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«Swiss Miss»: Das Blog war ihre Startrampe

Laurent Burst

Ihr Design-Blog "swissmiss" startete sie 2005 in New York City. Danach wurde Tina Roth Eisenberg stets vom eigenen Erfolg überrollt. Von Brooklyn aus führt sie heute mehrere Unternehmen und ist eine feste Grösse in der internationalen Design-Szene. Sie ist die erste Digitalpionierin, die wir in unserer Serie porträtieren.

Vom Appenzellerland zog es sie vor 20 Jahren für ein Grafik-Praktikum nach New York. Und sie kehrte nie wieder ganz zurück. Bis heute ist sie die erfolgreichste Schweizer Bloggerin. Eine «Swiss Miss» ist Tina Roth Eisenberg aus Speicher AR aber geblieben, auch wenn sie längst ein Star der New Yorker Kreativszene ist. Neben ihrer Arbeit als Webdesignerin begann sie 2005 mit ihrem Blog «swissmissExterner Link«. «Es gab damals kein Pinterest, kein Tumblr, kein Instagram», sagt sie – und fügt an: «Mein Blog hat mir sehr viele Türen geöffnet.»

Als ihr Gesicht an diesem Donnerstagabend in meinem Skype-Fenster auf dem Bildschirm erscheint, wirkt ihre gute Laune sogleich wieder ansteckend. Ihre herzliche Begeisterungsfähigkeit war schon vor fünf Jahren das erste, was mir entgegenstrahlte. Ich besuchte sie damals in Brooklyn in ihrem Design-Studio in einem alten Industriegebäude. Sie hatte dort 2008 mit «StudiomatesExterner Link» den ersten Co-Working-Space der Stadt gegründet. 

Sie spricht schnell und wirkt überbordend optimistisch. Klar, dass die Schweiz zu klein und mutlos war für diese Persönlichkeit, die Kreativität und Enthusiasmus geradezu versprüht, dachte ich, als sie mir die liebevoll gestalteten Räumlichkeiten ihrer Kreativfirmen zeigte. Inzwischen ist sie mit ihren Firmen innerhalb von Brooklyn umgezogen.

Externer Inhalt

Firmen als Herzensangelegenheiten

Mit weissen Kopfhörern in den Ohren strahlt sie mir entgegen, dahinter sehe ich per Webcam dass auch die neuen Räumlichkeiten schlichte Ästhetik mit Industriecharme verbinden. Ihr zweiter Co-Working-Space heisst «Friends Work HereExterner Link» und ihre drei weiteren Firmen befinden sich auf zwei Etagen. Für Tina Roth Eisenberg sind es jedoch nicht einfach Firmen, es sind Herzensangelegenheiten. Sie nennt sie «labors of love».

Wie wurde aus einer Appenzeller Designerin in New York eine Digitalpionierin?

Ihr Design-Blog «swissmiss» war von Anfang an mit Abstand das populärste Schweizer Blog. Von da aus ist alles weitere entstanden. Bereits ihre Mutter führte ein grosses Geschäft mit vielen Angestellten. Sie habe allerdings erst später verstanden, dass es in ihrer Kindheit eher aussergewöhnlich war, dass eine Frau und Mutter gleichzeitig eine «Badass Business Lady» war. Und ihr Vater war «Mister Macintosh.» Sie erzählt, wie er schon 1984 mit einem kleinen Apple-Computer nach Hause kam. Er arbeitete damals als Immobilien-Makler und vertrat in St. Gallen die schönsten Räumlichkeiten. Die Firma Apple war ganz neu in der Schweiz: «Herr Roth, wenn Sie uns diesen Raum vermieten, dann bekommen Sie einen Macintosh SE.» Früher hatte der auf DOS-Maschinen programmiert. Er gründete eine Mac-Schule und das erste Mac-Magazin der Schweiz.

«Das Web war meine Welt»

Die ersten Jahre in New York City arbeitete Tina Roth Eisenberg als Webdesignerin in Agenturen, bevor sie nebenbei zu bloggen begann. «Das Web war meine Welt. Ich war auch früh auf Twitter und in der Design-Welt gut vernetzt. Dadurch füllte ich die Tische für meinen ersten Co-Working-Space rasch und zog auch Grössen der Webdesign-Welt an.» Ungeplant entstand dadurch ein kreativer Hub für Web, Design und Innovation, in dem auch Leute aus Technologiefirmen ein- und ausgingen.

Co-Working
Julia Robbs

Mit ihren zwei schulpflichtigen Kindern lebt sie heute in Brooklyn. Wer ihr auf InstagramExterner Link folgt, glaubt auch ihre zwei Kinder zu kennen. Vom amerikanischen Vater ihrer Kinder ist sie inzwischen «glücklich geschieden». Sie fuhren soeben zu viert gemeinsam in die Skiferien.

Macht sie sich keine Sorgen, wenn alles von ihr im Netz ist, auch ihre Kinder und ihr Privatleben? In der Schweiz gilt die Norm der Zurückhaltung und wer die eigenen Kinder auf Social Media präsentiert, wird oft kritisiert. Hat sie sich dem offenherzigen Umgang mit Privatem in den USA angepasst oder ist das eher ihre Persönlichkeit? «Ich bin so. Ich bin auch als Chefin so. Ich bin einfach Tina. Es gibt keine Fassade.» Sie erzählt, dass ihr New Yorker Ex-Mann es anfangs schlimm fand, dass sie Bilder der Kinder auf Instagram gestellt habe. «Wir hatten endlose Debatten.» In dieser Hinsicht sei er «der Schweizer». Sie lacht. «Inzwischen frage ich meine Kinder aber immer, ob ich Bilder von ihnen posten darf, und sie sagen auch manchmal nein.»

