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Sport statt Ausgang am Samstagabend

Ostermundigen öffnet am Samstagabend für seine Jugend die Turnhallen. swissinfo.ch

Statt auf der Strasse rumzuhängen, verbringen immer mehr Jugendliche den Samstagabend in der Turnhalle. Das Jugendprojekt "Midnight Sports" hat soeben sein 10-Jahres-Jubiläum gefeiert und erfreut sich in der Schweiz zusehender Beliebtheit.

Samstagabend in Ostermundigen bei Bern: Ein junger Albaner steht in der Turnhalle Bernstrasse und betätigt sich als DJ. Er dreht die Musik auf. Die Lieder aus seiner Heimat erfüllen die Halle. Einige Jugendliche tanzen, andere spielen Basketball oder Fussball.

Fast 80 Jugendliche sind an diesem Abend gekommen. Sie müssen sich am Eingang in eine Liste eintragen und ihr Alter angeben. Die jüngeren Teilnehmer, gerade mal 12 Jahre alt, sind in kurzen Hosen aufgetaucht. Die älteren tragen Kleidung für den Ausgang am Samstagabend, manche haben Gel im Haar, die Mädchen sind perfekt geschminkt.

Unabhängig vom Alter verfolgen hier alle Jugendlichen dasselbe Ziel: Sie wollen die Langeweile des Samstagabends durch eine sinn- und lustvolle Aktivität ersetzen. Manche hingen früher auf der Strasse rum oder betranken sich. Jetzt haben sie eine Alternative.

Das Projekt heisst in Bern-Ostermundigen «Midnight Activities» und ist im November gestartet. «Der Anfang war vielversprechend. Es gefällt den Jugendlichen, weil es gute Musik gibt, man Sport treiben kann und insbesondere Gleichaltrige trifft, sagt Anna. «Erst hat man sich ein wenig lustig gemacht darüber, aber dann sich doch alle zurückgekommen», meint ein Kollege.

Schon 71 Standorte

Das Projekt von Ostermundigen ist keine Neuheit. In 71 Gemeinden der Schweiz werden die Turnhallen am Samstagabend geöffnet.

«Midnight Sports» wurde vor 10 Jahren unter dem Namen «Midnight Basketball» lanciert. Mittlerweile ist die Initiative zum grössten offenen Sportangebot für Jugendliche in der deutschsprachigen Schweiz geworden.

Der Vater der Initiative heisst Robert Schmuki. Er ist Architekt von Beruf und Basketballspieler aus Leidenschaft. «1999 haben wir erstmals eine Turnhalle im Sihlfeldquartier von Zürich geöffnet», erzählt Schmuki.

Man habe sich von einem ähnlichen Projekt in Hamburg (Deutschland) inspirieren lassen. «In meiner Tätigkeit als Raumplaner hatte ich festgestellt, dass es praktisch keine Räume für Jugendliche gab und dringend etwas gemacht werden musste», sagt Schmuki.

Seither hat sich «Midnight Sports» wie ein Strohfeuer in der deutschen Schweiz verbreitet. Die Aktivitäten in der Turnhalle sich eine Alternative zum «Rumhängen auf der Strasse» oder zu teuren Besuchen von Lokalen und Diskotheken.

In den vergangenen zehn Jahren wurden rund 5’600 «Midnight- Sports»-Veranstaltungen durchgeführt und von mehr als 245’000 Jugendlichen besucht.

«Dieses Programm räumt auch mit dem gängigen Vorurteil einer gewalttätigen und trinksüchtigen Jugend auf. In 10 Jahren hatten wir nur einen Fall eines betrunkenen Jugendlichen», meint Schmuki.

Erziehung unter Gleichaltrigen

Die Regeln werden im übrigen von fast Gleichaltrigen überwacht. An den Abenden sind stets ein Supervisor sowie drei «Seniorcoaches» präsent, die älter als 18 Jahre sind, sowie sechs «Juniorcoaches» zwischen 14 und 18 Jahren. Es sind viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, aber auch Schweizer.

Die Coachs beginnen mit ihren Vorbereitungen eine knappe Stunde vor der allgemeinen Öffnung der Turnhalle. Sie bereiten die Musikanlage vor, stellen Tischtennis-Platten auf und richten ein Mini-Buffett ein.

