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Schweizer Jungunternehmer packen globales Abfallproblem an

Sortierband
Ein Angestellter am Sortierband in Nairobi. zVg

Mr. Green hat sich in Städten der Deutschschweiz als soziales Recycling-Unternehmen etabliert. In der ostafrikanischen Metropole Nairobi gibt es ganz andere Probleme, doch auch dort sorgen die Zürcher für innovative Lösungen.

Keiran Smith ist Schweizer, er hatte nichts mit Kenia zu tun, bis ihm die Idee für Mr. Green Africa kam. Ganz am Anfang, vor etwas über zehn Jahren, stand ein eher kleines Abfallproblem, das vier Zürcher Wirtschaftsstudenten in ihrer Wohngemeinschaft hatten: «Wie es halt so ist: Niemand von uns wollte die leeren Flaschen oder Dosen wegbringen», sagt Smith.

Heute laden in Kenias Hauptstadt Nairobi Lastwagen täglich mehrere Tonnen Plastikabfall bei Mr. Green Africa ab. In der Fabrikhalle im Industriegebiet unweit des internationalen Flughafens wird der Abfall von Hand nach Plastiksorten und Farben sortiert. Dann in lauten Maschinen zerhäckselt, gewaschen und getrocknet. Schliesslich kommt das recycelte Material in riesige Säcke. Diese verkauft das Unternehmen an lokale Produzenten, die daraus zum Beispiel Wassertanks anfertigen.

Keiran Smith
Der Jungunternehmer Keiran Smith. zVg

«Wir sind dabei, in Nairobi eine der ersten wirklich lokalen Kreislaufwirtschaften der Welt aufzubauen», sagt Smith, der 33-jährige Geschäftsführer von Mr. Green Africa, im Grossraumbüro direkt neben der Fabrik.

«In Ostafrika sind wir auf jeden Fall die Ersten, die lokal gesammelten, lokal recycelten Plastik wieder umfassend in den lokalen Markt einspeisen und nicht wie üblich exportieren.»

Eine neue Maschine wird bald so genannte Pellets der höchsten Qualitätsstufe produzieren, aus denen grosse Konsumgüterhersteller wie Unilever oder Coca Cola in Kenia hochwertige Behälter und Verpackungen herstellen können.

Idee in der Studenten-WG

Die ursprüngliche Geschäftsidee von Mr. Green, gegründet von den vier Studenten, hatte nur die Schweiz im Auge: Dort können Haushalte und Firmen in Zürich, Winterthur, Bern und Basel «Recycling-Abos» abschliessen – rund 7000 Kunden stecken ihren rezyklierbaren Abfall bereits in einen Sack, der mindestens einmal pro Monat von einem Mr.-Green-Mitarbeitenden abgeholt wird. «So habe ich erkannt, dass Abfall ein Wertstoff ist», sagt Smith rückblickend.

Eine Luxus-Dienstleistung für Faule also, die sich die mindestens 17,90 Franken pro Monat leisten wollen? Smith verneint: «Erstens rezykliert Mr. Green auch Materialien, die sonst in der Verbrennungsanlage landen würden: Getränkekartons, Korkzapfen oder Plastiktüten zum Beispiel.» Und zweitens habe Mr. Green auch einen sozialen Unternehmenszweck: Die Abholung und Sortierung besorgen zu einem grossen Teil Menschen mit Beeinträchtigung oder einem schwierigen Lebenslauf.

Von Zürich in den Frontier-Markt

Nachdem das Schweizer Geschäft die Gewinnschwelle erreichte, wurde es Smith in Zürich zu gemütlich. «Ich wollte beweisen, dass unser Unternehmensmodell auch in einem Frontier-Markt funktioniert: Wir wollen ökologische und soziale Probleme lösen, dabei aber auch profitabel sein.»

Abfallsammler
Abfallsammler auf der Deponie im Slum Dandora von Nairobi. Copyright 2018 The Associated Press. All Rights Reserved.

Über einen in der Schweiz wohnhaften Kenianer kam Smith 2012 auf die Idee, sich die Situation in Nairobi, der bedeutendsten Stadt Ostafrikas, anzuschauen. Dann kontaktierte er Karim Debabe, der für seinen damaligen Arbeitgeber schon jahrelang auf dem afrikanischen Kontinent herumgereist war und ebenfalls den Wunsch hegte, ein eigenes Business zu starten. Keiran und Debabe gründeten in der Folge Mr. Green Africa und bauten das Unternehmen ab 2016 gemeinsam auf.

