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Mit Schweizer Hilfe in Deutschland sterben

Ein Bett, ein Tisch und ein tödlicher Cocktail
Das Sterbezimmer der Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas in Zürich. Keystone

Mit tödlichen Mitteln aus der Schweiz zuhause in Deutschland selbstbestimmt aus dem Leben scheiden: So will der Hamburger Sterbehelfer Roger Kusch das restriktive deutsche Sterbehilfe-Gesetz umgehen.

Der seit Dezember 2015 geltende Paragraph 217 stellt die «geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung» in Deutschland unter Strafe. Seine Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag war auch eine Reaktion auf Kuschs umstrittenen Verein «Deutsche Sterbehilfe» und die ihm vorgeworfene Kommerzialisierung des Freitods.

Zuvor hatte die Organisation des ehemaligen Hamburger Justizsenators jährlich rund 100 Menschen in Deutschland in den Freitod geholfen. Geschäftsmässig handelt nach dem Gesetz nun jeder, der wie Kuschs Verein mehr als ein Mal beim Suizid assistiert.

Aber auch Ärzte befürchten, belangt werden zu können. Die meisten weigern sich seither wie Kusch aus Furcht vor bis zu drei Jahren Gefängnis, den letzten Wunsch ihrer Patienten zu erfüllen. Denen bleibt nur noch die Reise in die Schweiz.

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Der 71-jährige schwerkranke Helmut Feldmann verfolgte damals erschüttert die Entscheidung der Parlamentarier. «Ich kann nicht akzeptieren und respektieren, dass in Deutschland nicht möglich ist, was in der Schweiz legal ist», sagt er.

Der Dortmunder leidet an einer besonders schweren Form der Lungenkrankheit COPD. Feldmann weiss, dass er am Lebensende wahrscheinlich qualvoll ersticken wird, so wie seine Schwester vor einigen Jahren. «Es war grauenvoll.» Er will daher aus dem Leben scheiden, wenn er den Zeitpunkt für gekommen hält. «Wenn ich nur noch auf dem Sofa sitzen kann und kaum noch Luft bekomme», sagt, er, dann sei es soweit.

Mit zwölf anderen Parteien legte Feldmann Beschwerde gegen das Sterbehilfegesetz beim Bundesverfassungsgericht ein. Stellvertretend für viele andere, wie er sagt. Doch das Oberste Gericht in Karlsruhe lässt sich seit mehr als zwei Jahren Zeit mit seiner Reaktion.

Im eigenen Bett sterben

Roger Kusch, dessen Verein in Deutschland derweil die Hände gebunden sind, hat nach eigenen Aussagen keine Geduld mehr, länger auf eine Entscheidung zu warten. Er wolle, dass Deutsche in ihrem eigenen Bett selbstbestimmt sterben können, sagt er. Möglich machen soll das folgender Kniff:

Kuschs Schweizer Ableger seines Sterbehilfe-Vereins änderte im Januar seine Statuten. Damit ist nun eigenständig und eine Schweizer Anlaufstelle für deutsche Suizidwillige. Allerdings müssen diese in der Schweiz Mitglied werden und in Zürich eine Begutachtung durchlaufen. Sobald sie dort grünes Licht erhalten, können sie wieder nach Hause reisen.

Im Gepäck die Gewissheit, dass eine ausgewählte Vertrauensperson in Zürich einen tödlichen Cocktail abholen kann, sobald das Vereinsmitglied zuhause aus dem Leben scheiden möchten. So kann der Suizidwillige in der eigenen Wohnung sterben und muss dazu nicht in die Schweiz reisen.

Ein Mann lächelt in die Kamera
Umstrittene Figur in Deutschland: Roger Kusch, Alt-Justizsenator und Sterbehelfer, will via Schweiz das restriktive deutsche Sterbehilfe-Gesetz umgehen. Keystone

Da das tödliche Mittel in der Schweiz an eine Vertrauensperson ausgehändigt wird, umgeht Kuschs Verein den Tatbestand der geschäftsmässigen Suizidhilfe. Denn nicht mehr Kuschs Helfer überreichen wie früher in der gewählten Stunde in Deutschland den Becher, sondern eine private Bezugsperson. Bleibt es bei diesem einen Mal, in dem beispielsweise eine Tochter den Wunsch ihrer Mutter erfüllt, geht diese straffrei aus. Erst die Wiederholung wäre ein Gesetzesbruch.

