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Vom Tessin über Kaliforniens Küste ins Weisse Haus

Meilenweit sichtbar, dominiert der Leuchtturm von Point Arena die Ländereien der Familie Stornetta. AFP

Familiengrundbesitz, der ins nationale Erbe der USA aufgenommen wird, ein Empfang in Washington durch Präsident Obama – dieses nicht alltägliche Abenteuer erlebte der Urgrosssohn eines Tessiner Einwanderers, der seinerseits 1881 in Kalifornien angekommen war.

Barack Obama dreht sich nach links, dann nach rechts. Sein Blick sucht den Mann, dem er gleich gratulieren wird. Im Anzug, diskret und etwas zurückhaltend, mit einem schüchternen Lächeln auf den Lippen, steht Larry Stornetta hier, umgeben von der Pracht des berühmten Oval Office. Belohnt wird er für den «guten Sinn für Landwirtschaft», der dem älteren Kalifornier so sehr am Herzen liegt.

Am 11. März 2014 machte US-Präsident Obama die Aufnahme der Stornetta-Grundstücke von Point Arena – 1665 Hektaren Land entlang der Küste – als Naturdenkmal in das Inventar des California Coastal National Monument (CCNM) offiziell.

Die als Naturerbe geschützten Grundstücke können mit Nationalparks verglichen werden. Der damalige Präsident Bill Clinton hatte die Verordnung zum Naturerbe (CCNM) im Jahr 2000 erlassen, um die wilden Küstenstreifen in Nordkalifornien unter Schutz zu stellen.

Anstrengung über drei Generationen

«Es ist eine riesige Ehre, aber auch die Belohnung für eine kollektive Anstrengung, die 1924 ihren Anfang nahm», erklärt der Urgrosssohn von Raimondo Stornetta. Raimondo war 1881 aus seiner Heimat im Tessin ausgewandert nach Kalifornien, ins Mendocino County, heute rund vier Stunden Fahrzeit nördlich von San Francisco.

1924 kaufte dann sein Sohn A.O. (Larrys Grossvater) die ersten Grundstücke. Es war der erste Schritt eines Unternehmens, das sich über die Jahre zu einem kleinen Geschäfts- und Agrar-Imperium entwickeln würde.

Bei seinem Tod 1948 hinterliess der erste Bauherr der Familie Stornetta seinen neun Kindern (drei davon Söhne) Land im Umfang von fast 2000 Hektaren sowie bewegliche Sachwerte und Immobilien in Höhe von 350’000 Dollar (damaliger Wert), darunter Ladengeschäfte und Hotels.

Larry und sein jüngerer Bruder wollten einen Teil dieses Erbes bewahren und beschlossen, 600 Hektaren Land zu behalten, während die übrigen Erben ihren Teil an das Bureau of Land Management (BLM) verkauften, die US-Behörde, die sich mit Verwaltung und Schutz von staatseigenen Ländereien befasst.

«Wo wäre ich im Alter von 60 Jahren noch hingegangen? Niemand hätte mich angestellt. Das erklärte ich meiner Familie auf die Frage, wieso wir die Ranch behalten wollten. Dies ist mein Leben, meine Leidenschaft. Ich bin hier geboren, ich bin Bauer seit ich sechs Jahre alt bin und möchte letztlich auch hier sterben», erklärt Larry Stornetta.

Larry Stornetta (2.v.r.) und alle Protagonisten des Transfers der Familien-Ländereien umringen am 11. März 2014 US-Präsident Barack Obama im Oval Office. White House Photograph

Freuden des einfachen und harten Lebens

Trotz seiner 68 Jahre steht er noch immer jeden Morgen um fünf Uhr auf, um sein Landgut in Gang zu halten, das er mit seinem Bruder «Junior» und mit Hilfe eines einzigen voll angestellten Mitarbeiters bewirtschaftet.

«Als ich jung war, stand ich während Jahren um zwei Uhr morgens auf, um etwa drei Stunden lang die Kühe zu melken, bevor ich mich nochmals etwas ins Bett legte. Doch dann beschlossen mein Vater und meine Onkel, den Milchbetrieb aufzugeben», erinnert sich der Universitätsabsolvent Larry leicht nostalgisch.

