Vom Boom der Schweizer Städte
In Sachen Lebensqualität sind Schweizer Städte weltweit top. Genf oder Zürich schaffen es oft in die obersten Ränge. Doch wie sieht es mit dem Management dieser Städte aus? Wo überzeugen städtische Politik und Verwaltung am meisten? Eine neue Studie von Avenir Suisse gibt Auskunft und schreibt von einem "Boom der Schweizer Städte".
1. Zürich: 64.7% ; 2. Basel: 62.8%; 3. Bern: 62.7%; 4. Luzern: 58.3%; 5. St. Gallen: 53.8%; 6. Winterthur: 52.8%; 7. Lausanne: 49.3%; 8. Biel: 48.9%; 9. Lugano: 43.1%; 10. Genf: 38.8%
Wo wird für die Bürgerin, den Bürger in der Schweiz am besten gesorgt? In welchen Städten sind Politik und Verwaltung top? Mit solchen Fragen als Ausgangspunkt hat die liberale Denkfabrik Avenir Suisse mit Sitz in Zürich die zehn grössten Schweizer Städte genauer unter die Lupe genommen.
Für ihre StudieExterner Link wählte sie 47 Indikatoren in acht Bereichen. Die Studienautoren schauten sich unter anderem die Qualität der Verwaltungsdienste, die Verkehrssituation, die Attraktivität als Wirtschaftsstandort oder Kulturangebote an.
Wie schon bei der Mercer-Umfrage zur Lebensqualität im Jahr 2018 schaffte es Zürich mit 64,7 von maximal 100 Punkten auf den ersten Rang. Die Autoren erklären, die Stadt Zürich gehe gut mit ihren Finanzen um und tätige genügend Investitionen. Sie loben das kulturelle Angebot, die Bildungspolitik und vor allem auch die Wirtschaftskraft.
Es sei eine durch und durch attraktive Umgebung für Unternehmer, was auch am starken Bankensektor, der renommierten Hochschule (ETH), der Börse und dem grossen Flughafen liegt. Und die hohe Dichte an Kinderbetreuungseinrichtungen der Stadt – 43 Plätze pro 100 Kinder im Vorschulalter – mache Zürich auch zu einem guten Standort für junge berufstätige Eltern. Schwachpunkte ortet die Studie nur bei der Sozialpolitik und der Mobilität: Fahrräder werden in Zürich im Vergleich zu anderen Schweizer Städten selten benutzt.
Das zweitplatzierte Basel (62,8) erzielt in den meisten Bereichen, einschliesslich der Verwaltung von öffentlichen Geldern, dem wirtschaftsorientierten Umfeld sowie der Sozial- und Integrationspolitik gute Ergebnisse. Avenir Suisse schreibt zudem, dass der Wohnungsmarkt in Basel effizienter reguliert werde als in den anderen Städten.
Bern (62,7) punktet vor allem im Finanzmanagement. Die Forscher zeigen sich insbesondere beeindruckt davon, wie die Beamten in Bern die Schulden der Stadt verringern konnten. Bern habe auch die «beste und effizienteste Kulturpolitik». Der Bericht konstatiert aber auch, dass Bern «kein sehr beliebter Ort zum Arbeiten» sei, zumindest nicht für Jobs im privaten Sektor, und kritisiert zudem die «übermässigen städtischen Eingriffe in den Wohnungsmarkt».
An vierter Stelle erzielt die Stadt Luzern (58,3) Bestnoten für ihre Verkehrs-, Energie- und Infrastruktur-Politik.
Schlusslicht Genf
Am Ende der Rangliste ist Genf (38,8) positioniert. Die Stadt wird von den Autoren für ihre Parks und öffentlichen Plätze gelobt, doch die negativen Punkte überwiegen. So kritisiert Avenir Suisse den Genfer Wohnungsmarkt («bei weitem der ineffizienteste»), die vergleichsweise geringe Attraktivität für Unternehmen sowie die Verkehrsprobleme im Zentrum. Die Studie sagt auch, Genf habe hohe Verwaltungskosten, die zwischen 2010 und 2016 um 10% pro Einwohner gestiegen seien.
In einem Leitartikel in der Zeitung «Tribune de Genève» kritisierte der Genfer Stadtrad Pierre Maudet die Studie wegen ihrer «zahlreichen methodischen Fehler und Mängel». Diese zeigten, so Maudet, dass die Autoren nicht wüssten, wie Politik im französischsprachigen Raum, insbesondere in Genf, gemacht werde.
Die andere grosse Stadt am Genfersee, Lausanne, wurde Siebte. Sie wird für ihre Sozial- und Kulturpolitik, das gute Umfeld für Start-ups und seine vielen Erholungsräume positiv bewertet. Negativ fielen den Autoren dort die eher restriktive Politik gegenüber Radfahrern auf. Avenir Suisse schreibt zudem, dass städtische Angestellte in Lausanne oft krank seien – im Durchschnitt 13,2 Tage pro Jahr –, was viel länger sei als in allen anderen Städten. Die lokale Verwaltung sei zudem auch teuer und bürokratisch, heisst es. Zum Beispiel dauere es über 200 Tage – einen Monat mehr als in anderen Schweizer Städten – um eine Baubewilligung zu erhalten.
Der sozialdemokratische Bürgermeister von Lausanne, Grégoire Junod, lehnt den Bericht ab. Dieser sei voll von «Fehlern, Ungenauigkeiten und Vorurteilen», sagte er. Er kritisierte, dass Lausanne im Bereich Mobilität herabgestuft worden sei und seine Stadt in Sachen kulturelles Angebot schlechter als Bern bewertet worden sei. «Kenner werden darüber lachen», kommentierte er.
Mehr Steuereinnahmen
Doch insgesamt sind die Schweizer Städte top, zumindest wenn sie mit Städten weltweit verglichen werden. Im Gegensatz zu den Metropolen im Rest der Welt hätten die urbanen Zentren der Schweiz ihre Finanzen meistens im Griff und seien nur wenig verschuldet, schreibt Avenir Suisse in seinem 196-seitigen Bericht. Die Verwaltungen funktionierten gut und die zehn Städte böten eine sehr gute Infrastruktur.
Avenir Suisse hält zudem fest, dass Schweizer Städte dank der Umsetzung bilateraler Abkommen mit der Europäischen Union, dem Zustrom von hochqualifizierten ausländischen Arbeitskräften und dem wiederbelebten Immobilienmarkt eine Renaissance erlebt hätten. Neuankömmlinge hätten mitgeholfen, dass Geld in die Stadtkassen fliessen, und dieses sei für bessere Infrastruktur, lokale Verwaltungen und soziale Programme ausgegeben worden. Zum Beispiel stiegen die Steuereinnahmen für die zehn grössten Städte in der Schweiz zwischen 1990 und 2016 durchschnittlich um 50% pro Einwohner. In Basel betrug der Anstieg gar über 90%.
«Die Schweizer Städte erleben seit Mitte der 1990er-Jahre einen Boom, und dieser Boom geht weiter“, sagt Avenir Suisse-Direktor Peter Grünenfelder. Die Städte müssten nun die Herausforderungen der Zukunft – insbesondere die stets wachsende und älter werdende Bevölkerung, die sich verändernde Struktur der lokalen Verwaltungen und die rasch fortschreitende Digitalisierung in allen Lebensbereichen – ins Augen fassen und gute Strategien erarbeiten.
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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