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Von der Schwierigkeit, das Burka-Verbot umzusetzen

Tessiner Touristiker fürchten, sie könnten wegen dem Burka-Verbot gutbetuchte arabische Touristen verlieren. Keystone

Im September 2013 haben im Tessin zwei Drittel der Stimmenden einer Volksinitiative zugestimmt und damit das Verhüllungsverbot in der Verfassung verankert. Nun zeigt sich aber, dass die Umsetzung des Verbotes mit Schwierigkeiten verbunden ist. Namentlich Tourismus-Kreise wehren sich gegen eine strikte Anwendung der Verfassung.

Eigentlich hätte das Burka-Verbot im Tessin demnächst in Kraft treten sollen. Das Kantonsparlament wird sich im kommenden Dezember mit der Änderung des entsprechenden Gesetzesartikels befassen. Danach läuft die Referendumsfrist. Das Tessin ist der bisher einzige Kanton, in dem die Vollverschleierung gemäss Verfassung verboten ist.

Für die rechtspopulistische Lega handelt es sich um einen «historischen» Entscheid. Die freisinnige Grossrätin Natalia Ferrara Micocci hingegen sagt, es eile nicht mit der Umsetzung: «Das Tragen einer Burka oder einer Nikab stellt nicht wirklich ein Problem dar. Nur sehr wenige Frauen verhüllen sich vollkommen. Man muss allerdings daran erinnern, dass das Verhüllungsverbot auch für Demonstrationen gilt.»

«Die konkrete Umsetzung des Gesetzes wird schwierig sein», räumt Ferrara Micocci ein. «Und man muss das Gesetz vorsichtig gestalten. Wir zählen dabei auch auf die Mitarbeit der Hoteliers und darauf, dass sie ihre arabischen Kunden für das Problem sensibilisieren. Wir werden keine Ausnahmen für Touristen zulassen, denn wir müssen den Volkswillen der Abstimmung umsetzen. Verstösse werden mit Bussen geahndet werden.»

Schlecht für den Tourismus?

«Das Inkrafttreten des Anti-Burka Gesetzes kann zur Folge haben, dass ein Teil der Touristen aus der Golf-Region dem Tessin fernbleiben wird. Das wäre ein Verlust», sagt der Präsident der Tessiner Hoteliers Lorenzo Pianezzi. «Die Kundschaft aus diesen Ländern macht gerade mal 2% aller Touristen aus, aber sie nimmt zu. 2013 zählte das Tessin 32’000 Übernachtungen aus arabischen Ländern. 2014 waren es 40’000 und der Anstieg setzt sich fort. Dazu kommt, dass das mit Blick auf die ausländische Konkurrenz und den starken Franken bedeutende Zahlen sind.»

Keine Diskriminierungen

Die Initiative

Die Initiative wurde im März 2011 mit 11’767 gültigen Unterschriften eingereicht. Initiant war der politische Einzelkämpfer und ehemalige Journalist Giorgio Ghiringhelli. Im Unterstützerkomitee befanden sich auch Frauen wie die ehemalige Tessiner FDP-Staatsrätin Marina Masoni oder die ehemalige SP-Grossrätin Iris Canonica.

Der Initiant liess sich für den Initiativtext von dem Burka-Verbot in Frankreich inspirieren, welches das Parlament im Herbst 2010 verabschiedet hat.

Der ehemalige Tessiner Staatsanwalt Paolo Bernasconi hat bereits angekündet, dass er nach Inkrafttreten des Burka-Verbots eine Klage dagegen einreichen und diese bis ans Bundesgericht und – wenn nötig – bis an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg ziehen werde.

Lorenzo Pianezzi befürchtet, dass Familien, in denen die Frauen eine Burka oder eine Nikab tragen, nicht mehr in sein Hotel kommen werden, wenn das Burka-Verbot zu Tragen kommen wird. «Ich habe in Lugano nie Frauen in Burkas gesehen, einzig ein paar in Nikabs. Persönlich bin ich der Meinung, dass man unterscheiden sollte zwischen Touristen und Leuten, die hier ihren Wohnsitz haben. Es braucht eine gewisse Kulanz. Ich frage mich auch, wie die Polizei kontrollieren kann, wer das Verhüllungsverbot nicht respektiert. Sie müsste zudem im ganzen Kanton Beamten einsetzen, die Englisch oder Arabisch verstehen und sprechen. Ich werde mich davor hüten, meine Kunden vor dieser neuen Massnahme zu warnen. Die Touristen aus der Golf-Region geben im Schnitt 500 Franken pro Tag und Person aus. Das ist weit mehr als die Holländer mit 120 Franken oder die Deutschen mit 170 Franken. Zudem bleiben sie länger im Tessin.»

«Bisher hatten wir keine negativen Auswirkungen wegen der Annahme der Anti-Burka-Initiative», sagt der Direktor von Tessin Tourismus, Elia Frapolli. «Die vollverschleierten Touristinnen stellen eine Ausnahme dar. Wir haben immer mehr Touristen aus den Golf-Staaten. Von Januar bis Juni 2015 hat ihre Zahl um 40% zugenommen.»

Frapolli räum ein, dass langfristig das Risiko bestehe, dass das Gesetz die «konstante Zunahme dieser interessanten Kategorie Besucher» bremsen werde, da sie «andere Destinationen wählen könnten».

Der junge Direktor weiss noch nicht, «wie das Verbot konkret umgesetzt wird. Wir erwarten, dass uns die Polizei erklärt, wie die Modalitäten aussehen werden und welche Sanktionen vorgesehen sind. Sobald wir mehr wissen, werden wir die Bestimmungen den Reisebüros transparent kommunizieren. Dabei werden wir auch darauf hinweisen, dass es bei der Norm nicht um Diskriminierungen geht. Es muss uns gelingen, die Botschaft herüberzubringen, dass das Tessin eine gastfreundliche Destination ist und es auch bleiben wird.»

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