Appell aus Russlands Arktis an Schweizer Banken
Schweizer Banken sind nicht die offensichtlichsten Verbündeten indigener Gemeinschaften, die im hohen Norden Russlands um ihr Überleben kämpfen. Der finanzielle Einfluss dieser Banken könnte multinationale Konzerne aber dazu bringen, ihre Geschäftspraktiken zu ändern, argumentieren Menschen aus der Arktis, die im vergangenen Jahr von einer grossen Umweltkatastrophe betroffen waren.
Eine Delegation aus der russischen Arktis reiste diesen Monat mehr als 4800 Kilometer in die Schweiz. Wichtigster Punkt ihrer Agenda war, auf die nachhaltigen Folgen einer der grössten Ölkatastrophen in der Geschichte ihres Landes aufmerksam zu machen.
Sie wollen, dass die Schweizer Banken ihren Einfluss dazu nutzen, das verantwortliche Unternehmen zu drängen, die Umwelt zu schützen und die indigenen Gemeinschaften ordnungsgemäss zu konsultieren.
Rund 21’000 Tonnen Diesel waren am 29. Mai 2020 aus einem defekten, verrosteten Tank in einem Heizkraftwerk in die Tundra und in zwei lokale Flüsse in der Nähe der sibirischen Stadt Norilsk geflossen. Das Unternehmen, das hinter dieser Umweltkatastrophe steckt, ist der russische Konzern Norilsk Nickel, oder Nornickel, der weltweit führende Produzent von raffiniertem Nickel und Palladium.
«Dieser Ölteppich ist nur die Spitze des Eisbergs», sagt Rodion Sulyandziga, Direktor der russischen Nichtregierungs-Organisation Centre for Support of Indigenous Peoples of the North (Zentrum zur Unterstützung Indigener Völker des Nordens). «Die Verschmutzung und Entmachtung der indigenen Gemeinschaften hat nicht erst vor einem Jahr begonnen. Es ist eine lange Geschichte.»
Die Dieselkatastrophe von 2020 sei sowohl eine «soziale Katastrophe» als auch eine Umweltkatastrophe, sagt der Menschenrechts-Aktivist gegenüber SWI swissinfo.ch.
Sie hatte verheerende Folgen für die indigenen Gemeinschaften, die versuchen, ihren Lebensunterhalt in einem schwierigen Lebensraum mit Fischerei, Rentierzucht und Jagd zu verdienen. Die Katastrophe beeinträchtigte auch ihre Fähigkeit, Handel zu treiben.
«Sie müssen weit hinaus in die Tundra gehen, um neue Plätze zum Fischen und Jagen zu finden», sagt Sulyandziga. «Wegen der Ölpest haben sie nicht viel Fisch oder Fleisch. Und selbst wenn sie [etwas] haben, können sie es nicht verkaufen, weil es einen besonderen Geruch hat … Der Gewinn geht zurück.»
Credit Suisse und UBS unter den Investoren
Nornickel erzielte 2019 einen Umsatz von 14 Milliarden US-Dollar (12,5 Mrd. Schweizer Franken) und einen Gewinn von 6 Mrd. Dollar. Die Metalle, die der Konzern produziert, sind unerlässlich für die boomende Elektroauto-Industrie.
Credit Suisse und UBS, die grössten Schweizer Banken, zählen laut der Nichtregierungs-Organisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) gemeinsam zu den zehn grössten Investoren Nornickels. Sie sind auch wichtige Kreditgeber.
Im April 2021 hielt die UBS nach Angaben von Daten, welche die niederländische Forschungsgruppe Profundo zusammenstellte, Aktien und Anleihen von Nornickel im Wert von 45 Mio. Dollar. Die Credit Suisse hielt Aktien und Anleihen im Wert von 27 Mio. Dollar. Zudem gab sie gemäss den Profundo-Daten Kredite in Höhe von 268 Mio. Dollar aus.
Beide Banken sagten, sie würden sich nicht zu bestehenden oder potenziellen Kundenbeziehungen äussern. «Wir tätigen keine Geschäfte, wenn diese mit schwerwiegenden ökologischen oder gesellschaftlichen Schäden an oder durch – unter anderem – Verstösse gegen die Rechte indigener Völker verbunden sind», sagt UBS-Sprecher Samuel Brandner unter Hinweis auf den Nachhaltigkeitsbericht der Bank.
Credit-Suisse-Sprecher Yannick Orto weist darauf hin, dass Geschäfte mit Unternehmen aus sensiblen Sektoren und Branchen einem Reputationsrisiko-Prüfungsprozess unterlägen, der die Rechte lokaler Gemeinschaften und Umweltauswirkungen berücksichtige. «Die Credit Suisse steht diesbezüglich regelmässig im Dialog mit NGOs und anderen Interessengruppen», sagt er.