Während Jahren war er schliesslich als Wanderschmied in der Region unterwegs, bevor er nach dem Tod seines Vaters 1991 zurückkehrte, um sich vollzeitlich um den Betrieb der Ranch zu kümmern. Heute züchten Larry und «Junior» Schafe und Rindvieh und betreiben Gemüseanbau. Etwas zusätzliches Einkommen erwirtschaften die Brüder mit dem Vermieten von zwei Häusern auf ihrem Land.

Die Ländereien der Familie Stornetta, die nun ins Nationale Naturerbe entlang der Küste Kaliforniens (California Coastal National Monument, CCNM) integriert wurden, bilden ein Band, das sich südlich vom Kap Point Arena über eine Breite von etwa 1 Kilometer rund 4 Kilometer lang erstreckt. Es handelt sich vor allem um Weideland, mit einigen zerstreuten kleinen Baumgruppen. Im Osten bildet ein Fluss die Grenze, im Westen sind es die Klippen der Pazifikküste.

Die kleine Stadt Point Arena (500 Einwohner) liegt in einer Bucht südlich der Stornetta-Ländereien. Und das Kap von Point Arena, ein beliebtes Touristenziel, ist jener Ort entlang der Küste Amerikas, welcher der Inselgruppe von Hawaii am nächsten liegt: Die Entfernung zu Honolulu beträgt hier 3787 Kilometer. Und der Leuchtturm von Point Arena ist mit seinen 35 Metern der höchste entlang der Westküste der Vereinigten Staaten.

Zwei bis drei Mal die Woche stellt Larry Fahrer an, die seine Erbsen und Bohnen auf den Märkten von Santa Cruz verkaufen, im Süden von San Francisco, etwa fünf Stunden Fahrt entfernt. «Seit dem 11. September ist es schwieriger geworden, für diese Fahrten Arbeitsmigranten anzustellen. Vorher hatten wir es jeden Tag getan», erzählt er.

Trotz solcher Hindernisse, trotz der Beschwerlichkeit der harten Arbeit, obschon er alleinstehend ist und sich mit «Junior» ein bescheidenes Haus teilt, das Züge von Fertigbauweise aufweist, sagt Larry, er sei ein grundlegend glücklicher Mensch.

Freundin an zweiter Stelle

«Ich hatte das Glück, hier aufzuwachsen, zusammen mit all unseren weiteren Familienangehörigen. Ich liebe die Natur, ich liebe dieses Leben. Ich hatte auch Freundinnen, die mich aber alle nach jeweils zwei, drei Jahren verlassen haben, weil sie bei mir nicht an erster Stelle kamen», gesteht Larry ein.

Dennoch hat er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, seine Leidenschaft mit jemandem teilen zu können. «Aber ich weiss, dass dies nicht von heute auf morgen geschehen wird. Ein Paar, das braucht einiges an Arbeit…»

Auch der Betrieb einer Ranch bedeutet Arbeit, wie seine zerquetschten Nägel, seine schwieligen Hände beweisen. Vor 10 Jahren trafen Larry und «Junior» mit dem BLM eine Vereinbarung, um die verkauften Ländereien weiter nutzen zu können. Im Austausch für eine monatliche Miete können sie ihre Herden auf dem Land weiden lassen, ohne das dies die Schutzbemühungen der Bundesbehörde untergräbt.

«Viel zu viel des Bodens, der unter Aufsicht des BLM kommt, wird landwirtschaftlich nicht mehr genutzt», erklärt Larry. «Das ist eine Verschwendung. Wir kümmern uns um das Land. Wir beweisen damit heute auch, dass es möglich ist, Landwirtschaft und Schutz der Umwelt miteinander zu verbinden. Es ist eine Frage des gesunden Menschenverstands.»

Antonio Stornetta war 24 Jahre alt, als er das Dorf Sant’Antonino in der Nähe von Bellinzona verliess, um nach Amerika auszuwandern. Sieben Jahre später folgten ihm sein Bruder Raimondo und dessen Frau Paolina. Zu jener Zeit verliessen viele Tessiner verarmte Landstriche wie Maggia- und Verzasca-Tal, um in Kalifornien ein neues Leben zu suchen.

