Vom Nationalhelden zum Internet-Vampir
Dracula ist der Vampir, der nach Sonnenuntergang aus dem Grab steigt und neue Opfer jagt, um ihnen das Blut auszusaugen. Hundert Jahre nach seiner Geburt im Roman von Bram Stoker versuchen Forscher zu entziffern, was hinter dem Mythos steckt.
Heiko Haumann, Professor an der Universität Basel, ist kein Spezialist für Vampire. Seine Forschungsgebiete sind osteuropäische und Gegenwartsgeschichte. Er hat bereits verschiedene Bücher über die Juden Osteuropas und der Sowjetunion veröffentlicht.
Doch 2011 kam sein Werk «Dracula – Leben und Legende» heraus. Es ist Vlad Tepes (1431 – 1476), einem Prinzen der Walachei, gewidmet. Besser bekannt unter dem Namen Pfähler, inspirierte er später den irländischen Schriftsteller Bram Stoker bei der Erfindung der Romanfigur des Grafen Dracula.
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swissinfo.ch: Wer war laut ihrem Buch dieser Dracula?
Heiko Haumann: Die historische Figur, Vlad III. Draculea, war ein Woiwode oder militärischer Führer und einer der Prinzen der Walachei. Während des Chaos des 15. Jahrhunderts kämpfte er für die Unabhängigkeit seines Landes gegen das Osmanische Reich im Westen und auf der anderen Seite gegen das ungarische, das Transilvanien beherrschte.
Die Walachei war ein Pufferstaat. Dracula wollte ihn wirtschaftlich stärken, die Macht des Hochadels brechen und eine militärische Macht zum Schutz der Unabhängigkeit aufbauen. Seine Kriegszüge gegen das Osmanische Reich waren oft erfolgreich. So übernahm er im Abendland eine Zeitlang die Rolle eines Führers gegen das Osmanische Reich.
1897 veröffentlichte der irländische Schriftsteller Bram Stoker seinen Roman «Dracula». Das Buch wurde in verschiedene Sprachen übersetzt. Zu seiner Popularität trug die Anpassung des Buchs ans Theater bei.
Der erste Stummfilm zum Thema unter dem Titel «Nosferatu» stammt vom deutschen Regisseur Friedrich Murnau.
Bela Lugosi inszenierte 1931 Dracula in einer amerikanischen Version.
«Wahrscheinlich wurden schon mehr als 3000 Filme über Dracula und Vampire gedreht», glaubt Professor Heiko Haumann.
swissinfo.ch: Weshalb gibt es so wenige konkrete Zeugnisse über die Existenz Draculas ausser einigen Berichten und mittelalterlichen Illustrationen?
H.H.: Vielleicht ist es für diese Epoche charakteristisch. Es gibt einige Dokumente, aber kein Schriftstück sowie einige indirekte ungarische und osmanische Quellen. Es ist möglich, dass direkte Zeugnisse über Dracula während der zahlreichen Kriege dieser Epoche wie überall in Osteuropa vernichtet wurden.
swissinfo.ch: Die Pfählung und andere Praktiken waren zu dieser Zeit dort üblich. Weshalb spielte Dracula eine so herausragende Rolle, um sogar den Schriftsteller Bram Stoker zu inspirieren?
H.H.: Obwohl uns Quellen fehlen, können wir sagen, dass Pfählung zu jener Zeit unter den Osmanen und im ganzen Abendland bis zum Papst eine übliche Bestrafung waren. Es gibt Zeitdokumente, die überhaupt nicht von Pfählung sprechen, während andere sie ausgiebig belegen und den äusserst blutrünstigen Charakter Draculas hervorstreichen. Er habe sogar in einer Runde aufgespiesste Opfer gegessen und deren Blut getrunken. Obwohl es nicht unmöglich ist, dies zu beweisen, glaube ich, dass letzteres zur Medienkampagne des ungarischen Königs gehörte. Er wollte Dracula auch wirtschaftlich schwächen, da er für ihn im Kampf zwischen dem christlichen Abendland und dem Osmanischen Reich ein Nebenbuhler war.
swissinfo.ch: Ein Zeitgenosse Draculas, Prinz Skanderbeg, ist der Nationalheld Albaniens. Welche Rolle spielt Dracula als historische Figur in Rumänien?
H.H.: Dracula ist vielleicht nicht so wichtig wie Skandenbeg, doch seine Büste befindet sich zusammen mit anderen Nationalhelden im Rathaus von Bukarest. Er gehört sicher zu den grossen Helden des Landes, weil er gegen die Osmanen gekämpft hat. Die rumänische Tradition stellt ihn nicht als Unhold dar, sondern als Leader, der gekämpft hat, um das Land zu einen und zu verteidigen.
swissinfo.ch: Was halten die Rumänen davon, dass Dracula im Westen als Vampir dargestellt wird?
