Stätte der Spiritualität und der Bildung
Bigorio, das älteste Kapuzinerkloster der Schweiz, ist heute ein idealer Ort für Kurse und Seminare. Das reicht aber nicht. Jetzt drängt sich die Suche nach neuen Einnahmequellen auf. Eine Reportage.
Ein Gefühl von Ruhe ergreift einen bei der Ankunft im Kloster Bigorio, das oberhalb von Lugano im Südschweizer Kanton Tessin liegt. In dieser kleinen Oase des Friedens haben sich die Kapuziner 1535 niedergelassen, also etwa acht Jahre nach der Gründung ihres Ordens.
Bigorio, das während Jahrhunderten ein Zentrum intensiven Mönchslebens war, wurde mehrmals erweitert und renoviert. Der heutige Komplex auf drei Stockwerken stammt aus dem Jahr 1767. Aber die Zeiten von Autonomie und Erweiterungen gehören für dieses geschichtsträchtige Kloster längst der Vergangenheit an.
Lediglich eine kluge und frühzeitige Umorientierung hat die Schliessung des ersten in der Schweiz gegründeten Kapuzinerklosters verhindert.
Ein Schicksal, das vielen Klöstern in den letzten Jahrzehnten widerfuhr, weil die Zahl der Gläubigen, die dort lebten, zurückging.
Das Kapuziner-Kloster Santa Maria del Bigorio wurde 1535 gegründet und war lange Zeit ein Zentrum des Kapuzinerlebens. 1577 wurde seine neue Kirche vom mailändischen Erzbischof Karl Borromäus eingeweiht. Das Kloster wurde mehrmals erweitert. Bei der Renovation im Jahr 1767 erhielt die Anlage ihre heutige bauliche Struktur.
1966 wurde das Kloster einer vollständigen Restauration unterzogen, wobei der franziskanische Stil beibehalten wurde. Seither ist es eine Stätte religiöser, geistiger und kultureller Bildung. In Bigorio hat es auch ein kleines Museum, das auf Vereinbarung besucht werden kann.
Öffnung und Beherbergung
Ab 1966 war Bigorio kein geschlossenes Kloster mehr. In diesem Jahr kam Fra Roberto und führte erste Renovationen durch, um auch Gäste beherbergen zu können. «Seither ist Fra Roberto der Leiter dieses Hauses», erzählt Luca, der Sekretär, während er uns durch das Kloster Santa Maria von Bigorio führt.
Seit 1967 ist das Kloster ein Tagungs- und Besinnungszentrum und die «Aufnahme von Gästen die Hauptaktivität des Klosters», sagt Luca. Allerdings ist der Ort keine touristische Herberge. «Wir haben klare Vorgaben», betont Fra Roberto, der uns in einem einfach und herb ausgestatten Raum empfängt, ein Stil, der für das Kloster typisch ist.
«Unsere Berufung ist es, diesen Platz für Studien- oder Meditationstage anzubieten. Dies erlaubt es, voll und ganz in franziskanischem Geist zu leben. Wozu sollte sonst ein Kloster dieser Grösse und Schönheit dienen, wo es ja keine Mönche mehr hat?», sagt der Kapuziner.
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Hinter Klostermauern
Der Preis der Stille
In dieses Gebäude, wo aus Zellen und der Krankenstube 25 Zimmer für Gäste erstellt wurden, strömen jedes Jahr durchschnittlich rund hundert Gruppen, was insgesamt etwas mehr als 1500 Personen ausmacht. Maximal können gleichzeitig 30 Personen im Kloster übernachten.
Die Dimensionen der Räume tragen sicher zu einer angenehmen Intimität im Kloster von Bigorio bei und machen daraus einen Ort, der sich für Kurse und Seminare bestens eignet. Weil es aber unmöglich ist, grössere Gruppen unterzubringen, sind den Einkünften auch Grenzen gesetzt. Umso mehr, als das Kloster gleichzeitig nur eine Gruppe beherbergt, damit die Ruhe garantiert bleibt. So steht fast immer ein Teil der Zimmer leer. «Es gibt zwar Ausnahmen, im Einverständnis mit den Direktinteressierten», sagt Luca. «Aber die sind rar.»
