Rassentheoretiker Louis Agassiz macht einer Farbigen Platz
Der Louis Agassiz-Platz der Universität Neuenburg heisst neu Tilo Frey-Platz. Die Stadtverwaltung zieht eine engagierte Politikerin einem offen rassistischen Wissenschaftler vor.
Tilo Frey stellt Louis Agassiz in den Schatten: Die Stadt Neuenburg hat entschieden, dem Platz vor dem Gebäude der Geisteswissenschaften einen neuen Namen zu geben. Eine engagierte Politikerin soll dadurch Wertschätzung erhalten – lieber als ein Wissenschaftler, der an Rassentheorien glaubt. Der Entscheid ist umstritten und lässt die Frage nach unserem Umgang mit historischen Persönlichkeiten aufkommen. Erklärungen.
Wer ist Louis Agassiz?
Geboren 1807 in Môtier im Kanton Freiburg, studierte Louis AgassizExterner Link Medizin und Naturwissenschaften in Zürich und Deutschland. Er lehrte an den Universitäten Neuenburg und Harvard in den USA. Agassiz ist vor allem bekannt für seine Forschungen über Fische, Fossilien und Gletscher.
Warum ist der Wissenschaftler umstritten?
Als Agassiz 1846 in die USA auswanderte, bekräftigte er seine Abneigung gegen Afroamerikaner. Er wurde einer der Hauptgegner von Darwins Evolutionstheorie. Er stützte sich auf die Idee, dass Schwarze und Weisse getrennt voneinander geschaffen wurden, um seine Theorie einer Hierarchie von Rassen zu entwickeln.
Agassiz hielt Schwarze für minderwertig. Er verteidigte entschieden das Prinzip der Rassentrennung und empfahl den Behörden, die für Weisse reservierten Zonen klar von denen für Schwarze zu trennen. Seine Thesen wurden denn auch verwendet, um die Etablierung einer systematischen Rassentrennung in den USA zu rechtfertigen.
Wieso machte die Universität Neuenburg von seinem Namen Gebrauch?
Fast 80 Orte auf der Welt tragen den Namen Louis Agassiz. Seine brillanten naturwissenschaftlichen Forschungen standen lange im Vordergrund. Allmählich entdeckten Historiker die dunklen Seiten des Wissenschaftlers. Anlässlich seines 200. Geburtstags 2007 informierten sie die breite Öffentlichkeit.
Der St. Galler Historiker Hans Fässler gründete daraufhin ein internationales KomiteeExterner Link mit dem Namen «Démonter Louis Agassiz», dessen Ziel es ist, die nach dem Wissenschaftler benannten Orte umzubenennen, um ein klares Signal gegen Rassismus zu setzen.
Fässler lancierte eine PetitionExterner Link, in der er Bundes- und Kantonsbehörden bat, das Agassizhorn zwischen den Kantonen Bern und Wallis in Rentyhorn umzubenennen. Dem Vorhaben wurde keine Folge gegeben. In seiner Antwort auf eine InterpellationExterner Link zum Thema schrieb der Bundesrat 2007, dass die durch den Namen Agassizhorn zugestandene Auszeichnung nicht im Widerspruch stehe, «zu einer kritischen Auseinandersetzung mit seinen rassistischen Ansichten».
Warum sorgte der Entscheid Neuenburgs für eine Polemik?
Zahlreiche Historiker und Politiker finden, dass Geschichte nicht ausgelöscht, sondern kontextualisiert werden sollte. Das tat die Gemeinde Lausanne: Sie befasste sich im letzten Jahr mit einer Strasse, die den Namen Louis Agassiz trägt – und entschied sich gegen eine UmbenennungExterner Link. Stattdessen wurde eine Erklärungstafel errichtet, um die Öffentlichkeit über die rassistischen Theorien des Wissenschaftlers zu informieren.
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Die Neuenburger BehördenExterner Link zogen es vor, dem Wissenschaftler in der Öffentlichkeit weniger Raum zu geben. Das Ansehen der Universität soll nicht gefährdet werden, indem sie mit einer so umstrittenen Figur in Verbindung gebracht wird.
Die Mehrheit des Parlaments unterstützte den Beschluss. Doch gibt es auch zahlreiche Parlamentarier, welche die Auslöschung dieser wichtigen Persönlichkeit in der Geschichte der Neuenburger Hochschullandschaft verurteilen. Sie befürchten, der Entscheid könnte zu weiteren Änderungen von Ortsnamen in der Stadt führen. Einige bedauern zudem, dass die Wertschätzung der Politikerin Tilo Frey durch die Kontroverse um Agassiz überschattet werde.
Wer ist Tilo Frey?
Tilo Frey, 1923 in Kamerun geboren, besuchte die Schule im Kanton Neuenburg, wo sie als Professorin an der Business School und später als Direktorin der Berufsschule für Mädchen tätig war. Als Mitglied der FDP war sie die erste Neuenburgerin und die erste 1971 in den Nationalrat gewählte schwarze Frau, wo sie die Rechte der Frauen und die Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern verteidigte.
Die Stadt Neuenburg hat beschlossen, ihr für ihr Engagement und ihre Vorreiterrolle bei der politischen Emanzipation von Frauen und Minderheiten zu danken.
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