«Die Events waren immer voll»

Als Tina Roth Eisenberg nach New York City kam, hatte sie kein Geld, um an teure Events zu gehen und Kreative zu treffen. Darum gründete sie «Creative MorningsExterner Link«, ihre inzwischen grösste Firma. Mit kostenlosen Events wollte sie anfangs einmal im Monat inspirierende Persönlichkeiten aus der New Yorker Kreativwirtschaft zusammenbringen. Es gab jeweils Frühstück und einen inspirierenden Talk. «Während zwei Jahren nutzte ich nur das Blog, um die CreativeMornings-Events in New York anzukündigen und die Events waren immer voll.»

Inzwischen organisieren 1’500 Freiwillige in 65 Ländern und 200 Städten monatliche CreativeMornings. Jeden Monat kommen 20’000 Kreative gratis zusammen. Grosse Technologiefirmen wie Adobe und Mailchimp sind Sponsoren. Damit ist Creative Mornings Tina Roth Eisenbergs grösste Firma. Sie plant die nächsten 10 Jahre beruflich darauf zu fokussieren. Sie plant das Angebot von den monatlichen grossen Events auf zusätzliche Kreativworkshops auszubauen.

Das Blog macht vieles möglich

Ihre ToDo-App «TeuxDeuxExterner Link» ist im Co-Working-Space entstanden, als Tina Roth Eisenberg sich beschwert hatte, dass ToDo-Apps zu viele Features haben. Der Kollege nebenan sagte: «Tina, designe es, ich baue es dir.» In 48 Stunden war es gebaut. «2010 haben wir es als Gratis-Webseite gelauncht und ich habe es auf meinem Blog verkündet. Der Kollege war nach einigen Stunden grün im Gesicht, da es gegen 100’000 Anmeldungen gab und der Server kurz vor dem Crash stand.» Alle grossen Tech-Blogs hatten TeuxDeux gefeiert. Inzwischen kostet die Nutzung ein paar Dollar pro Jahr, um die Kosten der Server-Maintenance zu decken.

Eine Frau im Büro
Julia Robbs

Ihrer Tochter habe sie die Firma «TattlyExterner Link» zu verdanken, sagt sie. Die schlecht designten Abziehtattoos, die sie ihrer Tocher auf die Kinderhaut zu kleben half, inspirierten sie, mit bekannten Illustratoren schöne temporäre Tattoos zu kreieren. Auch dies, sagt sie, wäre ohne Internet so nicht möglich gewesen: «Dass ich so viele Blog-Besucher und Twitter-Follower hatte, das war der Schlüssel zum Erfolg.» Heute kann man Tattly-Tattoos im New Yorker Museum of Modern Art und auch in der Schweiz vielerorts kaufen.

Trotz ihrer ausgeprägten digitalen Affinität freut sie sich, dass ihre Heimatgemeinde Speicher AR ihr weiterhin Wahl- und Abstimmungsunterlagen auf Papier per Post nach New York City schickt. Würde sie es begrüssen, digital abstimmen zu können? «Nein», sagt sie. Sie ist zwar durch und durch digital, aber E-Voting traut sie nicht, auch wegen der Erfahrungen, die man in den USA damit macht.

Arbeit am neusten Baby

Kommt sie noch zu Schlaf, wenn sie fast immer online ist? «Ich werde nie ganz offline gehen, es macht mir ja auch so viel Spass und ist Teil meines Brands.»

Aber tatsächlich möchte sie ihre Online-Zeit reduzieren. Am Morgen erlaubt sie sich nicht mehr, als erstes aufs Phone zu schauen. «Ich stehe morgens meist eine Stunde vor meinen Kindern auf, zwischen halb 5 und 6 und sitze einfach eine halbe Stunde auf der Couch, bevor ich online gehe. Das macht einen grossen Unterschied.»

Eine Frau mit Bild
Laurent Burst

Viele fragen sie, ob sie das Designen nicht vermisse. Sie antwortet dann: «Ich designe weiterhin, aber inzwischen halt Firmenkonzepte und Teams.» Webdesign liegt ihr aber immer noch am Herzen. Die Tattly-Website haben sie gerade neu gelauncht und bei CreativeMorning wird viel umgebaut. Aber nebenbei arbeitet sie gerade fleissig am neusten digitalen Baby: «CreativeGuildExterner Link«. Sie erinnert sich, wie schwer es anfangs war, in New York einen Job zu finden. «Darum bauen wir jetzt dieses Netzwerk für Kreativ-Firmen – eine Art LinkedIn mit Herz». Das ist eine grosse Kiste. «Eigentlich völlig crazy, aber wir schaffen das schon irgendwie», sagt sie und lacht wieder herzhaft.

Ihr Blog sollte ihr einst als visuelles Archiv dienen. Daraus sind ungeplant mehrere Firmen entstanden, die ohne digitale Vernetzung so nicht möglich gewesen wären. Co-Working gilt heute als trendige Arbeitsform der digitalen Arbeitswelt: Bereits vor 11 Jahren gründete sie den ersten Co-Working-Space in New York City. Dank Hingabe und Internet hat Tina Roth Eisenberg mit Creative Mornings die globale Vernetzung der Kreativwirtschaft konsequent zum Erfolg geführt.

In der Serie SWISS DIGITAL PIONEERS porträtiert SWI swissinfo.ch interessante Schweizer Persönlichkeiten im Ausland oder mit internationaler Ausstrahlung, die früh das Potenzial des Internets erkannt haben und es für ihre Tätigkeiten erfolgreich genutzt haben. Die Autorin Dr. Sarah GennerExterner Link ist Medienwissenschaftlerin und Digitalexpertin. 2017 erschien ihr Buch ON | OFF.

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