H.H.: Der Grossteil der Rumänen akzeptiert diese Kommerzialisierung als blutrünstiges Monstrum oder sogar Vampir wie im Roman von Bram Stoker nicht. Verschiedene Versuche mit Vergnügungspärken in Rumänien zum Thema schlugen wegen der starken Opposition der Bevölkerung fehl. Für sie ist er ein Nationalheld und hat nichts mit dem allgemein verbreiteten Aberglauben an Vampire zu tun.
Laut der Forschung war Vlad III. Draculea, auch als Vlad der Pfähler bekannt, ein Prinz und Kriegsherr der Walachei und wurde 1431 im Dorf Sighisoara oder in Nürnberg geboren. «Draculea» bedeutet «Sohn des Drachens», da sein Vater, Vlad II. Dracul dem von Kaiser Sigismund 1387 in Rom gegründeten Orden der Drachen zur Förderung der Interessen der katholischen Kirche und der Kreuzzüge angehörte.
Einen Teil seiner Kindheit verbrachte Draculea als Gefangener am Hof des Sultans Murad II, bis ihm die Flucht nach Ungarn gelang. Er begann eine militärische Laufbahn und war 1448 und zwischen 1456-1462 Köng der Walachei.
Im Winter 1461/62 begann Draculea einen Kriegszug gegen die Ottomanen und besiegte verschiedentlich die Streitkräfte Mehmed II. Der Sultan konzentrierte in der Folge sein ganzes Heer gegen die Walachei.
Wahrscheinlich im Dezember 1462 wurde Draculea vom ungarischen König Matthias Hunyadi verhaftet, für welchen er ein Verräter war. 12 Jahre verbrachte er auf verschiedenen Burgen in Haft. 1475 bekehrte er sich zum Katholizismus, heiratete zum zweiten Mal und kam frei. Im Februar 1476 wurde er zum Befehlshaber der ungarischen Truppen bei Angriffen auf die Ottomanen und im gleichen Jahr nochmals zum König ernannt.
Zwischen 1476-77 kam Draculea bei einer Schlacht ums Leben. Laut einigen Chronisten wurde er enthauptet und sein mit Honig einbalsamiertes Haupt dem Sultan geschickt und an dessen Hof ausgestellt. Sein Rumpf wurde im 40 Km nördlich von Bukarest gelegenen Kloster Snagov beerdigt. Als1980 dasGrab geöffnet wurde, fand man jedoch keine Gebeine.
(Quelle: Heiko Haumann, Dracula – Leben und Legende, Ed. C.H. Beck, 2011)
swissinfo.ch: Besteht der Volksglaube an Vampire in Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern noch?
H.H.: Ja, in verschiedenen Gegenden glauben die Leute noch, dass Tote aus dem Jenseits zurückkehren. Diesen Glauben gibt es aber auch in Serbien, der Slowakei und weiteren osteuropäischen Ländern. Es ist ein Jahrhunderte alter Volksglaube, wonach Personen, mit welchen wir einen starken Konflikt hatten, zur Rache aus dem Jenseits zurückkehren.
swissinfo.ch: Zusammenfassend: Wie wird der historische Dracula zum Vampir?
H.H.: In der Tat ist dies das Werk von Bram Stoker. Dank der Medien wurden ab Mitte des 18. Jahrhunderts Berichte über Vampire in Süd- und Osteuropa populär. Sie erzählten von Vampiren, die im Grab noch frisches Blut im Mund hatten. Die Literatur benützte dieses Element jedoch nie im Zusammenhang mit Dracula. Beispiele sind Goethe, E.T.A. Hoffmann und russische Schriftsteller. Bram Stoker stellte diesen Zusammenhang her, als die ersten Vampirinnen Osteuropas in der englischen gotischen Literatur auftauchten.
swissinfo.ch: Wie kam es dazu?
H.H.: Er entdeckte die historische Existenz dieses blutdürstigen Prinzen und benützte ihn erst in einer Erzählung und nachher im Roman. Wir können sagen, dass er der Schöpfer dieser Figur ist. Er kannte Rumänien nur von Büchern her oder informierte sich durch Bekannte. Man weiss, dass er viel in der British Library gelesen hat.
swissinfo.ch: Weshalb wurde Dracula so populär?
H.H.: Nach dem Bucherfolg haben die Filme sicher am meisten dazu beigetragen.
swissinfo.ch: Gibt es heute Vampire? Gibt es sie z.B. in der gotischen Szene oder unter Anhängern des Black Metal?
H.H.: Unabhängig von diesen Szenen gibt es in verschiedenen Teilen der Welt sicher Menschen, die an Vampire, d.h. an die Wiederauferstehung der Toten, glauben. Es gibt jene, die diese typischen Kleider tragen, sich selbst als «Vampyr» bezeichnen und manchmal Blut trinken, obwohl sie vollständig inoffensiv sind. Und es gibt auch moderne Vampire, die das Internet benützen, um andere zu beeinflussen, d.h. ihnen ihre Kräfte rauben. Dies ist auch eine Art Vampirismus; dies sind die «Internet»- oder «Psychovampire».
(Übertragung aus dem Portugiesischen: Regula Ochsenbein)
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