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Sterbehilfe: Die Zahlen sprechen für die Seriosität der Organisationen

Swissinfo Redaktion

Exit als grösste Sterbehilfeorganisation der Schweiz äussert ihre Sicht zum Standpunkt des Buchautors Matthias Ackeret mit dem Titel "Die Sterbehilfe in der Schweiz ist längst ausser Kontrolle".

Im swissinfo.ch-Standpunkt von Anfang Januar geht es um das neuste Buch von Matthias Ackeret und eine 81-jährige Frau, die mit Exit aus dem Leben schied. Im Nachwort holt der Autor zu einem Rundumschlag gegen die Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz im Allgemeinen und die Freitodbegleitung im Speziellen aus.

«Die Suizidrate hat sich seit 1980 mehr als halbiert. Auch dazu tragen die Sterbehilfeorganisationen bei.»

Im Beitrag provoziert der Publizist mit der süffigen Aussage, die Sterbehilfe in der Schweiz sei wohl «längst aus dem Ruder gelaufen». Auch stellt er das Wirken der Sterbehilfeorganisationen einem «Businessmodell» gleich, welches angeblich «einem unternehmerischen Druck», aber keiner Kontrolle unterliege.

Die fünf Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz stellten eine «Sterbehilfe-Industrie» dar, die «am Todesmarkt teilhabe». Gar ignorant und bösartig erscheint uns seine Behauptung, dass die Organisationen hin und wieder bei den Begleitungen «ein Auge zudrücken, um Betriebsziele zu erreichen».

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Zu den Fakten aus Sicht der grössten Suizidhilfeorganisation der Schweiz: Freitodbegleitungen in der Schweiz finden nicht in einem rechtsfreien Raum statt. Gemäss Strafgesetzbuch ist die Freitodbegleitung erlaubt, sofern sie nicht aus selbstsüchtigen Gründen erfolgt.

Das Schweizerische Bundesgericht hat in einem Entscheid weiter festgelegt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Begleitung zulässig ist. So muss ein Arzt die Urteilsfähigkeit bei jedem Fall schriftlich bestätigen.

Der Sterbewunsch ist dann autonom, wenn er unbeeinflusst von Dritten oder unter Druck gefasst worden ist. Zudem sollen die Bedingungen der Wohlerwogenheit und Konstanz sicherstellen, dass der Entscheid durchdacht ist und nicht das Resultat einer momentanen depressiven Verstimmung oder Krise. Hoffnungslose Prognose, unerträgliche Beschwerden oder unzumutbare Behinderung sind Bedingungen, die nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, sondern die Exit selber in die Statuten aufgenommen hat.

Gleichzeitig setzt sich der Verein – er begleitet nur sterbewillige Mitglieder, die den Schweizer Pass besitzen oder in der Schweiz wohnen – dafür ein, dass betagte Menschen einen erleichterten Zugang zum Sterbemedikament haben sollen. Nebst den oben erwähnten Bedingungen ist hier aber kein schwerstes oder zum Tode führendes Leiden erforderlich. Vielmehr genügen mehrere Gebresten und Gebrechen, die der betroffene Mensch in ihrer Gesamtheit für sich selbst als untragbar beurteilt oder die ihn zu weiteren sinnentleerten Lebensjahren in zunehmender Abhängigkeit verurteilen.

Exit bietet nicht nur Freitodhilfe nach strengen Vorgaben respektive nach sorgfältiger Abklärung für Menschen an, die ihr Leiden nicht mehr aushalten und für die keine genügende Lebensqualität mehr vorhanden ist. Der Hauptpfeiler ist die Patientenverfügung. Weiter unterstützt der Verein mit der eigenen Stiftung palliacura die Palliative Care. Zudem berät ein Team mehrere Tausend Menschen pro Jahr, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden, was eine suizidpräventive Wirkung hat.

Wer sich für einen begleiteten Freitod entscheidet, durchläuft ein internes Kontrollverfahren, welches aufgrund der geltenden Rechtslage sowie der aktuellen Rechtsprechung seriös und gründlich dokumentiert wird. Es braucht viel, bis jemand tatsächlich bereit ist, diesen letzten Schritt zu tun.

