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Stararchitekt Zumthor Hoffnungsträger für Braunwald

Die Sonnenterrasse Braunwald wartet sehnlichst auf Peter Zumthors Musikhotel. imagepoint.ch

Einst war der Skiort in den Glarner Alpen ein Magnet für reiche Touristen aus ganz Europa. Heute steckt Braunwald in der Krise. Nun setzt die Destination auf ein musikalisches Projekt des Bündners Peter Zumthor.

Hier hatte sich der ungarische Komponist Béla Bartók erholt, und das «Birchermüesli», das gesunde Schweizer Frühstück mit Getreideflocken, Milch und Früchten, wurde hier erfunden. Hier fand das erste Schweizer Klassik-Festival statt, und aus Paris führte eine direkte Zugverbindung quasi auf die Skipiste.

Aber Braunwald, das nur via Standseilbahn erreichbar ist, hat seine besten Zeiten lange hinter sich. Die Sonnenterrasse zwischen Zürich und Graubünden leidet, da «nur» auf 1300 Metern Höhe gelegen, an einem gravierenden Defizit in Sachen Schneesicherheit und Infrastruktur.

Konkrete Folge: die Zahl der Logiernächte ist in den letzten Jahren dramatisch gesunken, und mit ihr die Zahl der Einwohner, von rund 500 im Jahr 1960 auf noch 380 im laufenden Jahr.

Obwohl die ersten Gäste kommen, sobald Anfang Winter das Mittelland unter einer Nebeldecke verschwindet, sind die Einheimischen am Verzweifeln: Ein Hotel hat seine Türen geschlossen und ein anderes ist abgebrannt unter Umständen, welche die Justiz abklärt. Und auch ein Dorfladen hat aufgegeben.

«Als ich ein junger Skilehrer war, kamen jeden Winter Gäste in Scharen», erinnert sich der Fotograf Fridolin Walcher. Diese Zeiten seien nun vorbei. Der Mangel an Infrastruktur ist mittlerweile so gross, dass selbst Hotelangestellte im Ort, der nicht mit dem motorisierten Verkehr erreichbar ist, keine Wohnungen mehr finden. Sie leben im Tal und kommen mit der Bahn zur Arbeit.

Die glanzvolle Periode begann, wie andernorts in den Alpen, an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, als ein Sanatorium und die Standseilbahn gebaut wurden.

1936 fand in Braunwald das erste Musikfestival der Schweiz statt. Es existiert heute noch.

In Braunwald entwickelte der Schweizer Arzt, Ernährungs-Wissenschaftler und Pionier der Vollwertkost Maximilian Bircher-Benner das legendäre Frühstück «Birchermüesli».

Braunwald hat architektonisch Bemerkenswertes zu bieten: Heute noch kommen Interessierte aus aller Welt, um die Bauten von Hans Leuzinger zu bewundern, dem Pionier des neuen Bauens im Kanton Glarus. Bekannt sind vor allem das «gebogene» Restaurant Ortstockhaus und mehrere Chalets.

Braunwald ist auch alpin- und sporthistorisch wichtig: Hier stand die erste Hütte des Schweizerischen Alpen-Clubs (SAC), der erste Skiclub wurde hier gegründet, das erste Skirennen fand hier statt, und im Ort wurde die erste Fabrik von Schweizer Skis betrieben.

Einer der letzten Zeugen der grossen Epoche ist das Grand Hotel, das heute «Märchenhotel» heisst. Erbauer war Josef Durrer, ein Pionier der Schweizer Luxushotellerie, der mit seinem Schwager Franz Josef Bucher auch das Hotel Bürgenstock über dem Vierwaldstättersee errichtet hatte.

Industrie-Leichen im Tal 

Unten, entlang des Flusses Linth, zeugen zahlreiche leerstehende Fabriken von der grossen industriellen Vergangenheit des Glarnerlandes: Mit den Textilfabriken nahm hier die industrielle Revolution der Schweiz ihren Anfang. Die letzten Betriebe schlossen Anfang dieses Jahrhunderts ihre Tore.

Knapp die Hälfte aller Industrie-«Leichen» der Schweiz liegen auf Glarner Boden. Zwar gibt es Initiativen, den Industriebrachen neues Leben einzuhauchen. Doch noch sind für viele keine neuen Bewohner in Sicht.

Einige Einwohner sehen diese «Industrie-Skelette» nicht als Zeichen des Aufbruchs, sondern als Gradmesser für die Verwahrlosung der Region.

Tatsächlich scheint in vielen Köpfen Glarus ein Synonym für Niedergang.

Der Kanton gibt seit 2011 Gegensteuer. Damals hatten die Stimmbürger eine beispiellose Strukturreform eingeläutet: Mit der Reduktion von 25 auf nur noch drei Gemeinden will Glarus nicht nur den wirtschaftlichen Aufschwung herbeiführen, sondern machte sich auch zum landesweiten Vorreiter in Sachen Gemeindefusionen.

Der Stempel als «alpines Brachland» erhitzt die Gemüter der Glarner aber bis heute. Dies wurde jüngst auch wieder an einer Tagung spürbar, die das Hochparterre, das renommierte Schweizer Magazin für Architektur, Planung und Design, Ende Oktober in Elm organisierte. Die Region sei in ein «künstliches Koma» gefallen, war dort gar zu hören.

Thomas Hefti, Gemeindepräsident von Glarus Süd, nun flächenmässig die grösste Gemeinde der Schweiz, zu der auch Braunwald gehört, widerspricht heftig. «Ich finde das diskriminierend», sagt er, «hier leben Menschen! Und zusätzlich zur Wasserkraft verfügen wir über alle Voraussetzungen für einem nachhaltigen Tourismus», sagt er.