Treffen in der Schweiz zum Thema Umweltverschmutzung
Während ihres Aufenthalts in der Schweiz trafen drei russische Aktivisten für die Rechte indigener Völker mit Hilfe der Schweizer Niederlassung der GfbV in Bern sowohl Vertreterinnen und Vertreter der Credit Suisse als auch der UBS.
Bei der Nornickel-Tochtergesellschaft Metal Trade Overseas AG in Zug, einem bei Rohstoffhändlern beliebten Schweizer Kanton mit niedrigen Steuern, stiessen sie jedoch auf verschlossene Türen. Sie hofften, dass die beiden Finanzinstitute Verantwortung übernehmen und Nornickel zu einem Kurswechsel bewegen würden.
«Wenn man in ein Unternehmen investiert, das fragwürdige Geschäfte macht, die Menschen- und Landrechte verletzen, sollte man bereit sein, eine Mitverantwortung für die Vorgänge vor Ort zu übernehmen», sagt Sulyandziga.
Auf der Taymyr-Halbinsel, auf der sich Norilsk befindet, leben rund 10’000 Indigene. Nornickel hat auch eine Produktionsstätte auf der russischen Kola-Halbinsel, dem östlichsten Lebensraum des Volks der Samen. In beiden Regionen wird die Verschmutzung durch den Konzern als direkte Bedrohung für die Lebensweise der indigenen Bevölkerung gesehen.
«Sie wollen nicht mit uns kooperieren», sagt Andrey Danilov, Direktor des Sami Heritage and Development Fund (Fonds für samisches Kulturerbe und Entwicklung), der an einer von der GfbV organisierten Podiumsdiskussion in der Schweizer Hauptstadt Bern teilnahm.
«Dieses Unternehmen präsentiert seinen Investoren und der globalen Gemeinschaft unwahre Informationen. Deshalb sind wir hierhergekommen, um seine Partner in der Schweiz selber zu informieren.»
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Der russische Verhüttungskomplex Norilsk am Polarkreis hat gemäss Satellitendaten der US-Raumfahrtbehörde Nasa, die im Auftrag von Greenpeace erhoben wurden, die weltweit höchsten Schwefeldioxid-Emissionen (SO2). Die Schmelzwerke sind für mehr als 50% aller SO2-Emissionen in ganz Russland verantwortlich.
Zu anderen Umweltvorfällen in der Region gehört der Austritt von Eisenoxid aus dem Norilsk-Werk Nadeja 2016, das nach Angaben der GfbV «den Fluss Daldykan rot einfärbte». Bei einem Industrieunfall in einer Nornickel-Verarbeitungsanlage in Norilsk kamen im Februar dieses Jahres drei Menschen ums Leben, drei weitere wurden verletzt.
«Die Natur ist vergiftet, ein Teil der samischen Seele ist vergiftet», sagt Danilov. Er beschreibt eine Mondlandschaft mit verseuchtem Wasser und Land in einem 30-Kilometer-Radius um die Stadt Monchegorsk, in der sich ein Raffineriezentrum von Nornickel befindet.
«Wir befinden uns bereits am Rand der Erde. Wir können nirgendwo mehr hingehen. Wir wollen unser Volk retten und das weitergeben, was unsere Vorfahren uns weitergegeben haben.»
Leere Gesten?
Nornickel reagierte nicht auf die mehrfachen Anfragen von swissinfo.ch für einen Kommentar. In einem Brief an die NGO Business and Human Rights Resource Center (Ressourcenzentrum für Wirtschaft und Menschenrechte) vom 21. März dieses Jahres hatte das Unternehmen eingeräumt, dass es «Altlasten» gebe und die «volle Verantwortung» für den ausgelaufenen Diesel übernommen. Es behauptet, über 90% des ausgelaufenen Treibstoffs aufgefangen zu haben.
«Veränderungen brauchen Zeit, aber wir sind fest entschlossen, sie durchzuziehen und dafür zu sorgen, dass sich sowohl unsere Mitarbeitenden als auch die lokalen Gemeinschaften sicher und voll unterstützt fühlen», heisst es in dem Brief weiter. Nornickel zahlte zudem eine Rekordstrafe von rund 1,8 Milliarden Franken (146,2 Milliarden Rubel) an die russische Regierung.
In demselben Schreiben erwähnt der multinationale Konzern auch die Zahlung einer direkten Entschädigung in Höhe von 174 Millionen Rubel an 699 Personen, deren Lebensunterhalt vom Fischfang im Pyasino-See und im Pyasina-Fluss abhängt (ein durchschnittliches Gehalt in Russland liegt bei etwa 50’000 Rubel pro Monat). Zudem verwies der Konzern in dem Brief auf Kooperationsvereinbarungen, die mit drei indigenen Verbänden unterzeichnet wurden.