«Ich treibe gerne Sport und bin zufrieden, Teil dieser Gruppe zu sein», sagt Juniorcoach Michelle (14). «Den Jungen gefällt diese neue Initiative. Sonst würden sie auf der Strasse rumhängen.»

«Die Rolle des Juniorcoach ist für viele Jugendliche attraktiv. Denn sie ermöglicht ihnen, ihr häufig überhebliches Gehabe abzulegen und stattdessen Verantwortung zu übernehmen», sagt Robert Schmuki. Dadurch könnten sie einen Reifungsprozess erleben.

Die Erzieherrolle unter Gleichaltrigen ist sehr begehrt. Es gibt Wartelisten, und nur nach einer Testphase erfolgt die Aufnahme in die Gruppe der Coaches. Vier bis fünf Juniorcoaches sind pro Abend aktiv.

Integration und Respekt

Sport und Musik sind nicht nur eine Freizeitbeschäftigung für die Jungen, sondern auch Faktoren für Integration und gegenseitigen Respekt. «Vor allem Jugendliche aus mittleren und unteren Bildungsschichten nehmen an diesen Abenden teil», sagt Schmuki.

In den Städten sind 60 bis 70 Prozent der Teilnehmenden ausländischer Herkunft. Auf dem Lande liegt der Anteil etwas tiefer. Laut Schmuki vermischen sich die Ethnien in der Turnhalle bestens: «So kommt es nicht zu einer Ghettoisierung.»

Das kann man auch beim Besuch in Ostermundigen feststellen. Mädchen und Jungen unterschiedlicher Herkunft kommen hier zusammen, spielen Fussball oder liegen einfach nur auf den Matten rum und reden miteinander. Andere gruppieren sich um den DJ.

«Es stimmt nicht, dass diese Initiative die Jugendlichen aus ihrem wohlbehüteten Heim nach draussen lockt, wie manche meinen. Sie waren auch vorher unterwegs. Früher sah ich viele dieser Jugendlichen am Samstagabend einfach herumstreunen», sagt Sozialarbeiter Hans Berger aus Ostermundingen.

Luca Beti, Ostermundingen, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Sport und Bewegung ist bei «Midnight Sports» die zentrale Aktivität des Abends. Zu Beginn wurde, wie beim amerikanischen Vorbild, in den Hallen nur Basketball gespielt. In den Folgejahren kamen Tanz und Fussball, Tischtennis und Ringen dazu.

Heute sind Midnight-Projekte völlig offen für alle Sportarten, sei dies Klettern, Tischfussball, Breakdance oder Trampolinspringen.

In den vergangenen zehn Jahren wurden rund 5’600 «Midnight-Sports»-
Veranstaltungen an 71 Standorten durchgeführt, die von mehr als 245’000
Jugendlichen besucht wurden.

Der Teilnehmerdurchschnitt an den Abenden lag bei 43,7 Personen, mit einem Rekord von 241 Teilnehmenden in einer Turnhalle.

Der Mädchenanteil lag dabei im Mittel bei 31%. 75% der Jugendlichen, welche die Veranstaltungen besuchen, sind zwischen 14 und 16 Jahre alt.

Nicht nur Jugendliche sondern auch Kinder benötigen Freiräume, um sich zu treffen und sich zu bewegen. Deshalb wurde die Idee von Midnight Sports seit 2006 auf die Primarschüler ausgedehnt und das Angebot «Open Sunday» kreiert.

Dank «Open Sunday» werden Turnhallen während den Wintermonaten jeden Sonntag zwischen 13.30 und 16.30 für Kinder zwischen 7 und 12 Jahren geöffnet.


Hinter der Idee der nächtlichen Bewegungsangebote für Jugendliche steht die
Dachorganisation Midnight Projekte Schweiz MPCH. Von Uster im Kanton Zürich aus wurde in der deutschen Schweiz flächendeckend ein Projektnetz aufgebaut, das den Gemeinden die gemachten Erfahrungen weitergibt und bei der Vorbereitung und Durchführung hilft. Eine Ausweitung der Aktivitäten in die Romandie und das Tessin steht an.

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