«Borniertheit der Politik»

Nach seinem jüngsten Vorstoss halten sich Kuschs zahlreiche Gegner in Deutschland – von den Kirchen über das Parlament und dem Deutschen Ethikrat bis zur Bundesärztekammer – auffällig zurück. Ganz als wollten sie dem Enfant terrible keine Plattform bieten. «Ich habe bisher kaum Reaktionen erhalten», sagt Kusch.

Auch die «Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben» (DGHS) will keine Kritik an ihm üben. Man kämpft gegen den gleichen Feind: den Sterbehilfe-Paragraphen.

Seine Organisation tue alles, um die Sterbehilfe in Deutschland nach Schweizer Vorbild zu liberalisieren, so sagt auf Anfrage DGHS-Präsident Professor Dieter Birnbacher. «Es ist ein Zeugnis der Borniertheit der deutschen Politik, dass sie Schwerkranke zu einer für sie zumeist beschwerlichen Reise in die Schweiz zwingt, wenn sie selbstbestimmt und in humaner Weise sterben wollen.»

Es geht um den selbstgewählten Ort des Sterbens und auch darum, wer sich unter der jetzigen Rechtsprechung den unterstützten Suizid überhaupt leisten kann. Helmut Feldmann zahlte 2015 einmalig 1000 Euro für seine lebenslange Mitgliedschaft in Kuschs deutschem Verein.

Doch der kann ihm unter der derzeitigen Rechtslage ja derzeit nicht helfen. Also müsste Feldmann in den Schweizer Verein überwechseln, um Kuschs neues Angebot in Anspruch zu nehmen. Während einer einmonatigen Übergangsfrist ist dieser Übertritt für 600 Euro möglich, sagt Kusch.

600 Euro muss auch jedes der derzeit 300 Schweizer Vereinsmitglieder automatisch mit der Vereinsumwandlung entrichten, sagt Kusch. Das ergibt stattliche 180’000 Euro, die laut Kusch für den anstehenden Aufwand benötigt werden. Ab März kostet die lebenslange Vereinsmitgliedschaft dann für jedes neue Mitglied stattliche 9000 Euro. Eingeschlossen aller Gutachten und der Begleitung in den Tod.

Wenn der Tod zu teuer ist

Zwei Gruppen, so Kusch, könne er mit der Schweizer Umwegs-Lösung nicht helfen. Jenen Einsamen ohne Begleitperson, denn die muss am Ende das Mittel in Zürich abholen, sowie jenen, die nicht mehr schlucken können, ergo den Todescocktail nicht trinken können.

Eine Gruppe hat er vergessen: Jene, für die der selbstbestimmte Tod zu teuer ist. Wie für Helmut Feldmann. Der 71-Jährige lebt von einer bescheidenen Erwerbsunfähigkeits-Rente: «Ich kann das nicht so einfach bezahlen und die Reise in die Schweiz zur Begutachtung kostet ja auch Geld.

Gegen den Willen von drei Vierteln der Bevölkerung verabschiedete der Deutsche Bundestag in November 2015 folgenden Gesetzesentwurf:

«Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmässig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmässig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.»

Damit sind professionellen Sterbehelfern wie Roger Kusch die Hände gebunden. Der Paragraph 217 wird allerdings von vielen Seiten als zu weitgehend kritisiert. Daher wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die eingereichten Beschwerden mit Spannung erwartet. Unter den Klägern sind auch Ärzte, die sich in der Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden behindert sehen.

Zudem müsste er seine Tochter in dieses Modell einbinden. Sie wäre es wohl, die ihm dann das Mittel eines Tages aus Zürich holen und reichen müsste. Beide stehen sich sehr nah, sie leide unter der Aussicht, ihrem Vater dabei helfen zu sollen, aus dem Leben zu scheiden, sagt Helmut Feldmann. «Wir überlegen noch, was wir nun tun.» Ihn erzürnt, dass sogar der selbstbestimme Tod eine Frage des Geldbeutels ist, will aber Kusch keinen Vorwurf machen. 

So wäre es ihm auch viel lieber, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht den Paragraphen 217 wieder einkassieren und die Hilfe zum Suizid damit auch wieder im medizinischen Kontext möglich machen würde. Seine Ärztin hat sich bereit erklärt, ihm in diesem Fall bei seinem Wunsch zur Seite zu stehen.

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