«Nornickel respektiert die Rechte, Traditionen, langjährigen Werte und Interessen der indigenen Minderheiten des Nordens, die in den Betriebsgebieten des Unternehmens leben», schreibt das Unternehmen gegenüber swissinfo.ch. «Wir unterstützen diese indigenen Gemeinschaften seit langem und arbeiten eng mit Organisationen zusammen, die ihre Interessen vertreten, um Transparenz bei der Entscheidfindung zu gewährleisten und sicherzustellen, dass gemeinsame Projekte so effizient wie möglich umgesetzt werden.»
Internationale Aufsicht
Sulyandziga sagt, das Unternehmen führe den Dialog mit Vertretern, die unter der Kontrolle des Unternehmens oder des Staats stünden, und nicht mit den direkt betroffenen Gemeinden. Er weist auch auf die Herausforderungen einer unabhängigen Überwachung in einer so abgelegenen Region hin, in der Nornickel der dominierende Akteur ist.
«Der Flughafen und zahlreiche Infrastrukturanlagen werden von Nornickel kontrolliert», sagt Sulyandziga. «Es ist nicht so einfach, gegen ein grosses Unternehmen wie Nornickel zu kämpfen, [das] Moskau sehr nahe steht.»
Die Aktivisten aus der Arktis trafen während ihres Besuchs auch Vertreterinnen und Vertreter der Schweizer Regierung. Sie fanden ein offenes Ohr bei Botschafter Stefan Estermann, der die Schweiz als Beobachterstaat im Arktischen Rat vertritt. Die zwischenstaatliche Organisation umfasst die acht Anrainerstaaten sowie Delegationen der indigenen Völker der Arktis.
«Es ist wichtig, dass die Völker der Arktis in Bezug auf jegliche Abbau- oder Bergbau-Aktivität vollständig konsultiert werden», sagt der Botschafter und verweist dabei auf eine Erklärung der Vereinten Nationen von 2007.
Zudem erwähnt er die Notwendigkeit, dass Schweizer Unternehmen, die in der Region tätig sind, eine Sorgfaltsprüfung zur Achtung der Menschenrechte durchführen müssen. Dabei müssten sie «Auswirkungen untersuchen, die sie durch ihre eigenen Aktivitäten verursachen oder zu denen sie beitragen können, oder die direkt verbunden sind mit ihren Tätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen oder durch ihre Geschäftsbeziehungen».
Als Russland im Mai den Vorsitz des Arktischen Rats übernahm, setzte es die nachhaltige Entwicklung als höchste Priorität – eine Priorität, die mit den ehrgeizigen Zielen der industriellen Ausbeutung der Rohstoff-Vorkommen abgeglichen werden muss. Im vergangenen Jahr hatte Russlands Präsident Wladimir Putin 300 Milliarden Dollar an Anreizen für neue Öl- und Gasprojekte nördlich des Polarkreises bekanntgegeben.
«Die Industrie- und Umweltkatastrophe von Nornickel hat mehrere Herausforderungen für die arktische Region aufgezeigt», sagt Estermann weiter. «Die wirtschaftliche Aktivität in der Region wächst, vor allem weil in der Arktis rasante Veränderungen im Gange sind. Dadurch steigt das Risiko für Katastrophen. Und wenn es zu einer Katastrophe kommt, sind die Auswirkungen und Kosten schnell hoch, für die verantwortliche Industrie, die betroffene Bevölkerung und die empfindlichen Ökosysteme.»
Der Arktische RatExterner Link
Mitgliedstaaten des Arktischen Rats sind die Arktis-Anrainerstaaten Kanada, Dänemark, Finnland, Island, Norwegen, Russland, Schweden und USA. Dazu kommen Vertreterinnen und Vertreter der indigenen Völker der Arktis, Beobachterstaaten sowie spezialisierte Institutionen.
Das zwischenstaatliche Gremium beschäftigt sich mit Fragen der nachhaltigen Entwicklung und des Umweltschutzes.
Indigene Delegationen
Im Norden, in Sibirien und im Fernen Osten Russlands gibt es Dutzende verschiedener Gruppen von indigenen Völkern. Mit etwa 270’000 Menschen machen sie nur einen sehr kleinen Teil der russischen Bevölkerung aus. Sie leben in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte und rangieren bei Einkommen und Lebenserwartung am unteren Ende.
Der Arktische Rat war das erste (und bisher einzige) zwischenstaatliche Forum, das Organisationen indigener Völker einen Status einräumte, der ihnen die volle Teilnahme an allen Angelegenheiten und Beratungen garantiert.
Schweiz unter Beobachterstaaten
Die Schweiz gehört zu den Beobachterstaaten und will nach Angaben von Botschafter Estermann die wissenschaftliche Zusammenarbeit fördern und die ökologischen und sozioökonomischen Auswirkungen der Veränderungen in der Arktis begrenzen.
Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler forschen vor Ort in Sibirien und sind in der Arbeitsgruppe «Erhaltung der arktischen Flora und Fauna» aktiv.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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