Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Telefon-Dolmetschdienst für den Gesundheitsbereich

Sie können nicht erklären und nicht verstehen? Hilfe finden Sie übers Telefon. Keystone

Immigranten, die keine Schweizer Landessprache sprechen, haben oft besondere Probleme, wenn sie medizinische Hilfe nötig haben. Abhilfe schaffen soll ein Telefon-Dolmetschdienst, der bei Notfällen oder Abklärungen Unterstützung anbietet.

Der Dienst bietet Übersetzungen aus 12 Sprachen in die drei Amtssprachen Deutsch, Französisch und Italienisch an.

Das Pilotprojekt wird von Medios betrieben, einer Fachstelle der Asyl-Organisation Zürich (AOZ), die sich um die soziale und berufliche Integration von Flüchtlingen und anderen Migranten und Migrantinnen kümmert.

Studien haben gezeigt, dass der Gesundheitszustand von Migranten aus verschiedenen Gründen allgemein oft schlechter ist, als jener der einheimischen Bevölkerung.

In der Bundesverfassung wird festgehalten, dass «jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält». Wenn es bei der Kommunikation zwischen Arzt und Patient Probleme gibt, kann diese Vorgabe allerdings unterhöhlt werden.

Mangelnde oder nicht angepasste medizinische Pflege könne auf längere Sicht negative Auswirkungen auf den Verlauf von Krankheiten haben, was längerfristig höhere Kosten nach sich ziehe, heisst es beim Bundesamt für Gesundheit (BAG).

Um dem entgegen zu wirken, können Ärztinnen und Ärzte schon heute die Dienste von interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzern in Anspruch nehmen, die bei Arztbesuchen dabei sind, und die wenn nötig auch Hinweise über Traditionen und Kulturen des Herkunftslandes eines Patienten oder einer Patientin machen können.

Seit 2009 gibt es offizielle Ausbildungsangebote für interkulturelles Übersetzen, die zum Erwerb eines anerkannten Fähigkeitsausweises führen, der in der ganzen Schweiz anerkannt wird.

Telefondienst

 

Spitäler oder andere Institutionen, die den neuen Telefon-Dolmetschdienst nutzen wollen, müssen sich bei Medios registrieren und erhalten einen Sicherheitscode. Danach können sie jederzeit, egal ob Tag oder Nacht, anrufen und sollten, so der Plan, innerhalb von etwa fünf Minuten mit einem Dolmetscher verbunden werden.

«Wir haben ausgerechnet, dass wir pro Sprachkombination jeweils zehn bis zwölf Dolmetscher oder Dolmetscherinnen brauchen. Damit sollten wir 99% Sicherheit haben, dass im Bedarfsfall rasch einer kontaktiert werden kann», erklärt AOZ-Direktor Thomas Kunz gegenüber swissinfo.ch.

Im Vergleich mit interkulturellem Übersetzen vor Ort, sei dies in Spitälern oder beim Arztbesuch in einer Praxis, wird es einige grundlegende Unterschiede geben, zum Beispiel weil der Dolmetscher keine Zeit haben wird, sich auf einen bestimmten Fall vorzubereiten.

«Es ist eine ziemliche Herausforderung, wenn man um halb ein Uhr morgens einen Anruf erhält und von einem Moment zum andern plötzlich dolmetschen muss. Zudem sieht man die Leute nicht», hebt Kunz einen weiteren Unterschied hervor.

Necdet Civkin, schon heute ein erfahrener interkultureller Übersetzer aus dem Türkischen ins Deutsche, lässt sich davon nicht einschüchtern.

«Ich bin bereit, zu jeder Tages- oder Nachtzeit einzuspringen. Das Übersetzen am Telefon dürfte nur je etwa 10 bis 20 Minuten dauern. Man hat zwar keine Zeit, sich vorzubereiten, aber es wird normalerweise auch nicht für komplizierte Fragen sein, also ist es machbar», bekräftigt er gegenüber swissinfo.ch.

Neue Fähigkeiten

 

Sanja Lukic, die Leiterin des AOZ-Fachdienstes Medios, räumt ein, dass dies keine Aufgabe für alle ist. «Gewisse Leute werden nicht ständig auf Abruf bereit stehen wollen, während andere sagen, dass sei etwas für sie.»

Der telefonische Dolmetschdienst ist ein Pilotprojekt. Bei Medios ist man sich klar darüber, dass gewisse Dinge aufgrund der Erfahrungen allenfalls angepasst werden müssen. So könnten zum Beispiel im Bedarfsfall weitere Sprachen das Angebot ergänzen. Medios befasst sich auch mit Plänen, die Ausbildung zum professionellen interkulturellen Übersetzer mit einem Modul für Telefon-Dolmetschen zu ergänzen.

Interkulturelles Übersetzen jeglicher Art verlangt Fähigkeiten, die über die reine Kenntnis einer Sprache hinausgehen.

«Jemand mag in zwei Sprachen fliessende mündliche und schriftliche Kenntnisse haben. Das bedeutet aber noch nicht, dass diese Person auch geeignet ist für das interkulturelle Übersetzen. Es handelt sich um eine spezielle Aufgabe», erklärt Civkin. «Es ist wichtig, wirklich gut hinhören zu können, das was gesagt wird, zu verarbeiten und nach allen Seiten hin vermitteln zu können. Man braucht eine gewisse Intuition, ein Gespür.»