Nairobi ist eine weiträumige Metropole ohne öffentliches Abfallmanagement; die Mülltrennung im Slum von Dandora (wo sich die grösste Deponie der Stadt befindet) ist eine gefährliche, mafiöse Angelegenheit. War es nicht etwas riskant, sich von der beschaulichen Schweiz aus in dieses komplexe urbane Gefüge zu stürzen?

«Die Herausforderungen sind hier sicher bedeutend grösser als in Zürich, die Chancen aber auch», sagt Smith. «Der Markt im Abfallmanagement ist hier so gross, dass wir niemandem Konkurrenz machen; gleichzeitig haben wir im ökologischen und sozialen Bereich viel Impact.»

Was den ökologischen Bereich anbetrifft, sieht man den Handlungsbedarf sofort, wenn man von der Fabrik zu einer Sammelstelle fährt. Es gibt zwar ein Verbot von Plastiktüten, doch allerlei andere Plastikgefässe liegen massenweise am Rand der Strassen und des Nairobi-Flusses herum.

Sozialer Aspekt

An der Sammelstelle angekommen, offenbart sich dann die soziale Komponente: In Dandora steht einer von derzeit 25 «Trading Points» der Stadt. Von der berüchtigten Dumpsite des Slums ist hier nichts zu sehen oder zu riechen. Die Sammelstelle sieht auf den ersten Blick aus wie ein kleines Geschäft und wird von einer Mr.-Green-Angestellten geführt. Etwa vierzig Sammlerinnen und Sammler bringen regelmässig den herumliegenden Plastikabfall zu der Sammelstelle – über tausend sind es in der ganzen Stadt.

Für jedes Kilogramm erhalten die Sammler – die bei Mr. Green «Zulieferer» genannt werden – etwa 20 Rappen auf die Hand. Über ein Punktesystem können sie sich zusätzliche Prämien verdienen: Schutzkleidung, eine Krankenversicherung oder eine Schulung zum Beispiel.

Befüllung
Ein Angestellter füllt die Sortiermaschine mit Plastikabfall. zVg

Alle paar Wochen wird neben der Sammelstelle ein Zelt aufgestellt, in dem die Plastiklieferanten eine kostenlose Gesundheitsuntersuchung erhalten. Dies wird unter anderem durch Spenden von Mr.-Green-Kundschaft in der Schweiz ermöglicht. Ein Lastwagen holt ein- oder zweimal pro Woche das Recyclinggut bei den Sammelstellen ab und lädt es vor der Fabrik von Mr. Green Africa ab.

Modell für das globale Abfallproblem

Dort, im grossen, lichtdurchfluteten Büroraum, planen Smith und Debabe längst die Zukunft von Mr. Green Africa. In Kürze wollen sie die Profitabilität des Unternehmens aufzeigen, um dann wieder zu investieren.

Das verarbeitete Plastik soll nicht nur eine höhere Qualität erreichen, auch soll die Menge auf rund 250 Tonnen pro Monat verdoppelt werden. In Nairobi wollen sie bis Ende Jahr über zehn neue Sammelstellen betreiben und rund 2000 Müllsammlern ein regelmässiges Einkommen verschaffen – und ein «Selbstbewusstsein als wichtiger Teil der Gesellschaft», wie sich Smith ausdrückt.

«Unser Ziel ist, ein Modell zu schaffen, das weltweit in Entwicklungsländer übertragen werden kann», sagt Smith. «Das globale Abfallproblem ist so gross, dass es möglichst viele ‹Mr. Greens› braucht.» Interessierte Investoren gebe es heute genügend – ganz anders als zur Gründungszeit des Unternehmens, als die Themen Abfallmanagement und Kreislaufwirtschaft praktisch unbekannt gewesen seien.

So sei anfangs auch die Lernkurve eher steil gewesen. «Doch entgegen dem Klischee haben wir in Kenia nur gute Erfahrungen gemacht», sagt Smith. «Hingegen hatten uns Zulieferer und Berater aus der Schweiz zweimal übers Ohr gehauen.»

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