Tag 1: Die Spiele beginnen!
Schon seit frühster Jugend ist der Fussball-Literat Wolfgang Bortlik ein Fan des runden Leders. Deshalb fiebert er auf die heute in der Schweiz und Österreich beginnende Fussball-Europameisterschaft 2008 hin.
«Für mich beginnt nun eine strenge Zeit, denn als Fussballfan muss ich einerseits die Spiele verfolgen und als Fussball-Literat bin ich auch noch an diversen Veranstaltungen unterwegs», erklärt Wolfgang Bortlik gegenüber swissinfo.
Trotz der Mehrarbeit freut sich der Autor von «Hopp Schwiiz. Fussball in der Schweiz oder die Kunst der ehrenvollen Niederlage» auf diese Zeit. «Ich war ja schon immer Fussballfan und bei mir spielt der Fussball auch literarisch eine Rolle, und so finde ich es toll, wenn das jetzt so gut zusammen geht.»
Für den 1952 in München geborenen und auf dem Land lebenden Bortlik war der Fussball wie ein Tor zur Welt. «Als ich das erste Mal im Stadion war, habe ich gar nicht geglaubt, dass es so viele Menschen gibt, weil ich in einem Bauerndorf aufgewachsen bin.»
Wäre er gern Profifussballer geworden? «Nein, absolut nicht. Da war ich zu schlecht. Mir war klar, dass meine Schnelligkeit nicht ausreicht, dass ich auch zu faul bin.»
Schweizer oder Deutscher?
Wolfgang Bortlik ist Deutscher, wohnt aber «seit ewig langer Zeit in der Schweiz». Für wen schlägt nun sein Fussballerherz, für die eidgenössische oder die deutsche Nationalelf? «Ich helfe dem Land, das mir seit Jahrzehnten Heimat ist.»
Die Schweiz gilt nicht als Top-Favoritin für den EM-Titel. Bortlik tippt da eher auf Deutschland. «Aber ich denke, wenn sich die Schweiz auf ihre Stärken besinnt, und nicht schon von vornherein die Flinte ins Korn wirft. Wenn sie selbstbewusst ans Werk geht, dann kann sie an dieser Euro schon was erreichen. Vor vier Jahren hätte auch niemand gedacht, dass Griechenland Europameister wird.»
Wer wird Europameister?
Um in Richtung Spitze zu gelangen, müssen Köbi Kuhns Mannen erst einmal das heutige Eröffnungsspiel gegen Tschechien gewinnen. Bortlik: «Es wird ein schwieriges Spiel, die Tschechen sind nicht wesentlich schwächer als vor vier Jahren, als sie für Furore sorgten. Die Schweizer können hoffentlich ihr Niveau von 2006 halten und dann könnten sie auch gewinnen.»
Nicht ausser Acht lassen dürfe man übrigens den Heimvorteil der Schweizer. «Das Publikum könnte wirklich der zwölfte oder sogar der dreizehnte Mann der Mannschaft sein.»
Jede der 16 beteiligten Mannschaften könnte laut Bortlik die Überraschung schaffen. «Das ist das Schöne am Fussball: Er ist eine Kunstform der Überraschung, da man nie weiss, wie es ausgeht, dass man 90 Minuten lang bangt, und in der 91. Minute passiert noch etwas Entscheidendes. Das ist das Faszinierende daran.»
Fussball als Lebensschule?
Vom Fussball kann man sehr viel lernen, ist der Fussball-Literat überzeugt. «Nur schon das Kollektive, elf Mann, die zusammenspielen, dass man ein Team ist, dass man nur zusammen etwas erreicht und dass auch der Star sich anpassen muss, das sind wichtige Lehren.»
Weiter sei Fussball auch als gesellschaftliches Phänomen sehr wichtig geworden. Er denkt dabei an die Schweiz als Einwanderungsland, die Integrationsarbeit, die auch die kleinen Fussballclubs mit ausländischen Jugendlichen leisten. Das dürfe man nicht unterschätzen.
«Viele der Spieler, die heute die Nationalmannschaft bestücken, sind Secondos. Das sind Nachkommen von politischen Flüchtlingen, von Wirtschaftsemigranten.»
Fussball aber sei auch innerhalb der Schweiz integrativ. Vom Röstigraben rede man beim Fussball nicht mehr. «Es war lange Zeit ein Problem im Schweizer Fussball, dass es eine welsche und eine deutschschweizerische Auffassung gab. Das ist jetzt kein Thema mehr. Es gibt eine Nationalmannschaft, ein Identitätsmodell.»
Nach der öffentlichen Rücktrittsankündigung von Stürmer Marco Streller nach dem Testspiel gegen Liechtenstein, weil er vom Schweizer Publikum ausgebuht wurde, geht Bortlik mit dem Schweizerischen Fussballverband hart ins Gericht: «Diese Geschichte mit Streller zeigt vor allem die Schwächen des Verbands. So etwas darf nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Das ist Amateurismus auf höchster Stufe.»
Gigantisches Geschäft
Die Euro 08 wird von vielen Menschen abgelehnt, weil sie sich als gigantisches Geschäft präsentiert, mit dem sehr viel Geld verdient wird. Wolfgang Bortlik versteht diese Bedenken: «Ja, das Geld macht den Fussball irgendwie kaputt. Auch finde ich es lächerlich, was mit den Sponsoren und der UEFA abläuft, dass man in den Fanmeilen zum Beispiel nur eine Biermarke trinken und nur bei einer Restaurantkette essen darf.»
Dies seien die negativen Begleiterscheinungen des globalisierten Fussballs. «Fussball ist ein Musterbeispiel der perfekten Globalisierung. Damit müssen wir uns abfinden.»
swissinfo, Etienne Strebel
Geboren 1952 in München.
1965 Übersiedlung in die Schweiz.
Lebt bei Basel, ist verheiratet und hat drei Kinder.
Arbeitet als Hausmann, hat drei Romane veröffentlicht.
Regelmässige Kolumnen, Gedichte, Literaturkritiken und Songtexte in verschiedenen Publikationen.
Momentan arbeitet er an seinem vierten Roman.
Er spielt Fussball bei den Über-50-Veteranen von BCO Alemannia (Basel) und in der Schriftsteller-Nationalmannschaft der Schweiz (Vize-Europameister 2008).
Weiter amtet er als Aushilfsschlagzeuger in einer Rockband.
Hopp Schwiiz. Fussball in der Schweiz oder die Kunst der ehrenvollen Niederlage. Sachbuch bei Kiepenheuer & Witsch 2008
Heimvorteil. Spoken Word-CD 2008 (zusammen mit Pedro Lenz und Tim & Struppi)
Am Ball ist immer der Erste. Gedichte vom Fussball und so. Limmat Verlag 2006
Hektische Helden. Roman. Limmat Verlag 2002
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