Heikles Gleichgewicht

 

«Die Situation der Person, die übersetzt, hat etwas Paradoxes an sich», erklärt Lukic aufgrund ihrer eigenen Erfahrung als persönliche Dolmetscherin.

«Die Person, die übersetzt, hat einerseits absolute Macht, da sie alles versteht. Andererseits muss man sich darum bemühen, möglichst unsichtbar und unauffällig zu sein. Die Regel ist, dass der qualifizierte Therapeut die Person ist, welche das Gespräch leitet.»

«Man muss ein Gleichgewicht finden zwischen Einfühlungsvermögen und Distanzierung. Es ist nicht gut, zuviel Empathie zu haben, wenn ich aber nur wie eine Maschine funktioniere, wäre dies andererseits ein Zeichen von mangelndem Respekt gegenüber dem Patienten.»

Civkin unterstreicht, dass die Dolmetscher beim Übersetzen so genau wie möglich am Original bleiben müssen. Es sei die Aufgabe des Therapeuten, Folgefragen zu stellen, falls eine Antwort nicht klar sei.

«Türken sagen oft, ‹hah, hah› oder nicken, und der Arzt fragt mich dann, was das bedeute. Ich sage darauf, es könnte sowohl ‹ja› als auch ’nein› sein. Darauf muss der Arzt dann die Person direkt fragen: ‹Was meinen Sie?'»

«Natürlich geht es bei diesen Gesprächen nicht um normale Konversationen», erläutert Kunz. «Es gibt einen bestimmten Grund für das Gespräch. Es geht darum, ein Problem zu lösen.»

Nicht nur Patienten und Therapeuten hätten ein Interesse, sich gegenseitig zu verstehen. Dies sei der Grund, wieso Spitäler aber auch andere Institutionen und Nutzer bereit seien, für solche Dolmetschdienste etwas zu bezahlen, sagt Kunz.

«In den letzten Jahren haben immer mehr Institutionen realisiert, dass sie ihre Aufgabe viel besser und effizienter wahrnehmen können, wenn sie von Anfang an darauf setzen, dass es mit der Kommunikation klappt.»

In der Schweiz leben zurzeit schätzungsweise rund 200’000 Menschen, die keine der vier Landesprachen und auch kein Englisch sprechen.

Dazu kommen zahlreiche Menschen, die sich zwar im Alltag verständigen können, die aber Schwierigkeiten haben, wenn es um komplizierte Gesundheitsfragen geht.

Dies kann eine angemessene Behandlung erschweren oder gar verunmöglichen. Auch kulturelle Unterschiede können die Kommunikation und das Verständnis zwischen Arzt und Patient behindern.

Der nationale Telefon-Dolmetschdienst, der seit dem 1. April 2011 läuft, wird sieben Tage die Woche rund um die Uhr in Betrieb sein. Er soll vor allem von Spitälern, Kliniken, Ambulatorien, Hausarztpraxen sowie in Pflegeheimen genutzt werden, besonders in Notfallsituationen oder für kurze Abklärungen.

Das Angebot umfasst Dolmetscher für die folgenden Sprachen: Albanisch, Arabisch, Italienisch, Kurdisch, Portugiesisch, Russisch, Serbisch-Kroatisch-Bosnisch, Somalisch, Spanisch, Tamilisch, Tigrinya, Türkisch.

Übersetzt wird in die drei Amtssprachen: Deutsch, Französisch und Italienisch.

Das Bundesamt für Gesundheit wird das neue Angebot in der Pilotphase bis Ende 2013 finanziell unterstützen; danach muss der Dienst selbsttragend sein.

Institutionen, die den Dienst nutzen, bezahlen vier Franken pro Minute ab dem Zeitpunkt, zu dem sie mit einem Dolmetscher verbunden sind. Um einen allfälligen Missbrauch des Systems zu verhindern, werden die Institutionen, die das Angebot nutzen registriert und erhalten für den Zugang ein Passwort.

Die Telefonnummer des Dolmetsch-Dienstes ist: 0842 442 442.

Auftrag und Ziel der Asyl-Organisation Zürich (AOZ) ist es, Menschen mit einem Migrationshintergrund bei der sozialen und beruflichen Integration in der Schweiz zu unterstützen. Die AOZ ist eine selbstständige öffentlich-rechtliche Anstalt der Stadt Zürich.

Die AOZ berät Behörden bei der Konzeption und Umsetzung von Massnahmen zur Unterstützung der Integration von Migranten und Migrantinnen. Die AOZ übernimmt auch Berateraufgaben für interessierte Dritte.

Zu den Sprachangeboten von AOZ gehören Deutschkurse, nicht zuletzt solche für Menschen mit bescheidenem Bildungshintergrund.

Über ihre Fachstelle Medios bietet die AOZ durch ihre beruflich qualifizierten interkulturellen Übersetzerinnen und Übersetzer zudem Dolmetscher-Dienste in gegen 70 Sprachen an.

Finanziert wird die Dienstleistung von den Kunden.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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