Das Kloster will aber dennoch nicht ganz auf jene Qualität verzichten, welche Bigorio im Laufe der Zeit zu einer Anlaufstelle für Universitäten und Unternehmen aus allen Ecken der Schweiz und anderen Ländern gemacht hat. Aus Klienten sind nicht nur treue Gäste geworden, sondern auch Förderer. Seinen Erfolg hat das Kloster der Mund-zu-Mund-Propaganda zu verdanken.
Zu den Gästen, die Bigorio wärmstens empfehlen können, zählt auch Bruno Marti. Seit 1974 organisiere er für eine Deutschschweizer Firma vier Mal im Jahr Seminare zu Sicherheit und Schutz der Gesundheit am Arbeitsplatz, sagt er voller Freude und kontrolliert, ob die Einrichtungen für das Seminar funktionieren, das am Nachtmittag beginnt.
Weil immer weniger Menschen im Kloster leben wollen, mussten in den letzten Jahrzehnten diverse von ihnen geschlossen werden. Jene, die überlebt haben, kämpfen mit finanziellen Problemen.
Die Herstellung von Lebensmitteln und traditionellen Likörs, Hostien, und Artikeln aus Heilpflanzen sindzusammen mit der Restaurierung von Büchern und antiken Dokumenten, von Stickereien und vielem mehr typische Tätigkeiten, die in Klostern verrichtet werden. Die Erträge reichen allerdings nicht aus, um die Kosten zu decken. Aus diesem Grund müssen andere Einnahmequellen generiert werden. So haben einige unter ihnen ihre Türen geöffnet und setzen auf zahlende Gäste, die im Kloster Ruhe suchen oder an Seminaren teilnehmen.
Meditieren in der Stille
Das Kloster bietet auch Kurse an, die von Ordensbrüdern gegeben werden. «So wird die Gemeinsamkeit der Spiritualität gelebt», sagt Fra Roberto. Dabei geht es zum Beispiel um die Wiederentdeckung der Stille, um so die essentiellen Werte des Lebens zu finden. Diese Kurse stehen seit 20 Jahren auf dem Programm.
Diese Aktivitäten reichten aber nicht aus, um alle Kosten des Klosters zu decken, die sich auf etwa eine halbe Million Franken pro Jahr belaufen würden, wie der Sekretär und Buchhalter des Klosters erklärt.
Und die Herstellung von typischen Produkten «dient der Bewahrung der Traditionen und ist eine Unterstützung. Aber sie ist weit davon entfernt, das Defizit zu decken», fügt Luca hinzu.
In der Vergangenheit konnte ein Defizit abgewendet werden, weil Fra Roberto intensiv gearbeitet hatte. «In den 1960er- bis 1980er-Jahren war die Renovierung aller Kirchen im Tessin im Gang, es herrschte ein regelrechter Boom. Damals erhielt ich verschiedene Aufträge. Heute gibt es diese Anfragen nicht mehr», erklärt er, der über 300 Glasfenster geschaffen hatte, und nicht nur für Kirchen.
Weltliche Bürger als Garantie für Kontinuität
Auch wenn Fra Roberto sich bewusst ist, dass in den nächsten Jahren «weitere Klöster geschlossen werden müssen», ist er überzeugt, dass jenes von Bigorio «eines der wenigen ist, das eine schöne Zukunft vor sich hat». Die Beherbergung von Gästen bleibt der richtige Weg und zum Ausgleich der Bilanz wurde Ende 2011 der Verein «Freunde von Bigorio» gegründet.
Dieser hat zum Zweck, die Aktivitäten und das kulturelle Erbe des Klosters zu erhalten und zu fördern. Der Start war vielversprechend: «Wir haben rund 200’000 Franken zusammengebracht», sagt der Vereins-Sekretär Edo Bobbià. Es bleibt abzuwarten, ob diese Grosszügigkeit anhält. «Unser Ziel ist es, pro Jahr 100’000 Franken zu sammeln: 50’000 bis60’000 sind zur Deckung des Defizits der laufenden Ausgaben vorgesehen und 40’000 Franken werden für Unterhaltsarbeiten auf die Seite gelegt.»
«Der Verein ist eine Garantie für Kontinuität, denn wenn morgen vielleicht nur noch ein Ordensbruder hier ist, wird der Betrieb mit Hilfe der weltlichen Bürger weitergehen», betont Fra Roberto. Und er weiss, wovon er spricht, denn in Bigorio leben heute nur noch zwei Ordensbrüder.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)
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