis ist, dass es in diesen Asylzentren jetzt eine Lösung für Muslime gibt, aber nicht für andere Religionen.»

Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi

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