(Un)sicherheit in Genf: Blick auf New Yorks Erfahrungen
Meldungen über die mangelnde Sicherheitslage in Genf haben in den letzten Monaten mehrmals für Schlagzeilen gesorgt. Nun hat sich die Genfer Sicherheitsdirektorin nach den bewährten Methoden der New-Yorker Polizei erkundigt.
Bei ihrem Besuch hat sich Isabel Rochat, die Genfer Staatsrätin und Polizeidirektorin informiert, wie die US-Metropole, die heute nach schwierigen Zeiten in den 1980er- und 1990er-Jahren eine vergleichsweise niedrige Kriminalitätsrate ausweist, die Probleme von damals in den Griff bekommen und eine Trendwende herbeigeführt hatte.
Zuvor hatte sich Rochat auch in Basel und Lyon nach den Sicherheitsrezepten dieser Städte erkundigt.
«Genf kann von den Erfahrungen New Yorks lernen. Gewisse Ansätze im Kampf gegen die Kriminalität lassen sich auch bei uns anwenden, auch wenn man die beiden Städte nicht direkt miteinander vergleichen kann», sagte Rochat nach Gesprächen mit Vertretern der Stadtregierung und ehemaligen hochrangigen Sicherheitsexperten.
Einige ihrer Gesprächspartner waren mitverantwortlich für den in der Amtszeit von Bürgermeister Rudolph Giuliani erfolgten Wandel in der Acht-Millionen Metropole. New York gilt heute als eine der sichersten Grossstädte der USA.
Polizei muss Präsenz markieren
Die in der Amtszeit von Giuliani angewandte Theorie der «eingeschlagenen Fensterscheibe» ist für Rochat ein Weg, der offensichtlich zum Ziel führe. Die Theorie besagt, dass in einem Quartier, einer Strasse, in der ein eingeschlagenes Fenster – sei es an einem Haus oder einem Auto – nicht repariert wird, bald weitere folgen werden. Wird nicht dagegen vorgegangen, verschlechtert sich der Ruf des Gebiets zusehends.
Um diesem Sog entgegenzuwirken müssten die Behörden daher – und zwar in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung – dafür sorgen, dass das Quartierleben lebenswert bleibe. Anders gesagt, es dürften sich keine rechtlosen, verwahrlosten Quartiere entwickeln, wo sich die Menschen nicht mehr sicher fühlten, sagte Rochat vor Schweizer Medien in New York.
Um dem Gefühl der Unsicherheit entgegenzuwirken – oft gehe es – auch in Genf, in diesen Belangen um eine Frage der Wahrnehmung – brauche es mehr sichtbare Polizeipräsenz, erklärte Rochat. Diese müsse in Genf erhöht werden, was eingeleitet worden sei. Eine grössere Polizeipräsenz allein könne aber die Probleme nicht lösen.
In der Bevölkerung verankerte Polizei
Die Polizei müsse vermehrt in der Bevölkerung verankert und von dieser als Partner wahrgenommen werden, wie das heute in New York der Fall zu sein scheine. «Die Bevölkerung muss durch die sichtbare Präsenz der Polizei in Uniform ein Gefühl von Sicherheit erhalten.» Es brauche eine «Gemeinschaftspolizei», eine Polizei, die in der Bevölkerung verankert sei und die Menschen im Quartier kenne.
Die Polizei, sagter Rochat, müsse wo nötig streng und entschieden eingreifen, es dürften sich keine rechtlosen Quartiere oder Gegenden entwickeln. «Null Toleranz, was kriminelle Akte angeht, aber nicht einfach durch Repression, sondern aufgrund von Zusammenarbeit.»
Es sei wichtig, dass die Polizeikräfte die Menschenrechte klar respektierten, und keine Angst verbreiteten, «Genf ist schliesslich die Heimat der Menschenrechte», unterstrich die Regierungsrätin.
