Ausser der Schweiz, wo ist Sterbehilfe erlaubt?
In den letzten zehn Jahren haben immer mehr Länder und Gerichtsbarkeiten den ärztlich assistierten Suizid zugelassen. Eine Übersicht.
«Jetzt bin ich endlich frei und kann fliegen, wohin ich will.» Dies hat Federico Carboni geschriebenExterner Link, als er vor einigen Wochen seinem Leben ein Ende gesetzt hat. Der 44-jährige Italiener war seit 12 Jahren wegen eines Unfalls gelähmt.
È morto “Mario”, Federico Carboni, 44enne di Senigallia: “La vita è fantastica, ma la sofferenza è troppa. Orgoglioso di aver scritto un pezzo di storia” https://t.co/SICjfPiGNnExterner Link
— Associazione Luca Coscioni (@ass_coscioni) June 16, 2022Externer Link
Dies sei der erste Fall von ärztlich assistiertem Suizid in Italien, seit das italienische Verfassungsgericht 2019 die Tür für eine solche Praxis geöffnet hat, so eine lokale Organisation von Verfechtern des Rechts auf Sterben.
New South WalesExterner Link ist der letzte Bundesstaat in Australien, der den assistierten Suizid seit kurzem ebenfalls zugelassen hat. Das Gesetz wurde im Mai verabschiedet. Sobald es in Kraft tritt, was bis zu 18 Monate dauern kann, wird es unheilbar kranken Erwachsenen auch dort erlaubt sein, ihr Leben zu beenden.
Im selben Monat wurde auch in Kolumbienein bahnbrechendes Urteil gefälltExterner Link. Es war das erste lateinamerikanische Land, dessen Verfassungsgericht den ärztlich assistierten Suizid befürwortete.
Auch in Europa
Auch Europa folgt dem Trend. Im benachbarten ÖsterreichExterner Link können Patient:innen, die an unheilbaren Krankheiten leiden, seit Januar den assistierten Suizid wählen.
Österreichs Schritt erfolgte, nachdem der Verfassungsgerichtshof des Landes im Jahr 2020 entschieden hatte, dass das Verbot des assistierten Suizids gegen das Selbstbestimmungsrecht verstösst. Das Gesetz beschränkt den Zugang zu dieser Praxis auf Personen über 18 Jahren.
Auch Spanien hat im vergangenen Jahr das «Recht auf Sterben» legalisiert, trotz starkem Widerstand rechter Parteien und der katholischen Kirche. Das Land ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat die direkte aktive Sterbehilfe ebenfalls legalisiert.
Während bei der Suizidhilfe die Patient:innen selbst eine tödliche Dosis eines Medikaments einnehmen müssen, um zu sterben, können Ärzt:innen bei der direkten aktiven Sterbehilfe den Patienten das Medikament injizieren. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Patient mit gelähmten Gliedmassen, der nicht in der Lage ist, selbst eine Infusion zu öffnen, sein Leben beenden lassen kann.
Strenge Regeln
Mehr als 10 Länder und Gerichtsbarkeiten haben die Beihilfe zum Suizid inzwischen erlaubt. Direkte aktive Sterbehilfe ist in den Niederlanden, Luxemburg, Belgien, Kanada, Kolumbien und Spanien erlaubt.
Allerdings müssen die Patient:innen hohe Hürden überwinden, um eine solche Hilfe zu erhalten. In den meisten Ländern ist die ärztlich assistierte Selbsttötung auf Erwachsene beschränkt, die an einer unheilbaren Krankheit leiden. Nur die Niederlande und Belgien gewähren auch Minderjährigen das «Recht auf Sterben».
Auch die Suizidbeihilfe für psychisch Kranke ist stark eingeschränkt. Dies liegt daran, dass eine Psychose nicht als unmittelbar lebensgefährdende Krankheit angesehen wird und in vielen Ländern die Urteilsfähigkeit eine Voraussetzung für den assistierten Suizid ist. Ab 2023 wird Kanada eines der wenigen Länder sein, die den ärztlich assistierten Suizid für psychisch Kranke erlauben.