Architekt, geboren 1943 in Basel. Lebt bei Chur.

Wichtige Werke: Therme Vals, Kunsthaus Bregenz (Österreich), Museum für moderne Kunst Köln (Deutschland).

Das Projekt für ein Musikhotel in Braunwald, eineinhalb Stunden von Zürich gelegen, sieht einen Bau mit 70 Zimmern und Konzerthalle vor. Das Musikprogramm soll «internationale Ausstrahlung» haben.

Die Stiftung «Musikhotel Braunwald» wurde im März 2012 zur Durchführung der Planung gegründet. Sie ist mit einem Kapital von 250’000 Franken ausgestattet.

Der Bund unterstützt den Planungsprozess 2012-2014 mit 60’000 Franken. Der Kanton Glarus sprach dieselbe Summe, während Braunwald 120’000 Franken beisteuerte.

Für den Bau und den Betrieb des Musikhotels sucht die Stiftung einen «Kultursponsor von sehr hohem Niveau».

Musikhotel als lokaler Katalysator 

Peter Zumthor will helfen, diese Voraussetzungen mit kulturellen und künstlerischen Elementen anzureichern. Der renommierte und mehrfach preisgekrönte Schweizer Architekt hat schon den Bündner Kurort Vals mit seinem sinnlich-schlichten neuen Thermalbad aus lokalem Gestein zu neuem Leben erweckt. Nun will der Träger des Pritzker-Preises von 2009, so etwas wie der Nobelpreis für Architekten, auf der Glarner Sonnenterrasse ein Musikhotel errichten.

Eine Stiftung soll das Projekt, das auf 30 bis 40 Mio. Franken veranschlagt wird, auf den Schlitten bringen. Geplant ist ein Bau mit über 70 Zimmern und einem Konzertsaal für 300 Plätze, dazu kommen ein Wellnessbereich und ein Restaurant, das eine qualitativ hochstehende Küche zu vernünftigen Preisen anbiete, wie Stiftungspräsident und Diplomat Benedikt Wechsler sagt. Dem Stiftungsrat gehört unter anderen auch Annette Ringier aus der gleichnamigen und sehr vermögenden Schweizer Verlegerfamilie an.

Seit die Initianten im März 2012 ihr Projekt der Öffentlichkeit vorstellten, warten die Braunwalder sehnsüchtig auf mehr Informationen. «Peter Zumthor sagte, dass er in den Alpen nie eine grandiosere Landschaft gesehen habe als in Braunwald. Und er hat schon viele gesehen», sagte Wechsler an einer Informationsveranstaltung im Dorf. Noch fehlten einige Nachweise, aber das Grundstück, auf dem das Projekt entstehe, sollte noch vor Jahresende bekanntgegeben werden, so der Diplomat.

Zumthor selber liess an der Elmer Tagung seine Leidenschaft für die Braunwalder Landschaft und die Musik durchblicken. Die Diskussionsrunden wurden durch Ausschnitte aus Werken von Alban Berg unterbrochen, weil dem Architekten die so genannte zweite Wiener Schule (die Komponisten-Gruppe mit Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg, die Red.) «Heimat» geworden sei, wie der Architekt erklärte.

«Kein Dutzend-Festival»

Der Bündner will kein Musikfestival ins Leben rufen, wie sie schon zahlreich existieren. Er will Braunwald vielmehr wieder zu dem Ort des kreativen Experimentierens machen, der es war, als Béla Bartók (1881-1945) für Paul Sacher komponierte. 1938 verbrachte der ungarische Pianist mehrere Wochen im Ort. Auch die Pianistin Clara Haskil liess sich durch die Landschaft in Braunwald inspirieren.

Der einheimische Fridolin Walcher, der mit einem Kultur-Café zur Bereicherung des Lebens im kleinen Dorf beiträgt, glaubt fest an Peter Zumthor. «Er kann eine Wiedergeburt des Ortes schaffen, weil er für eine sehr gute Architektur steht und einen hervorragenden internationalen Ruf hat». Ziel müsse es sein, dass sich Komponisten, die nicht nach Braunwald eingeladen würden, fragten, weshalb dies nicht geschehen sei, so Walcher.

Zumthor will nicht einen grellen Fremdkörper in die Braunwalder Landschaft setzen, sondern eine kulturelle Institution schaffen, die im Ort eine Dynamik auslöst. Grossen Wert legt er dabei auch auf die Gastfreundschaft, «die man manchenorts verlernt hat», wie er sagte.

«In Regionen, die vom Tourismus leben, müssen die Menschen eine emotionale Bindung zu ihrer Identität haben, sie müssen wissen, wer und was sie sind.» Zumthor sprach im Zusammenhang mit dem Projekt als von einem «selbstsicheren Ort, vielleicht aus Holz gebaut, ein Raum als Gedächtnis der Orte».

Noch langer Weg 

Der Weg zu Zumthors Musikhotel ist noch sehr weit, denn bevor die Promotoren überhaupt mit der Suche nach Investoren beginnen können, müssen die nötigen Gesuche eingegeben werden und die Bewilligungen der Behörden vorliegen.

Derweil aber müssen sich die Braunwalder und die Gemeinde Glarus Süd weiter mit unangenehmen Dossiers herumschlagen. Bereits Ende November stimmen die Bürger über die Weiterführung oder Schliessung von mehreren Schulen ab.

Nach langer Zeit des passiven Abwartens sind die Menschen im Süden von Glarus am Erwachen. Die Musik dazu spielt aber noch nicht in Zumthors Hotel, sondern erst in ihrem Kopf.

(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)

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