Um solche Sicherheitskräfte aufzubauen, brauche es neben dem politischen Willen die Bereitschaft der Bevölkerung, dass die Polizei diese Rolle habe. Sie denke, die Bevölkerung sei bereit dazu – und Genf sei mit der eingeleiteten Reorganisation der Sicherheitskräfte auf dem richtigen Weg.
Wichtig sei auch eine verstärkte Koordination unter den verschiedenen Sicherheitskräften, die in dem Grenzkanton aktiv sind.
«Wir brauchen einen Kulturwandel, einen Mentalitätswandel. Zum Tango braucht es zwei – die Bevölkerung muss Respekt vor der Polizei haben und mit ihr zusammenarbeiten», illustrierte sie diesen Wandel. Auch bei der Zusammensetzung der Sicherheitskräfte sieht Rochat Handlungsbedarf, zum Beispiel, in dem mehr Frauen in den Polizeidienst rekrutiert werden.
Steigende Kriminalität in Genf
Genf leidet mehr als andere Schweizer Städte unter steigender Kriminalität. Rochat sieht einen Grund dafür in der langen Grenze des Kantons mit Frankreich. Genf habe schon immer den Ruf einer offenen Stadt gehabt und davon auch viel profitiert. Diese Offenheit ziehe teilweise auch negative Aspekte nach sich.
Dass Genf bei der Reorganisation der Sicherheitskräfte in Zukunft allenfalls auch externe Berater oder eine Firma, wie sie Giuliani heute hat, beiziehen könne, wolle sie nicht ausschliessen. Vorerst werde sie aber ihre in New York gewonnenen Erkenntnisse verarbeiten und ihren Kollegen in der Regierung präsentieren.
Rochat hatte sich auch schon in der Schweiz informiert, wie andere Städte mit ihren Sicherheitsproblemen umgehen, zum Beispiel bei ihrem Amtskollegen aus Basel.
«Es gibt auch anderswo keine Wunderrezepte, aber Ideen, wie man die Probleme angehen kann», erklärte Rochat weiter.
Nachdem Mitte Juli der Sohn eines in Genf stationierten UNO-Diplomaten berichtet hatte, er sei von einer Bande Nordafrikanern zusammengeschlagen worden, hatte die UNO ihr Personal in einem Schreiben an Verhaltensregeln zur eigenen Sicherheit erinnert.
Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hatte darauf jüngst in einem Brief an Isabel Rochat erklärt, im Aussenministerium sei man besorgt über die Verschlechterung der Sicherheitslage in Genf in den vergangenen Monaten.
Calmy-Rey nahm zudem Anfang dieser Woche an einem Treffen von Vertretern der Genfer Polizei mit Vertretern des Bundes zum Thema Sicherheit teil. Der Bund ist im Sicherheitsbereich in der Region Genf unter anderem durch das Grenzwachkorps präsent.
In Genf wünscht man sich vom Bund nicht nur mehr finanzielle Unterstützung im Sicherheitsbereich, sondern unter anderem auch bessere Möglichkeiten, abgewiesene Asylbewerber oder verurteilte ausländische Straftäter in ihre Heimatländer auszuschaffen, sowie eine erneute Verschärfung des Schweizerischen Strafrechts.
Der Grenzkanton Genf ist einerseits mit einer wachsenden Zahl und teilweise auch mehr Brutalität von Banden und so genannten Kriminaltouristen konfrontiert, die von Frankreich aus operieren.
Anderseits machen der Polizei und den Behörden Kleinkriminelle zu schaffen, vor allem mit Diebstählen und Einbrüchen, von denen auch schon UNO-Diplomaten betroffen waren.
Genf figuriert immer wieder unter den Top-Ten-Städten auf Listen, bei denen es um Fragen wie die Lebensqualität geht, andererseits steht die Stadt auch auf Platz eins, was die Kriminalität angeht, mit 179 Delikten auf 1000 Einwohner im Jahr 2010. Im Vergleich: Bern 149, Zürich 138 und Basel 105.
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