Raimondo und Paolina hatten sieben Kinder, darunter die Zwillinge A.O. und J.O. Nach dem Tod seines Vaters übernahm der Geschäftsmann A.O. 1912 das kleine Familienunternehmen. 1924 kaufte er die ersten Grundstücke; bis zu seinem Tod 1948 hatte er schliesslich ein kleines Geschäfts- und Agrarimperium aufgebaut.

Seine drei Söhne Charles, Bill und Duke erbten die Ranch, die damals ein Milchproduktionsbetrieb war. Es ist ein kleiner Teil dieser Ranch, den Larry und Charles Jr. behielten, als die Erben Dukes und die weiteren Familienangehörigen beschlossen, ihren Besitz an die US-Behörde für die Verwaltung der staatseigenen Ländereien (Bureau of Land Management) zu verkaufen.

Ein Witz?

Es ist genau dieser gesunde Menschenverstand, der Larry am 8. März dieses Jahres zunächst an einen Witz denken liess, als er einen Anruf aus dem Weissen Haus erhielt.

«Es war ein Samstagmorgen», erzählt der Bauer. «Ein Mann namens Michael kontaktierte mich und erzählte mir, der Präsident werde die Papiere unterzeichnen, ich sollte am Dienstag in Weissen Haus sein. Ich habe das nicht geglaubt. Ich ging zu Junior, und danach sprachen wir mit den Leuten, die seit drei Jahren für die Aufnahme der öffentlichen Ländereien von Point Arena-Stornetta ins CCNM-Inventar kämpfen.»

Merita Whatley, Gerantin des Lighthouse-Hotels in Point Arena und aktives Mitglied des Verbands der lokalen Unternehmen, bekräftigt die intensive Lobby-Kampagne, die von hier aus über kalifornische Abgeordnete sowohl im Weissen Haus als auch im Kongress betrieben worden sei.

Sternstunde

«Ich kam am Montagabend in Washington an», fährt Larry fort. «Am Tag darauf hatte es im Weissen Haus viele Journalisten, der Präsident sprach über die Familie, die Ranch, unseren Landschaftsschutz, es war sehr bewegend. Danach hat er allen die Hand geschüttelt und mir noch persönlich gratuliert.»

«Es ist eine grosse Ehre», freut sich der Bauer und schwingt seine Kopie der Rede Barack Obamas. Das Weisse Haus sandte ihm auch ein Video der Zeremonie sowie einen der Stifte, mit dem der Präsident die Dokumente unterzeichnet hatte.

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Als er drei Tage nach der Zeremonie nach Point Arena zurückkam, erfuhr Larry, dass sein Bruder «Junior» stolz durch die Strassen zog und seinen Enthusiasmus wie ein Spatz von den Dächern pfiff, sich freute wie ein kleiner Junge. «Er hat sein Leben lang nie soviel geredet, so aufgeregt war er», lacht sein älterer Bruder.

Der ältere Stornetta will jedoch einen kühlen Kopf bewahren. «Im Flugzeug nach Washington traf ich eine Deutsche, die mir etwas sehr Wahres sagte: Die Schweizer verwickeln ihre Kinder immer in ihre Angelegenheiten. Das haben sowohl Raimondo, als auch A.O., mein Vater Charles sowie meine Onkel Bill und Duke getan», hält Larry fest.

Er selber wartete zu, bis er gut fünfzig Jahre alt war, bevor er sich vertieft mit seinen Wurzeln und seinem Familienbaum zu befassen begann. Und er hofft, einmal ins Tessin zu kommen, bevor er stirbt. «Kann man dort auch aus dem Nichts heraus beginnen und die soziale Leiter erklimmen wie hier?», fragt er. «Was die Möglichkeiten angeht, die sich einem bieten, bleiben die USA ein einmaliges Land.»

Dies dachte sicher auch schon sein Urahne Raimondo, als dieser 1881 in die Neue Welt aufbrach.

(Übertragen aus dem Französischen: Rita Emch)

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