Schweizer Engagement
Die «Recht-auf-Sterben»-Kampagnen und die öffentliche Meinung haben diesen wachsenden Trend vorangetrieben.
Eine in Spanien zwei Jahre vor der Legalisierung durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass dort eine Mehrheit die Suizidhilfe befürwortet, obwohl das Land von einem starken katholischen Glauben geprägt ist, der Selbstmord tabuisiert.
Dignitas, eine Schweizer Suizidhilfe-Organisation, hat ein gewisses Verdienst daran, dass andere Länder ihre Praxis oder ihre Gesetze angepasst haben. Einerseits bietet die in Zürich ansässige Organisation Rechtshilfe im Ausland an, insbesondere in deutschsprachigen Ländern.
Andrerseits geht die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichts auf eine Beschwerde zurück, die Dignitas über eine Wiener Anwaltskanzlei eingereicht hatte. Darin wurde die Verfassungswidrigkeit der geltenden strafrechtlichen Bestimmungen zur Suizidhilfe beanstandet.
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Wie Dignitas im Ausland für Sterbehilfe missioniert
Dignitas stand auch hinter einem Leiturteil, das vor zwei Jahren in Deutschland erging. Damals entschied das Bundesverfassungsgericht, dass ein Verbot der professionellen Beihilfe zum Suizid gegen die deutsche Verfassung verstösst. Der Fall wurde von Dignitas und der in Hannover ansässigen Organisation «Dignitas Deutschland» angestrengt.
Letztes Jahr hat Dignitas auch in Frankreich eine ähnliche Klage eingereicht. Die Entscheidung des Gerichts wird in Kürze erwartet.
Für Dignitas ist das Anbieten von Rechtshilfe im Ausland eine ihrer Hauptaufgaben. Laut ihrer Webseite ist ihr wichtiges Ziel, die Legalisierung des assistierten Suizids weltweit zu fördern, damit Patient:innen nicht mehr in die Schweiz reisen müssen. Dignitas zielt auch darauf ab, der das assistierte Suizid dereinst im Gesundheits- und Sozialwesen implementiert und als medizinische Dienstleistung für alle zugänglich ist.
Der Anstoss dazu müsse aber im Land selbst entstehen, sagte das Dignitas-Team im Jahr 2018 gegenüber swissinfo.ch: «Die Initiative zur Veränderung geht grundsätzlich von Personen und Organisationen in den jeweiligen Ländern aus.»
In den meisten Ländern immer noch ein Tabu
In den meisten Ländern sind assistierter Suizid und Direkte aktive Sterbehilfe jedoch nach wie vor ein Tabu.
Im vergangenen November verabschiedete das portugiesische Parlament ein Gesetz, das Suizidhilfe für Menschen mit unheilbaren Krankheiten und schweren körperlichen Behinderungen legalisiert. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa legte jedoch sein Veto gegen das Gesetz ein.
Das Parlament hat erneut einen Vorschlag zur Legalisierung der Direkte aktive Sterbehilfe verabschiedet, aber es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis er umgesetzt wird.
Der Widerstand der Kirchen ist nach wie vor gross. Anfang Februar verurteilte Papst Franziskus den assistierten Suizid als inakzeptable Abweichung von der medizinischen Ethik. «Wir müssen den Tod begleiten, ihn nicht provozieren und auch nicht jede Art von Selbstmord unterstützen», sagte er.
In arabischen und asiatischen Ländern ist der assistierte Suizid weiterhin ein Tabuthema, hauptsächlich aufgrund religiöser und kultureller Hintergründe.
1942 nahm die Schweiz eine Bestimmung in ihr Strafgesetzbuch auf, die besagt, dass «bestraft wird, wer aus selbstsüchtigen Beweggründen einen anderen zur Selbsttötung veranlasst oder ihm dabei hilft», womit die «nicht-selbstsüchtige» Beihilfe zum Suizid erlaubt wurde.
Direkte aktive Suizidhilfe ist aber in der Schweiz verboten.
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