Es handelt sich ausnahmslos um starke Persönlichkeiten, die sich auch gegen den Widerstand ihrer nächsten Angehörigen durchsetzen können und wollen. Beeinflussungsversuche von Dritten würden die hierfür geschulten Exit-Mitarbeitenden erkennen.

Ob eine Freitodbegleitung korrekt abgelaufen ist, wird anhand einer so genannten Legalinspektion abgeklärt. Diese wird gemäss Strafprozessordnung von der  Staatsanwaltschaft des jeweiligen Kantons in Auftrag gegeben. Die äusserliche Untersuchung des Leichnams erfolgt durch einen entsprechend ausgebildeten Arzt oder eine Ärztin; in der Regel handelt es sich dabei um eine medizinische Fachperson der Rechtsmedizin. Zumeist erscheinen vor Ort auch Polizisten und oft auch eine Vertretung der Staatsanwaltschaft.

Im Beitrag schreibt Ackeret, «dass die Zürcher Staatsanwaltschaft nach solch einem Todesfall eigenen Angaben zufolge in der Regel nicht mehr ausrückt.» Dazu Folgendes: Da bei Exit alles detailliert dokumentiert und bezeugt ist, kann die Staatsanwaltschaft des jeweiligen Kantons entscheiden, ob sie vor Ort erscheinen will oder nicht.

Eine ältere Frau am Fenster
In der Schweiz werden immer mehr Menschen hochbetagt. © KEYSTONE / GAETAN BALLY

Ein Hinweis zum finanziellen Aspekt. Der jährliche Mitgliederbeitrag bei Exit beträgt 45 Franken, 1100 Franken kostet der Beitrag auf Lebenszeit. Und nach einer dreijährigen Mitgliedschaftsdauer sind sämtliche in Anspruch genommenen Dienstleistungen für die Mitglieder kostenlos. 

Exit hat die Kosten für eine Freitodbegleitung zu bezahlen, doch werden sie von den allgemeinen Vereinsmitteln getragen. Als Non- Profit-Organisation hat sie die Freitodbegleitung seit Anbeginn nach dem Solidaritäts-und Versicherungsprinzip angelegt. Die Kosten werden also nicht von den wenigen Mitgliedern voll getragen, welche die Hilfe in Anspruch nehmen müssen, sondern von den vielen, die sie nie in Anspruch nehmen. So viel zum lukrativen «Businessmodell».

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass der Zürcher Regierungsrat bereits im Jahr 2009 im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage festgehalten hat, dass Kosten für eine Freitodbegleitung in Höhe von gegen 10 000 Franken nicht zu einer Bereicherung führen würden.

Zudem: Die Schweizer Justizministerin Simonetta Sommaruga hat öffentlich erklärt, dass die fachliche Hilfe bei der Freitodbegleitung ihren Preis habe. Und dass all jene, welche diese erbringen, also etwa Ärzte und Pflegende, dafür auch bezahlt werden müssen. «Damit soll auch das fachliche Knowhow gewährleistet werden”, sagte sie.

Zwischen 2010 bis heute hat sich die Mitgliederzahl von Exit von 52 000 auf über 120 000 Personen mehr als verdoppelt. Warum wohl? Seriosität, Kompetenz, Sachlichkeit und das klare Bekenntnis zu unseren Gesetzen und der Rechtsprechung zeichnen die Arbeitsweise aller für den Verein tätigen Personen aus.

Jährlich kommt es in der Schweiz zu rund 66’000 Todesfällen. Davon betreffen rund 1,5 Prozent Freitodbegleitungen und bleiben damit insgesamt relativ selten. Gleichzeitig ist die Zahl der gewaltsamen Suizide – sie sind für alle Beteiligten schrecklich – trotz Bevölkerungswachstum in unserem Land faktisch rückläufig. Die Suizidrate hat sich seit 1980 mehr als halbiert. Auch dazu tragen die Sterbehilfeorganisationen bei.

Die in diesem Artikel geäusserten Ansichten sind ausschliesslich jene des Autors und müssen sich nicht mit der Position von swissinfo.ch decken.

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